Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Kunstforum: THE CINDY SHERMAN EFFECT

28.01.2020 | Ausstellungen, KRITIKEN

 

WIEN / Bank Austria Kunstforum:
THE CINDY SHERMAN EFFECT
IDENTITÄT UND TRANSFORMATION IN DER ZEITGENÖSSISCHEN KUNST
Vom 29. Jänner 2020 bis zum 21. Juni 2020

Und wer bin eigentlich ich?

Das Selbstporträt hat es in der Kunst immer gegeben, und stets haben sich Künstler gestylt, drapiert, in Pose geworfen, um genau jenes Bild von sich zu vermitteln, das sie der Mit- und Nachwelt zeigen wollten. Die Künstlichkeit der Identitäten ist also absolut nicht neu. Dennoch hat Cindy Sherman, Jahrgang 1954, in den siebziger Jahren die Diskussion neu angestoßen – und heute, in der Selfie-Welt, ist das „Ich“ (genauer: Ich, Ich, Ich!) eine der zentralen Befindlichkeiten. Das Bank Austria Kunstforum geht der Frage mit zahlreichen Werken Shermans und von 20 weiteren Zeitgenossen nach.

Von Renate Wagner

 

Wie sehe ich mich?   Es ist vielleicht ein wenig affektiert, dass man die Räumlichkeiten des Kunstforums auf der Freyung für diese Ausstellung umgepolt hat, dass man den Zuschauer nicht in den effektvollen, zentralen Innenraum eintreten lässt, sondern durch den Shop in die Seitenräume führt. Völlig einsichtig ist es nicht, aber jedenfalls steht man auf der Stelle vor dem berühmten Foto, wo Cindy Sherman – von einem Badetuch umhüllt – in den Badezimmerspiegel schaut, deutlich posierend, aber ebenso deutlich die Frage stellend: Wer bin ich eigentlich? Zahllose unbetitelte Fotos gerade von Sherman selbst bezeugen, dass Frausein auch ein Rollenspiel ist, dass man sich von naiv bis sexy, von nachdenklich bis herausfordernd, präsentieren kann, wie man nur will – auch als moderne „Madonna lactans“ mit nackter Brust, ein in der Kunstgeschichte immer wieder zu findendes Motiv, in der heutigen Form im Grunde irritierend. Man trifft mit dieser Ausstellung in eine Welt gewollter Künstlichkeit ein: Julian Rosefeldt  präsentiert Cate Blanchett als ihr Filmstar-Ich und verkleidet als Karl Marx. Ein „Ich“ ist kein fest gefügtes Wesen mehr, sondern eine fluktuierende Form – gerade in einer Welt, die ja auch immer wieder mit dem Schlagwort arbeitet: „Erfinde dich neu!“ Cindy Sherman hat es getan, und viele ihrer Kolleginnen auch. Foto um Foto, viele Porträts, die Menschen „scheinbar echt“ oder „echt verkleidet“ zeigen, werfen immer neue Fragen auf. Die Antwort auf „Wer bin ich“ lautet allerdings: Ich weiß es nicht.

Reizüberflutung     Noch nie hat man in einer Kunstforum-Ausstellung einen so großen Teil der Räume der Videokunst gewidmet. Die bewegten Bilder erweitern die Möglichkeiten, sich selbst grotesk, in wilden Schnitten, stets anders zu präsentieren. Nichts, was hier gezeigt wird, ist auch nur im geringsten „echt“, der Mensch ist seine eigene Inszenierung – und das, wie man in einer von Smartphone-Videos überfluteten Welt weiß, nicht nur in der Kunst, sondern auch im Leben. Sich in den sozialen Medien selbst darzustellen, für sich und mehr noch für die anderen, ist ein Bedürfnis geworden, dem man blind und unhinterfragt folgt.

Sexualität und Verfall      Eine der brutalsten Zur-Schau-Stellung von Sexualität gelang Sherman mit einem wie üblich „Untitled“-Foto von 1992: Die Torsi eines männlichen und weiblichen Unterleibs mit Schwerpunkt Genitalien, in der Bauchmitte an einander gefügt, mit einer Schleife zusammen gebunden. Man meint, dass die Kunst ihre Schockwirkung verloren habe, aber hier stellt sie sich dann doch ein. Der schwarze Frauenkörper von Zanele Muholim, der Kopf am Bild ist abgeschnitten, präsentiert sich mit einem umgeschnallten weißen Penis. Eine Plastikpuppe von Cindy Sherman streckt dem Betrachter ihr Genital entgegen. Monica Bonvicini nennt zwei in der Luft hängende Leder-Gürtel-Sexspielzeuge „Pas de Deux“. Douglas Gordon schneidet aus dem Foto seines Gesichts Augen und Mund heraus und versengt das Werk teilweise. Zerstörung spielt eine große Rolle in unserer Welt – also auch in der Kunst.

Bank Austria Kunstforum:
THE CINDY SHERMAN EFFECT
IDENTITÄT UND TRANSFORMATION IN DER ZEITGENÖSSISCHEN KUNST
Vom 29. Jänner 2020 bis zum 21. Juni 2020.
täglich von 10 bis 19 Uhr, Fr bis 21 Uhr

 

Diese Seite drucken