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WIEN / Leopold Museum: ALFRED KUBIN

16.04.2022 | Ausstellungen, KRITIKEN

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WIEN / Leopold Museum:
ALFRED KUBIN
Bekenntnisse einer gequälten Seele
Vom 16.April 2022 bis zum 24. Juli 2022 

 

 

 

 

 

 

 

 

Angst als künstlerisches Kapital

„Nehmen Sie mir meine Angst nicht“, sagte Alfred Kubin noch kurz vor seinem Tod, „sie ist mein einziges Kapital“. Diese Angst nährte sein gesamtes künstlerisches Schaffen, durch welches das Leopold Museum nun einen mit 162 Werken aus seiner Hand ausführlichen, thematisch gegliederten Horror-Spaziergang bietet. „Bekenntnisse einer gequälten Seele“ hat Leopold-Direktor Hans-Peter Wipplinger die von ihm kuratierte Ausstellung genannt. Wovor der Mensch  sich nur fürchten konnte, Kubin hat es gestaltet. Natürlich waren auch Seuchen und Krieg sein Thema – das macht seine Apokalypsen in vielen Aspekten auch doppelt aktuell.

Von Renate Wagner

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Alfred Kubin und die Verletzungen eines Lebens      Geboren am 10. April 1877 in Leitmeritz in Böhmen, ein Sohn der Habsburger Monarchie, der zwei Weltkriege erlebte,  gestorben hoch betagt am 20. August 1959 im oberösterreichischen Zwickledt, wo sein Wohnhaus heute ein Kubin-Museum ist.

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Er war dem Land Oberösterreich, wo er lange lebte, sehr verbunden. Biographie und Werk zu trennen, ist im Fall von Kubin laut Kurator Hans-Peter Wipplinger nicht möglich. Allein die Schrecken der Kindheit – der Tod der Mutter, ein frühes Erlebnis als Opfer sexueller Belästigung – haben ihn lebenslang traumatisiert. „Jede Nacht besucht uns ein Traum“, nannte er eine Zeichnung, und diese Träume waren durchwegs schrecklich. Vorstellungen, die er aus Mythen, aus der Kunstgeschichte bezog, wurden gestaltet – darin geistern skurrile Mischwesen herum, werden urzeitliche Kosmen ebenso beschworen wie mysteriöse Gewalten. Der Krieg mit seinen Zerstörungen, Seuchen,  der unentrinnbare Tod – in Kubins Werk leuchtet kein Licht in der Finsternis.

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Farbe (fast) nur bei den Kollegen    Wipplinger hat, wie es im Leopold Museum lobenswert üblich ist, auch Kubin in den Kontext der Kunstgeschichte, sprich: seiner Zeitgenossen gestellt. Künstler, die seine Themen streifen, sind mit „verwandten“ Werken vertreten – Goya mit den Traumvisionen, James Ensor mit „Maskeraden“, Edvard Munch für ein dämonisches Frauenbild. Man begegnet auch Zeitgenossen wie Stuck, Böcklin, Klinger, Moreau, Khnopff , Klinger, Moll und anderen Größen der Zeit. Mit ganz, ganz wenigen Ausnahmen, wo Kubin seine Zeichnungen diskret „aquarellierte“ und mit etwas Farbe versehen hat, ist er ein Künstler des Schwarz-Weiß und der zahllosen Grautöne. Wenn die Ausstellung dennoch immer wieder „bunt“ ist, sorgen dafür die Zeitgenossen. Wie verschieden man die Dinge sehen kann, zeigt etwa der „Rote Engel“, ein großes Gemälde von Karl Meditz – auch hier sieht man die dämonische, gefährliche Frau, aber in einer verlockenden Schönheit, zu der Kubin nie imstande gewesen wäre. Realismus war überhaupt nicht seine Sache, eher kann man ihm im weitesten Sinn dem Surrealismus zuschreiben.

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Die Angst vor der Frau      Um die Jahrhundertwende wurde die Männerwelt durch ein neues Frauenbild beunruhigt, teils durch die Emanzipation, teils durch die  aggressive, selbst bestimmte Erotik. Für Kubin war die Frau die Männerzerstörerin, nicht nur diejenige, die das Leben weiter gab, sondern auch jene, die es beendete.

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Er schildert das in Zeichnungen wie „Das Ei“, wo neben der Hochschwangeren schon das ausgegrabene Grab wartet, oder in „Die Dame auf dem Pferd“, wo die Kufen des Schaukelpferdes aus Eisen sind und die Männer zerstückeln… Als Gegenpol schuf er Gewaltszenen gegen Frauen, Vergewaltigungen, Verzerrungen.

„Ich ist ein anderer“    Wesentlich war für einen so zerrissenen Menschen die Identitätsfrage, die er auch in Worten darstellte. Aber bei Doppeltalenten, wie er es war, entscheidet die Nachwelt. So, wie der große Schriftsteller Adalbert Stifter den durchaus nicht unbedeutenden Maler Stifter in den Hintergrund drückte, verschwindet der Autor Kubin beinahe hinter dem Zeichner.  Kubin hat nicht nur mit dem „phantastischen Roman“ namens „Die andere Seite“ eine – wie Wipplinger andeutet „geschönte“ –  Pseudo-Autobiographie hinterlassen, sondern auch zahllose Briefe, in denen er wichtige Probleme behandelte (viele Briefwechsel sind veröffentlicht). Die Metawelten, die Kubin als bildender Künstler kreierte, begleiten auch seine literarische Suche nach den Facetten des Ichs – auch in seinen vielen Buchillustrationen. In diesem Abschnitt der Ausstellung steht auf der Suche nach Facetten des „Mensch-Seins“ etwa dem „Irrenhaus“ von Goya der „Narr“ von Kubin gegenüber…

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Zuletzt der Tod      „Ohnmächtig ins Nichts zurück“ kann der Mensch in Kubins Vorstellung in dem aufgerissenen Maul des Orkus landen oder auch eine Treppe  hinauf gehen. Hier wohnt jedenfalls das „Grausen“, hier wird ein Trauermarsch zum Hohn, hier schlägt die Todesstunde. Interessant, dass es am biographischen Ende der Ausstellung ein Foto von Kubins Totenmaske gibt – und er auf dieser zu lächeln scheint…

Leopold Museum:
ALFRED KUBIN
Bekenntnisse einer gequälten Seele
Bis 24. Juli 2022,
täglich außer Dienstag 10 bis 18 Uhr,
an Feiertagen geöffnet

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