WIEN / Kunsthistorisches Museum:
CRANACH DER WILDE
DIE ANFÄNGE IN WIEN
Vom 21. Juni bis zum 16. Oktober 2022
Der wilde „freie Künstler“
Cranach kennt man doch – meint man. Er malte Adam und Eva, Venus (und für die damalige Zeit erstaunlich viele Nackte), Luther, religiöse Bildnisse und Altäre, markante Männerporträts. Unter der erlesenen Schar deutscher Maler Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts rund um Großmeister Albrecht Dürer, steht er in vorderer Reihe. Und doch stellt sich die Frage, ob man alles über Cranach weiß, beispielsweise über seine Anfänge. Diese spielten sich einige Jahre lang nach der 1500-Wende in Wien ab. „Cranach der Wilde“ nennt das Kunsthistorische Museum seine Ausstellung zu diesem Thema. Gezeigt wird, dass sich der 30jährige in seinem bemerkenswerten Frühwerk von dem späteren sächsischen Hofmaler doch spür- und sichtbar unterschied.
Von Heiner Wesemann
Lucas Cranach, genannt „der Ältere“ Lucas Cranach, geboren 1472 im fränkischen Kronach, gestorben 81jährig 1553 in Weimar, die meiste Zeit seines Lebens in Wittenberg ansässig, ist Zentrum einer großen Künstlerfamilie. Er lernte bei seinem Vater und hatte mehrere als Maler gleichfalls geschätzte, wenn auch nicht ganz so berühmte Söhne. Als kursächsischer Hofmaler für Friedrich den Weisen und seine Nachfolger wurde Cranach reich und berühmt (und für seinen Geschäftssinn bekannt, den er wie viele Maler-Stars durch die Arbeit einer Werkstätte multiplizierte). Was Kaiser Maximilian I. für Dürer war, Kaiser Karl V. für Tizian und Heinrich VIII. für Hans Holbein, das war Martin Luther für Lucas Cranach – jene historische Persönlichkeit, die er immer wieder malte und dessen Porträts ikonenhaft das Bild des Gestalteten in der damaligem Gegenwart und in alle Zukunft fixierte.
Anfänge in Wien In den meisten Biographien Cranachs werden seine Wiener Anfänge nur nebenbei behandelt, da man wenig Genaues darüber weiß – vor allem nicht, warum sich der bereits fast dreißigjährige Künstler dorthin wandte. Jene Maler, die man später unter dem Begriff „Donauschule“ zusammen fasste (und zu denen man den jungen Cranach zählt), arbeiteten keinesfalls nur hier. Aber wenn der Franke sich ausgerechnet hatte, in den Humanistenkreisen der geistig regen Universitätsstadt Anschluß zu finden, ging diese Rechnung auf. Auch später ein berühmter „Netzwerker“, fand Cranach hier „Kunden“ für Porträt- und sonstige Aufträge. Und er zeigte als „freier Künstler“, der keinem Herren untertan war, mehr Mut und Unternehmungslust als später in seinem Leben. Wien erwies sich für Cranach dann als Sprungbrett für seine 1505 angetretene herausragende Hofstellung in Sachsen.
Alternative Zugänge Wenn Dürer zu dieser Zeit Kreuzigungsszenen noch in edler Manier (mit goldenen Glorienscheinen) malte, so fand Cranach in Wien hier zu dramatischer Bewegtheit, ob es der heftig wehende Lendenschurz des Gekreuzigten war oder die dramatisch-dunklen Wolken, die sich hinter ihm ballten. Die wie ein Familienbild gehaltene „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ ist von einer durchaus unheiligen Bewegtheit, so dass man sich später, als das Bild im 19, Jahrhundert in Rom auftauchte, fragte: Ist das wirklich Cranach? Auch der büßende Hieronymus wirft sich mit einer Ekstase in die Knie, dass man die Figur, nähme man sie allein aus dem Bild heraus, als geradezu barock erachten könnte.
Die doppelten Eheleute Es war zu dieser Zeit nicht üblich, Eheleute auf einem Bild zu vereinen, aber so wie Cranach 1502 das Ehediptychon des Dr. Johannes Cuspinian und der Anna Cuspinian-Putsch malte, hätte man die Bilder rein von der Hintergrundlandschaft her zusammen fügten können. Für Frauengesichter hatte Cranach zeitlebens nicht die nötige individualisierende Hand, sie blicken alle (wie Anna Putsch) ein bisschen gelangweilt und wirken dadurch langweilig. Aber für seine Männerporträts wurde er berühmt, vor allem die reich und stark charakterisierten Gesichter. Auch hier bietet dieses Wiener Frühwerk (aus Winterthur angereist) eine Ausnahme – das Antlitz von Johannes Cuspinian ist fast impressionistisch weich gezeichnet, der Humanist, Dichter und Diplomat blickt wie träumerisch in die Welt und unterscheidet sich grundlegend von Cranachs späteren Männerporträts.
Die Winterthur / Wiener Ausstellung Gewiß werden den Sommer über die „Iron Men“, die großartige Rüstungen-Schau, die Hauptattraktion des Kunsthistorischen Museums bleiben, denn die Cranach-Ausstellung, in zwei kleinen Räumen untergebracht – „Klein, aber sehr fein“, wie Direktorin Sabine Haag feststellte -, ist einfach vom Umfang her zu klein, um Publikumsmassen anzuziehen. Von Anfang an hat die Sammlung Oskar Reinhart „Am Römerholz“ in Winterthur mit dem Kunsthistorischen Museum zusammen gearbeitet, weil man einfach aus dem Besitz der Institutionen viele Werke aus Cranachs Frühzeit zusammen führen konnte. Wien stellte auch den Kurator Guido Messling, der im KHM für deutsche Malerei zuständig ist (von der Winterthur-Seite kuratierte Sammlungsleiterin Kerstin Richter). In Winterthur hieß die Ausstellung auch „Cranach. Die Anfänge in Wien“ (was auch der Titel des Katalogs ist), während man sich in Wien für „Cranach der Wilde“ entschied, ein lockender Titel, der das nicht ganz so wilde Gebotene heutig-medial anpreist. Neben den zentralen Ölgemälden gibt es auch eine Anzahl großartiger Graphiken und Zeichnungen sowie Buchwerke aus der Zeit zu sehen.
Kunsthistorisches Museum:
CRANACH DER WILDE
Bis 16. Oktober 2022.
Täglich 10 bis 18 Uhr, Donnerstag, 10 bi 21 Uhr