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WIEN / Kunstforum Wien: KÜNSTLERINNEN DER ART BRUT

18.02.2019 | Ausstellungen, KRITIKEN

WIEN / Kunstforum Wien:
FLYING HIGH:
KÜNSTLERINNEN DER ART BRUT
Vom 15. Februar 2019 bis zum 23. Juni 2019

Wenn aus Therapie Kunst wird

„Art Brut“ wurde als Begriff von dem französischen Künstler Jean Dubuffet geschaffen, der sich selbst von den Arbeiten von Geisteskranken inspirieren ließ. Österreich hat mit Werken aus „Gugging“, die schon seit Jahrzehnten hohe Reputation genießen und ihren Platz im Kunstmarkt gefunden haben, eine eigene „Art Brut“-Tradition. Das Kunstforum unternimmt es nun, diese Kunst in Hinblick auf die weiblichen Vertreterinnen zu betrachten.

Von Heiner Wesemann

Die Frauen in der Art Brut Im Katalog zur gegenwärtigen Art Brut-Ausstellung erinnert sich Direktorin und Kuratorin Ingried Brugger daran, dass das Kunstforum bereits vor zwei Jahrzehnten in der Ausstellung „Kunst und Wahn“ dieses Thema behandelt hat. Damals diskutierte man heftig den „Primitivismus“ – und dachte gar nicht daran, nach dem Frauenanteil zu fragen: „Ein Umstand, der weder den Kuratoren noch den Besuchern noch den Rezensenten aufgefallen ist.“ So ändern sich die Zeiten. Nun ist der Nachholbedarf bezüglich der Genderfragen stark (das Belvedere konzentriert sich derzeit auch auf Kunst von Frauen), und hier wie dort fragt man sich, ob es eine spezifische „Frauenkunst“ gibt. Möglicherweise bei der Art Brut noch eher als in der Welt der selbst gewählten „Künstlerinnen“, weil Frauen vermutlich eher als Männer zu Stoffen und Wolle greifen, um etwas zu gestalten.

Als Therapie hat es begonnen Art Brut begann in Psychiatrischen Anstalten, begann mit der Beschäftigungstherapie der Kranken, begann mit der Idee der Ärzte, aus den Produkten etwas „herauslesen“ zu können. Man sieht in der Art Brut-Ausstellung deutlich, wie es hier nie grundsätzlich um „Kunst“ ging – man hat einfach etwas „gemacht“. Nicht nur gezeichnet und gemalt, sondern auch Stoffe bestickt, Materialien appliziert, gebastelt, Collageartiges gestaltet. Die Welt der Kinderzeichnung spielt hier ebenso herein wie „naive Malerei“, einiges ist „gekritzelt“, einiges wie „ausgemalt“, einiges formal experimentiert, manches ornamental gestaltet. Es gibt Werke, die an Vorbilder gemahnen (man würde vermuten wollen, Elsa Blanenhorn habe Chagall-Werke gesehen und diese paraphrasiert), manches ist ein echt kreativer, gestalterischer Akt: Nicht jeder könnte, wie es Julia Krause-Harder es tut, Dinosaurier aus diversen Plastik-Stücken basteln. Ihre „Krankheit“ besteht darin, dass sie sich einbildet, die Tiere riefen nach ihr, und es sei ihre Mission, alle bekannten 800 Saurier-Arten zu gestalten.

Auf den Spuren der Sammler Da Art Brut keine Schule ist und kein System hat, gibt es auch kein logisches Gestaltungsprinzip. Die Ausstellung geht daher nach den Sammlern vor, wobei es sich (mit Ausnahme von Dubuffet) vordringlich um Psychiater (immer Männer!) handelt, die die Werke der Patienten – in diesem Fall Patientinnen – zusammentrugen. Hans Prinzhorn, Walter Morgenthaler, das Gugging von Leo Navratil, die Sammlung L’Aracine – sie sind es, die dann für die Einteilung der Ausstellung sorgen (und man geht durch Tore mit ihren Namen in die einzelnen Räume).

Jede eine Welt für sich Man kann angesichts der Werke weder einen roten Faden noch einen großen Zusammenhang sehen. Solcherart ist es ein buntes Sammelsurium, dem man begegnet – und die Ausstellung entspricht ihrem „Fly High“-Motto schon in der Einganghalle, wenn dort titellose Stoff- und Wolle- und Holzbündel von Judith Scott in der Luft hängen. Im Ganzen sind es 93 „Künstlerinnen“ (Kurzbiographien sind in einem Heftchen kostenlos erhältlich), die auch Kranke sind, und die Entscheidung, ob alles, was hier gezeigt wird, auch von Talent zeugt, also genuin der „Kunst“ zuzuordnen ist, fällt schwer. Manches mag auch eine Modeerscheinung sein. Dass man Verblüffendes sieht und erlebt, steht außer Frage.

WIEN / Kunstforum Wien:
FLYING HIGH: KÜNSTLERINNEN DER ART BRUT
Bis zum 23. Juni 2019, täglich 10 bis 19 Uhr, Freitags bis 21Uhr

 

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