WIEN / Leopold Museum
LUDWIG WITTGENSTEIN
FOTOGRAFIE ALS ANALYTISCHE PRAXIS
Vom 12. November 2021 bis zum 6. März 2022
Der Denker und das Foto
Es geht immerhin – vordergründig zumindest – um einen Philosophen. Kein Wunder, dass es die Ausstellung, die Ludwig Wittgenstein als Zugpferd im Titel führt, dem Zuschauer nicht leicht macht. Denn das zweite Thema ist Fotografie, und wie immer bei Leopold werden zeitgenössische Referenzen herangezogen. Das Gesamtthema lautet „Fotografie als analytische Praxis“. Durch diese theoretische Vorgabe muss man sich im ersten Untergeschloß des Leopold Museums kämpfen.
Von Renate Wagner
Ludwig Wittgenstein als Ausgangspunkt und Anlassfall Geboren 1889 in Wien, gestorben 1951 in Cambridge, ist Ludwig Wittgenstein heute ein Paradename des österreichischen Geisteslebens, wenn auch nicht alle, die seinen legendären „Tractatus logico-philosophicus“ im Mund führen, diesen auch gelesen haben dürften. Das menschliche Bewusstsein stand im Mittelpunkt seiner Überlegungen, ebenso die Frage, was die Sprache kann („Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“) . Und, wie die nunmehrige Ausstellung im Leopold Museum zeigen will, beschäftigte ihn auch die Fotografie mit der Frage nach der Bedeutung des „Bildes“ und der Identität. Wobei man eine an sich so theoretische Vorgabe schwer „bildlich“ machen kann, obwohl ausführliche Texte das gebotene Material begleiten.
Die Biographie Die Ausstellung will deklariert keine biographische sein, aber das ist letztendlich nicht zu umgehen – in zwei Räumen, die der Familie bzw. Wittgensteins berühmtem Fotoalbum gewidmet sind, rücken die „Verwandten“ und damit er selbst in den Mittelpunkt. Der Stammbaum ist ausufernd, schon der Vater hatte zehn Geschwister, Ludwig hatte sieben. Die Wittgensteins (durch Heirat verbunden den Figdors, den Kallmus’) waren eine der reichsten Familien Wiens, jüdischer Herkunft, wobei man sich nicht nur gesellschaftlich, sondern auch religiös in den Katholizismus assimiliert hatte. Ludwig nabelte sich vom Reichtum der Familie ab und ging nach einem Ingenieursstudium in Berlin nach Großbritannien, wo er sich dann der Philosophie zuwandte. Noch vor dem Ersten Weltkrieg schrieb er seine ersten philosophischen Werke nieder. Während des Krieges Soldat in der österreichischen Armee, wurde er anschließend für einige Jahre Dorflehrer in Niederösterreich. 1929 kehrte er nach Großbritannien zurück und lehrte Philosophie in Cambridge. Laut Wikipedia starb er 1951 mit den Worten an seine Freunde: „Sagen Sie ihnen, dass ich ein wundervolles Leben gehabt habe.“ Neben seiner Philosophie beschäftigten ihn auch soziale und künstlerische Projekte.
Fotos: Leopold Museum / Lisa Rastl
Unbekanntes Material Gut sechs Jahre lang haben die Kuratorin Verena Gamper und der Künstler Gregor Schmoll zusammen diese Ausstellung vorbereitet, wie sie bei der Presseführung erzählten. Die Basis war Material rund um Wittgenstein, das in den meisten Räumen in den zentral postierten Vitrinen zu finden ist. Dabei soll klar gemacht werden, wie sehr Wittgenstein das Medium Fotografie hinterfragte. Für Porträts bestand er darauf, dass nichts „inszeniert“ wurde, dass keine Details ablenkten – Gesichter wollte er vor einem weißen Hintergrund abgebildet (auch sein eigenes, dafür wurde wenn nötig ein Leintuch gespannt). Zu seiner Zeit modern waren die so genannten „Kompositporträts“, wo Bilder vieler Menschen über einander gelegt wurden, um durch Übereinstimmungen zu „typischen“ Merkmalen zu gelangen. (Was als „Forschung“ begann, wurde dann „rassekundliches“ Material für die Nazis…) Wittgenstein versuchte das mit sich und seinen Schwestern. Er hatte seine künstlerischen Ambitionen auch in dem Haus seiner Schwester Margarethe Stonborough-Wittgenstein ausgelebt und fotografierte die Räume dort. Die Wittgensteins konnten es sich auch leisten, die teuersten Fotografen der Zeit zu beschäftigen, um sich und ihre Besitztümer ablichten zu lassen, etwa Moriz Nähr, berühmt für seine Bilder von Klimt und Mahler.
Winzig klein Ungezählte „private“ Familienfotos haben die Kuratoren belassen, wie sie sind – oft kaum größer als eine Briefmarke und in unübersehbarer Fülle. Da muss man zur genauen Betrachtung zuhause den Katalog heran ziehen. Auch schickte man damals noch keine Selfies in die sozialen Medien, sondern sandte per Post beschriebene Ansichtskarten, von denen auch viele zu sehen sind. Dokumente, interpretierbar im Sinne des Philosophen.
Fotografie, flankierend Man kennt Museumsdirektor Hans Peter Wipplinger mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass er historisches Material immer mit gegenwärtigem verschränkt und Beziehungen sucht. In diesem Sinn sind moderne Fotografen vor allem auf der Suche nach dem Gesicht – ein ganz kunstloses Beispiel sind dabei übrigens viele Automatenbilder von Peter Handke. An den Wänden finden man meist Porträts, Künstler – ihre Liste ist sehr lang – auf der Suche nach Ähnlichkeiten, nach Ausdruck, nach Transformation. In diesem Sinn findet an den Wänden eine moderne Fotoausstellung statt, und in den Vitrinen ist es doch ein Personality-Porträt von Ludwig Wittgenstein geworden. Dokumente eines Lebens, die auch als Dokumente seines Denkens begriffen werden sollen.
WIEN / Leopold Museum / 1. Untergeschoß
LUDWIG WITTGENSTEIN
FOTOGRAFIE ALS ANALYTISCHE PRAXIS
Bis zum 6. März 2022, täglich außer Dienstag 10 bis 18 Uhr, feiertags geöffnet