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WIEN / Leopold Museum. NEUE SACHLICHKEIT IN DEUTSCHLAND

Der gnadenlose Blick

30.05.2024 | Ausstellungen, KRITIKEN

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WIEN / Leopold Museum.
GLANZ UND ELEND
NEUE SACHLICHKEIT IN DEUTSCHLAND
Vom 24. Mai 2024 bis zum 29. September .2024

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der gnadenlose Blick

Es war ein trügerischer Glanz, den die auslaufende Monarchie ausstrahlte, aber er schimmerte doch in Klimt-Gold. Der Erste Weltkrieg beendete alles. Die Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts wird gerne als die von Zwängen befreiten „Goldenen Zwanziger Jahre“ bezeichnet, bevor sie in die gefährlichen Dreißiger überging.  Die Kehrseite der verführerischen Medaille lieferten jene Künstler, die man der „Neuen Sachlichkeit“ zuordnet. Ihr Blick auf ihre Gegenwart war gnadenlos, nüchtern, kalt. Das Leopold Museum hat zu dem Thema eine großartige Schau unter dem Titel „Glanz und Elend“ zusammen gestellt. Einziger Einwand – „Glanz“ findet sich so gut wie nicht. Das Elend wird in überzeugender thematischer Gliederung aufgeblättert.

Von Renate Wagner

Zuerst die Themen, dann die Künstler    Die „Neue Sachlichkeit“, der sich in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg so viele Künstler verschrieben, war anders als der leidenschaftliche, anklagende Expressionismus davor. Die Tendenz mochte ähnlich sein, der Stil war ein ganz anderer. Selbst jene Maler, die heute zu den Spitzennamen zählen –  George Grosz, Otto Dix, Christian Schad, die sich durch unverwechselbare Handschrift  auszeichnen -, malen nicht zum Selbstzweck der Selbstdarstellung, sondern stellen immer die – fast immer gesellschaftskritische – Thematik in den Mittelpunkt ihres Werks. Der Blick auf die Welt war kein verklärter mehr, erfüllte keine Wünsche, zeigte härteste Realität.

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Auch Vergessene und Unbekannte   Daraus ergab sich ein Ausstelllungskonzept, nämlich  die Gliederung, die Kurator, Museumsdirektor Hans-Peter Wipplinger selbst, seiner Präsentation  gab. Die gut 150 Arbeiten, vordringlich Gemälde, auch Graphiken, stammen von 48 Künstlerinnen und Künstlern, die dem Ausstellungsbesucher gleich zu Anfang entgegen blicken. Die meisten Namen wird man nicht kennen – zu Unrecht, denn es ist immer wieder künstlerisch Hochrangiges zu sehen.

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Von Krieg zu Krieg     Die Erschütterung, die vom Ersten Weltkrieg mit seinen Millionen Toten und Verletzten, Verstümmelten, seelisch rettungslos Verstörten ausgegangen ist, steht am Beginn der Ausstellung, musste künstlerisch reflektiert werden. Die Invaliden waren ebenso ein Thema wie das Irrenhaus, und der darauf folgende „Tanz auf dem Vulkan“ zeigt vordringlich nackte, zuckende Leiber. Wenn dieser Weg letztlich bei der finalen Station der Ausstellung endet, zeigt der Stahlhelm an, wohin der Weg wieder führt – in den nächsten Krieg. Es sind Schattenwelten, denen man in den Bildern der Ausstellung immer wieder begegnet,

Die allgemeine Freudlosigkeit   Die Hektik zumal der Zwanziger Jahre spiegelt sich auch in den Bildern der „Neuen Sachlichkeit“, aber freudloser und trostloser können „Lust und Begierde“ gar nicht dargestellt werden wie auf vielen dieser Bilder. Die leeren Gesichter des Christian Schad, die unendliche Traurigkeit in so manchem Gesicht erzählen da vieles, und dass der „Lustmord“ zum Thema wird, versteht sich.

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Der soziale Tiefstand   In mehreren Themenkomplexen geht es um die Tragik des Alltags, mit Bildern von Arbeitslosen, ausgemergelten Alten, leeren Kindergesichtern – Verwahrlosung, Hoffnungslosigkeit. Später wird das Thema in Bildern aus der Arbeitswelt wieder aufgenommen. Darstellungen  von Fabriken, Maschinen, Röhren reflektieren die Angst vor unmenschlichen Bedingungen – was hätten die Künstler von damals über unsere Panik vor KI (der Mensch schafft sich ab) gesagt?

Aber die Frauen    Vielleicht ist das Kapitel über die Frauen das einzige, das positive Aspekte zeigt, denn nach dem Krieg gewannen Frauen an Boden, an Selbständigkeit, auch an freier Selbstgestaltung, wenn Malerin Kate Diehn-Bitt sich an der Staffelei so androgyn darstellte, als wäre sie ein junger Mann? Dennoch wohnt vielen der Frauenbildnisse (ob von Männern, ob von Frauen gemalt) eine gewisse Spannung inne, und wenn man später die Ausstellung Revue passieren lässt, scheint es, als wäre die Tennisspielerin in dem  chicen gestreiften Kleid von Lotte Laserstein das einzig „unbeschwerte“ Werk, an das man sich erinnert…

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Traurige Menschen, hektische Welt    Eine Porträtsammlung zeigt, wie anders als einst die Maler den Menschen sahen. Hier ging es nicht mehr um gutes Aussehen, um repräsentative Attitüde, um selbstbewusste Darstellung, sondern schlicht und einfach um Alltagsgesichter. Besonders tragisch wirken die zusammen getragenen Bilder mit Kindern – ohne dass man frühere Lieblichkeit einfordern wollte, ist die Trostlosigkeit dieser Darstellungen, die gewissermaßen an keine Zukunft glauben, besonders schlimm.  Und doch müssen es diese Menschen gewesen sein, die in Theater, Varietés, Zirkus ausschwärmten, um eine verzweifelt bunte Gegenwelt zu finden, die bei den Malern der Sachlichkeit ebenso wenig „schön“ wird wie ihre Stillleben. Wenn man sich fragt, wie es zu diesem Parcours der Tragik kommen konnte, gibt es wohl nur eine Antwort: Die Künstler sahen und malten die Welt nicht schön, weil sie es nicht war… Tragik und Ehrlichkeit des Gezeigten springt den Betrachter gleicherweise an.

Leopold Museum:
GLANZ UND ELEND
NEUE SACHLICHKEIT IN DEUTSCHLAND
Vom 24. Mai 2024 bis zum 29. September .2024

 

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