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WIEN / Leopold Museum: FARBENRAUSCH

10.10.2015 | Ausstellungen, KRITIKEN

Jawlensky Kopf
Jawlensky „Mädchenkopf mit rotem Turban und gelber Agraffe“ (1912)
Alle Fotos: Osthaus Museum Hagen & Institut für Kulturaustausch, Tübingen

WIEN / Leopold Museum:
FARBENRAUSCH
Meisterwerke des deutschen Expressionismus
Vom 9. Oktober 2015 bis zum 11. Jänner 2016

Radikal subjektiv

Wien hat eine Reihe höchstrangiger Museen, deren Ausstellungen Kunstfreunden eine Reise wert sind – aber man muss natürlich auch Spektakuläres bieten. Das Kunsthistorische Museum, die Albertina, das Belvedere, das Kunstforum und natürlich in diesem Kreis das Leopold Museum kämpfen jeweils um die attraktivsten Themen. Wenn man bei Leopold nun unter dem Titel „Farbenrausch“ den deutschen Expressionismus anbietet, so mit dem Hinweis, dass die zahlreichen, immer präsenten Schiele-Werke des Hauses Spitzenleistungen des österreichischen Expressionismus darstellen – quasi als Draufgabe. Dazu der geradezu magische Kopf einer Jawlensky-Dame mit großen Augen und seltsamem Schmuck lockt vom Plakat herab: Der Erfolg scheint garantiert

Von Heiner Wesemann

Die Sammlung Osthaus Karl Ernst Osthaus (1874–1921) zählte zu jenen Männern mit Geld, die sich dem Sammeln von Kunst verschrieben haben. Er starb kurz nach dem Ersten Weltkrieg, wo der Expressionismus zwar schon „wütete“, aber noch lange nicht an seinem Ende angelangt war. Das bedeutete, dass er das unmittelbar Neueste, das damals entstand, erwarb. Was heute von Osthaus (dessen Besitz auch eng mit der „Folkwang Sammlung“ zusammenhängt, die nach Essen verkauft wurde) noch existiert, ist das Museum Osthaus in Hagen (im Ruhrgebiet). Es befindet sich in einem Gebäude, das er noch selbst von Henry van de Velde errichten ließ.

Selbstverständlich waren die Expressionisten, ob sie sich in Berlin zur „Brücke“ oder in München zum „Blauen Reiter“ zählten, für die Nationalsozialisten nicht salonfähig und wurden in die Schublade der„entarteten Kunst“ geschoben. Das Museum Osthagen konnte also erst nach 1945 neu zusammen getragen werden. Nun hat man aus diesem Museum eine Expressionisten-Schau zusammengestellt, die auf Wanderschaft geht, mit Wien als erster Station. Hier steuert das Leopold Museum als Aussteller zu den Werken von Osthaus rund 30 Exponate aus eigenem Besitz bei. Als nächste Station wird das Ernst Barlach Haus in Hamburg die Ausstellung zeigen.

Kirchner Künstlergruppe~1
Ernst Ludwig Kirchner „Künstlergruppe“ (1913)

Farbe, Farbe, überall Bedenkt man, dass die Ausstellung rund 30 Gemälde und 80 Papierarbeiten aus Hagen zeigt, so ist der Farbenrausch ja nur in Öl in ganzer Strahlkraft nachzuvollziehen. Allerdings haben sich die Ausstellungsgestalter starkfarbige Wände einfallen lassen, die – ob rot, blau, grün, gelb und Zwischenfarben – den Knalleffekt vieler expressionistischer Gemälde aufnehmen, auch manchmal potenzieren. Ernst Ludwig Kirchner, Alexey von Jawlensky, Emil Nolde oder Gabriele Münter (zwar nur mit einem Werk vertreten, aber dieses ist ein Meisterstück) haben hier im Bereich „Farbe“ wohl die stärksten Akzente gesetzt, sowohl in der Aggressivität, mit der sie eingesetzt wird, wie in dem Anti-Realismus, den sie der Wirklichkeit gegenüber einnimmt.

Radikal subjektiv Die wahren großen Künstler haben, ohne Rücksicht auf ihre Umwelt, stets schon ihr ICH in den Mittelpunkt ihres Schaffens (und auch des Lebens) gestellt. Bei den Expressionisten wurde dies zum Konzept. Sicher hatten Vorgänger schon gegen die „Akademie“-Kunst protestiert, die Impressionisten mit der Auflösung des vorgegebenen Realismus, der Jugendstil mit seinem hintergründig-formalen Ästhetizismus. Doch der Expressionismus empfand sich als „Kampfkunst“ – dass der Erste Weltkrieg daneben zeitgleich etablierte Gesellschaftsordnungen zerstörte, kam ihnen gerade recht. „Radikal subjektiv“ zu sein wurde so etwas wie Programm, obwohl Gemeinsamkeiten in losen Gruppierung wiederholt erkennbar waren. Man kann diese Überbetonung des eigenen Ichs bei jedem einzelnen Künstler, die hier geboten werden, verfolgen.

Münter, Landschaft~1
Gabriele Münter, Landschaft mit weißer Mauer, 1910

Eine Frau und viele Männer Die Auswahl von 16 Künstlern, lauter erste Namen, beinhaltet nur eine Frau: Gabriele Münter (1877 bis 1962, zeitweilig die Lebensgefährtin von Wassily Kandinsky), aber ihre „Landschaft mit weißen Mauern“ ist ein Spitzenwerk der Ausstellung. Im übrigen liegen schon von der Quantität her (von der Qualität nicht zu sprechen) eindeutige Schwerpunkte bei Ernst Ludwig Kirchner und bei Christian Rohlfs, der Hagen besonders verbunden ist (er ist dort gestorben und begraben, das Osthaus Museum widmet ihm einen eigenen Raum).

Schmidt Rottluff, Boote~1
Karl Schmidt-Rottluff, Boote am Wasser (1913)

Von den Schwierigkeiten der Gliederung Gewisse Themengruppen wurden damals bevorzugt behandelt, sei es die Entfremdung des modernen Menschen, sei es der Hang zur Ursprünglichkeit, das sowohl in Bewunderung primitiver Kunst wie auch in der Freikörperkultur seinen Niederschlag fand. Die Säle des Leopold Museums versuchen nun, die diversen Arbeiten in größere Zusammenhänge zu stellen, wie zum Beispiel „Land und Meer“ (darunter Karl Schmidt-Rottluffs „Boote am Wasser“) oder „Das Glück im Grünen“. Natürlich gilt gleichzeitig die Großstadt nicht nur als Antipode sondern auch als Feindbild. Der Expressionismus war von seinen Vertretern als eine Kunstrebellion oder als „Neue Geistigkeit“ empfunden worden, wo die Farbe sich verselbständigt hatte und ein neues Sehen verlangte. Entscheidend ist, wie die aufgebotenen Künstler selbst die Welt sahen – und das zeigen außer den schon Genannten auch Otto Mueller und Karl Schmidt-Rotluff, Franz Marc und Wassily Kandinsky, Max Pechstein und Lyonel Feininger, Erich Heckel und August Macke – die meisten Expressionisten sind ja doch sehr berühmt geworden. Durchaus zu Recht, wie diese Ausstellung wieder einmal beweist.

Leopold Museum
„Farbenrausch“: Meisterwerke des deutschen Expressionismus,
bis 11. Jänner 2016, täglich außer Dienstag 10-18 Uhr, Do bis 21 Uhr

 

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