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WIEN / Leopold Museum: CARL SPITZWEG – ERWIN WURM

28.03.2017 | Ausstellungen, KRITIKEN

Leopold Spitzweg Plakat~1 Leopold Spitzweg Wurm kniet~1
Fotos: Wesemann (in der Ausstellung fotografiert)

WIEN / Leopold Museum:
CARL SPITZWEG – ERWIN WURM
Köstlich! Köstlich?
Vom 25. März 2017 bis zum 19. Juni 2017

Der Hintergründige und der Vordergründige

Was hätten Carl Spitzweg (1808-1885) und Erwin Wurm (geboren 1954) wohl gemeinsam? Deutsches „Biedermeier“ und aggressive Gegenwarts-Satire? Selbst Erwin Wurm hat den Zusammenhang nicht gesehen, wie er in der Pressekonferenz der Ausstellung eingestand. Aber Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museums, war davon überzeugt, dass eine Konfrontation beider Künstler für beide interessante Aspekte ergeben könnten. Und tatsächlich – die Satire bei Spitzweg wird schärfer, der zu bekämpfende „Biedermeier“-Aspekt bei Wurm desgleichen.

Von Heiner Wesemann

Carl Spitzweg – verstreut in alle Welt Zuerst geht es um Carl Spitzweg und um die größte Ausstellung dieses Künstlers, die in Österreich je zu sehen war. Man hat vieles auch aus Privatbesitz oder entlegenen Regionen geholt: Das Gemälde „Die Ankunft der Postkutsche“ befand sich einst im Besitz von Kaiser Franz Joseph, wurde vermutlich an eines seiner Enkelkinder vererbt, landete in der Eckhart G. Grohmann Collection in Milwaukee und ist für diese Ausstellung wieder (für kurze Zeit) nach Wien zurück gekehrt. Besonders reichhaltig ist das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt bestückt, wo man über 250 Werke von Spitzweg besitzt und – erstmals, wie Hans-Peter Wipplinger betonte, wurde eine große Anzahl von Werken entliehen. Es ist interessant, dass die einzigen Spitzweg-Werke in österreichischem Besitz sich in Salzburg befinden. Das gibt dieser Schau mit ihrem über 100 Werke umfassenden Angebot von Malerei und kommentierender Graphik ihren besonderen Stellenwert: „Der arme Poet“ etwa, ein Sujet von geradezu legendärer Berühmtheit, ist nicht nur als Ölgemälde, sondern auch als (in vielen Details unterschiedliche) Studie vorhanden. Man beachte die Zipfelmütze: Bedeutete sie wirklich „Jakobiner“, bedeutete sie „Widerstand“, oder kann man in nachweltlichem Eifer, jeden Künstler „politisch“ zu machen, auch über-interpretieren?

Leopold Spitzweg Mönche~1 Leopold Spitzweg Kaktusliebhaber~1

Spitzweg, der Hintergründige Man steht vor Spitzwegs Hauptwerken, alle übrigens nicht das, was man als „großformatige Gemälde“ bezeichnen kann. Als ob der Künstler die „kleine Welt“, die er schilderte, auch nur im Kleinformat abbilden wollte. Da ist er, der „Bücherwurm“, der alte Mann, der unbequem auf einem Schemel steht. Denn er hat nicht nur ein Buch unter dem Arm und ein anderes zwischen die Beine gequetscht, er hält eines in der linken Hand und steckt die Nase in jenes, das er in der rechten hält. Eine Studie der totalen Konzentration, Verinnerlichung, auch der Isolation. Man kann darüber lachen. Man kann auch darüber philosophieren. Und diese Hintergründigkeit ist so gut wie in allen seinen Bilder vorhanden. Und wenn vor allem die einsamen Sonderlinge zu dominieren scheinen – wie auch anders, wenn man aus Germering-Unterpfaffenhofen (in der Nähe von München) stammt, lebenslang ein Außenseiter war, Junggeselle zumal, also vielleicht wusste, wovon man malte? Dass er mit ähnlicher, verbohrt glücklicher Konzentration vor seiner Staffelei saß, wie seine Figuren sich in die Objekte ihrer Obsession versenkten?

Leopold Spitzweg Rabe

Der genaue Blick Aber Spitzweg, leidenschaftlicher Reisender, intensiver Beobachter, sah zwar in erster Linie die Komik im Alltag, die er köstlich umsetzte – ein Kaktusliebhaber, der sich seiner Pflanze so entgegenneigt, wie diese sich ihm… ein Schmetterlingsfänger, der nur in ein erstauntes „Oh“ angesichts eines besonders schönen, großen Exemplars ausbrechen kann… ein freundlicher Herr, der in seiner „Dachstube“ beglückt die paar Pflanzen auf seinem Erker gießt, rund um ihn nur Dächer. Das sind die Sonderlinge, die man nicht a priori für unglücklich halten muss. Aber dass die Mönche keine frommen Herren sind, sondern ganz schön schlemmen, dass die Beamten ein Faulpelzleben führen, die Bürger sich auf der Jagd lächerlich machen, ein Sonntagsspaziergang vielleicht nicht die reinste Idylle ist, ergibt sich bei näherem Hinsehen. Ganz zu schweigen von einem „Raben“, der zwar auf einem Strauch hockt – aber wirkt der Mann unter dem Spitzhut, wieder einmal in ein Buch vertieft, nicht wie eine leibhaftige Poe-Figur? Kaum anzunehmen, dass Spitzweg die Erzählung aus dem Jahre 1845 gekannt hat, aber wer weiß? Eines scheint sicher: Auch wenn er dahingehend rezipiert wurde, Spitzweg hat seinen Blick auf die Welt nicht als Idylle angelegt.

Der Wurm als Kommentar Die Spitzweg-Ausstellung allein würde jeden Kunstfreund in hohem Maße zufrieden stellen. Aber da ist jetzt noch Erwin Wurm. Auf seinem berühmten Foto, wo er kniend mit einer Zitrone im Mund und betend gefalteten Händen erscheint, bittet der Künstler um Gnade. Er muss es nicht. Er ist zwar alles andere als hintergründig, im Gegenteil, seine Werke knallen ihre Aussage vordergründig auf den Betrachter zu. Aber was er zu zeigen hat, konnte Hans-Peter Wipplinger manchmal geradezu erstaunlich mit Spitzwegs Welt in direkten Zusammenhang bringen.

Leopold Spitzweg schmales Haus innen~1 Leopold Spitzweg Wurm blickt nach links~1

Das enge Städtchen, das enge Haus und andere Beengungen Vor allem natürlich den „glücklichen Winkel“, bei Spitzweg scheinbare (oder teilweise sicher auch echte) Kleinstadt-Idylle, bei Wurm das „Narrow House“, fast in Originalgröße aufgebaut, nur eben schmal-gequetscht, Sinnbild der Enge schlechthin. Oder die Wurm’schen Gürkchen auf vielen weißen Podesten, wobei er eingestandenermaßen an das männliche Glied in seinen vielen möglichen Ausformungen gedacht hat – ob die Spitzweg-Kakteen phallisch waren? Er wäre nicht der klassische Kalender-Künstler, hätte die Mitwelt je daran gedacht… Und da ist ja auch Wurms „Ärgerbeule“, der kopflose Mann mit dem unter der Hose so ärgerlich erigierten Glied: Will Wipplinger unterstellen, dass der Spitzweg-Witwer, der zwei jungen Mädchen nachsieht, am Ende…?

Zeitverschiebung Das Staunen, das Spitzweg so oft und wundersam malt, bietet Wurm in zwei pervertierten Figuren: ein lang gedehnter, bäuchlings liegender Ludwig Wittgenstein, ein in Wülste versunkener Adorno-Kopf: Sie haben / hatten beide Sinn für Humor. Die Bücher, die Wurm hinlegt (Adorno, Wittgenstein…) hätte der Bücherwurm noch nicht lesen können, da waltet die Zeitverschiebung, aber im Prinzip geht es darum. Nur in Sachen konkreter Politik ist Wurm geradliniger: Oder empfindet man die amerikanische Polizeimütze angesichts eines Trump-Amerika plötzlich so viel bedrohlicher?

Leopold Spitzweg Wurm Mütze~1 Leopold Spitzweg Wurms Gurkerln~1

Köstlich! Köstlich? Am Ende konzediert man dem Ausstellungsgestalter, dass er sein „köstliches“ Konzept erfüllt hat. Auch der Besucher, der für Spitzweg kommt, wird sich Erwin Wurm nicht entziehen können. Und über beide Herren und ihre Kunst lächeln. Und nachdenken.

Bis 19. Juni 2017, täglich außer Dienstag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr

 

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