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WIEN / Leopold Museum: MENSCHHEITSDÄMMERUNG

11.02.2021 | Ausstellungen, KRITIKEN

Menschheitsdämmerung Plakat. 2~1

WIEN / Leopold Museum:
MENSCHHEITSDÄMMERUNG
Vom 10. Februar 2021 bis zum 5. April 2021

Der seltsame Glanz aus der „Provinz“!

1918 war das, was nach dem Ersten Weltkrieg übrig geblieben war, eine Katastrophe für jedermann, natürlich auch für die Künstler. Denn auf einmal war Wien nicht mehr eine Welthauptstadt der Künste, sondern zerrissen von Elend, Armut, verlorenen Strukturen, ohne Hoffnung in die Zukunft sehend. Und die Künstler? Sie kamen aus Salzburg, Tirol, Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Niederösterreich, und viele von ihnen gingen heim. Die Kunst der Zwischenkriegszeit erblühte auch in der „Provinz“, die keine war. Das Leopold Museum liefert anhand von 11 Künstlerpersönlichkeiten einen Überblick über das malerische Schaffen Österreichs in der Zwischenkriegszeit.

Von Renate Wagner

Menschheitsdämmerung Egger Lienz Meer~1
Albin Egger-Lienz, wie keiner ihn kennt

Walde und Egger-Lienz – Aufarbeitung und Besinnung   Nach dem Ersten Weltkrieg gab es vor allem Sehnsucht – zum Beispiel nach Harmonie, zum Beispiel nach Beständigkeit, zum Beispiel nach der Natur als Gegenpol zur Zerstörung. Der erste Raum ist zwei Tirolern gewidmet, Alfons Walde und Albin Egger-Leinz. Walde war stets für seine Landschaften bekannt, und sein Blick auf den Schnee hat etwas geradezu Magisch-Meditatives. Aber Kurator und Museumsdirektor Hans-Peter Wipplinger, der hier auf die überreichen Bestände zurückgreifen konnte, die Rudolf Leopold als Sammler zusammen getragen hat, setzte nicht nur auf das Bekannte, sondern will jeden der elf Künstler in seiner Vielfalt aufblättern. Ein „Kirchgang“ von Walde mag zwar vom Thema her äußerlich „Folklore“ sein, zeigt aber genau, dass die Künstler ihren seelischen Rückzug nach dem Krieg keinesfalls mit einer Rückkehr zu harmonisierenden Realismus verbanden. Was stilistisch seit dem großen Bruch mit dem Historismus erzielt worden war, die österreichischen Künstler wendeten es an. Bei Albin Egger-Lienz ist es ähnlich. Eine Gruppe knorriger Bauern, die um den Tisch sitzt uns isst, mag etwas von Kontinuität erzählen. Aber der Künstler der selbst im Schützengraben lag, hatte grauenvolle Kriegserlebnisse zu verarbeiten, und es gibt erschütternde Beispiele dazu, etwa den „Protest der Toten“. Dass man den leider umstrittenen Egger-Lienz, der in der Nachwelt unter der Begeisterung leidet, die die Nationalsozialisten ihm entgegenbrachten, immer noch zu eng sieht, beweist ein Bild wie „Cherso“ – eine absolut faszinierende Meereslandschaft, die man a priori nicht mit ihm in Verbindung bringen würde.

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Kolig, Boeckl und der Expressionismus der Kärntner Anton Kolig, der aus Mähren über Wien ins Kärntnerische Nötsch kam und dort rund um sich einen der wichtigsten Künstlerkreise etablierte, war Kollege und Zeitgenosse von Oskar Kokoschka, der allerdings, sobald es um den Begriff „Expressionismus“ geht, alle seine österreichschen Kollegen in den Schatten stellt. Die Gründe dafür sind mannigfaltig und nicht immer objektiv – Koligs Männerdarstellungen, sein Selbstporträt gehen mit ihrer wilden Farbgebung in dieser Ausstellung ebenso unter die Haut wie die Werke des Kärntners Herbert Boeckl, der lange Zeit mit dem Nötscher Kreis eng assoziiert war. Dass der französische Einfluss, vor allem jener von Paul Cezanne mit seinen kraftvollen Farben und Formen, in vielen österreichischen Bildern wetterleuchtet, macht diese Ausstellung klar, bei Boeckl ist es besonders deutlich. Stillleben wirken geradezu wie Paraphrasen zu dem Vorbild. Das Leopold Museum kann hier übrigens auch seine Eigenerwerbung von Boeckls „Stilleben mit Ofenrohr“ zeigen, die noch aus glücklicheren Zeiten stammt, als man seine „Ersparnisse“ auch gelegentlich auf den Kauf von Meisterwerken verwenden konnte und sie nicht zur Bewältigung einer Pandemie dringend benötigte.

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Herbert Boeckl

Anton Faistauer und die stille Schönheit   Der Name Anton Faistauer ist dermaßen mit den Salzburger Festspielen verbunden – „jeder“ kennt seine Ausgestaltung des Foyers des Kleinen Festspielhauses (heute Haus für Mozart) mit ihrer schwungvollen, farbenfreudigen Stilisierung, die doch einen Hauch von Religiösem atmet -, dass man fast vergisst, dass er als Kollege und Zeitgenosse Schieles begonnen hat. Seine Werke zeigen später den unverkennbaren Einfluß der Franzosen, allerdings sehr persönlich in seiner schönen, eleganten Farbgebung. Wo Zeitgenosse Klimt einst seine spektakulären Frauenporträts malte, bestechen die Frauenbilder von Faistauer durch gewissermaßen stille Schönheit.

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Die weniger Bekannten: Frankl, Böhler, Dobrowsky  Nicht alle Künstler, die hier ausgewählt wurden, haben es zu gleicher Popularität gebracht. Gerhart Frankl, der zeitweise auch dem Nötscher Kreis angehörte, malte Natur und Stillleben in prachtvollen Farben. Als Jude zur Emigration gezwungen, hat er nach seiner Rückkehr nie wieder Boden unter den Füßen gefunden. Hans Böhler, aus der reichen Industriellenfamilie stammend, ist dem interessierten Leser kürzlich untergekommen, als man eine Biographie des „Kunst-Groupies“ Friederike Beer-Monti gelesen hat, die sich an Klimt, Schiele und Kokoschka herankuschelte (die beiden Erstgenannten haben sie immerhin gemalt) und einige Zeit die Geliebte von Hans Böhler war. Dieser lebte – die Gründe sind nirgends aufgeführt – während des Kriegs in den USA und war auch noch nach seiner Rückkehr nach Österreich erfolgreich, ohne überaus bekannt zu werden. Vielleicht rückt er mit seinen farbenprächtigen Werken durch diese Ausstellung wieder in den Fokus. Und auch Josef Dobrowsky hat es, vielleicht weil sein Werk so schwer zu „kategorisieren“ ist, nicht zur Bekanntheit manches seiner Zeitgenossen gebracht, ohne in der Qualität unter ihnen zu stehen – seine Landschaften sind von wunderbarer Intensität. Dass u.a. Alfred Hrdlicka, Wolfgang Hollegha, Josef Mikl und Florentina Pakosta seine Schüler waren, spricht auch für ihn

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Alfred Wickenburg

Wickenburg, Wacker, Pauser – Kubismus, Neue Sachlichkeit, Farbexpressionismus   Alfred Wickenburg, gebürtiger Steirer, verschrieb sich den Kubismus, ohne ihn allerdings zu weit zu treiben. Mit ihm kommt ein gänzlich neuer, geradezu verspielt-stilisierter, die Wirklichkeit brechender Ton ins Geschehen. Der Vorarlberger Rudolf Wacker, der vom expressionistischen Ausdruck zu einer österreichisch-gemilderten „Neuen Sachlichkeit“ fand, ist in der Ausstellung auch mit einer seiner charakteristischen „Puppen“ vertreten, die so viel absurdes Flair verbreiten. Der Niederösterreicher Sergius Pauser ist nicht so leicht einzuordnen – wie viele seiner Kollegen auch – , jeder Künstler wandelt sich im Lauf eines Lebens, probiert stilistische Möglichkeiten, und wird doch unter einzelne Begriffe zusammen gefasst. Von dem vielfältigen Pauser ist jedenfalls zu sagen, dass er mit dem „Mädchen vor dem Spiegel“ 1931 wohl eines der schönsten Bilder der Ausstellung geschaffen hat.

Menschheitsdämmerung Wacker~1  Menschheitsdämmerung Pauser~1
Rudolf Wacker / Sergius Pauser

Vielfalt als Konzept   Hans-Peter Wipplinger setzt in dieser Zusammenstellung nicht auf Konzepte, sondern auf Persönlichkeiten. Jeder Künstler hat einen eigenen Raum (oder zumindest seine eigene Abteilung), und jeder wird in seiner möglichen Individualität und Vielfalt zugleich erfasst. Das zeigt dann auch, wie viele verschiedene Blickwinkel innerhalb einer Epoche möglich sind, wie Farben leuchten oder fahl schimmern, wie wildes Verschmieren der Leinwand glatten, gebrochenen Flächen gegenüber steht, wie Melancholie und Ironie einander abwechseln. Schade nur, dass die Zeit nicht für einen Katalog gereicht hat. Gerade, weil diese Epoche nicht unbedingt über-dokumentiert ist und das Museum hier dermaßen „prunken“ kann, wäre der „Menschheitsdämmerung“ hier ein Buch zu wünschen, das die Bilder und die Erkenntnisse zusammen fasst.

Schiele Wirbt Für Coronamaßnahmen~1
Egon Schiele wirbt für Corona-Präventive!

Leopold Museum:
MENSCHHEITSDÄMMERUNG
Ebene Minus 1
Bis 5. April 2021, Mittwoch bis Sonntag und Feiertage, 10 bis 18 Uhr

 

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