WIEN / Kunstforum Wien:
GAUGUIN UNEXPECTED
Vom 3. Oktober 2024 bis 19. Jänner 2025
Entrüstung einmal beiseite gelassen
Mit GAUGUIN im Kunstforum hat Wien nun neben CHAGALL in der Albertina und REMBRANDT im Kunsthistorischen Museum drei Großausstellungen zu Weltklasse-Künstlern zu bieten, die vermutlich einen starken Ausstellungs-Tourismus in Gang setzen werden. Dabei sollte man bei „Gauguin“ einmal davon absehen, sich über den Mann und seine Zeit moralisch zu entrüsten. Interessanter ist es, auf das Werk zu blicken, das – wie der Untertitel der Ausstellung: „unexpected“ verspricht – hier viele Aspekte betont, die man angesichts des überpopulären „Tahiti-Gauguin“ meist übersieht.
Von Renate Wagner
Paul Gauguin (1848–1903) Geboren in Paris, verbrachte Paul Gauguin seine Kindheit (auf der Flucht vor der Revolution) in Lima, Peru. 1863 zurück in Frankreich, bewies er die Unstetheit, die sein ganzes Leben kennzeichnete, und wurde Seemann. Wieder in Paris, hatte er Erfolg als Börsenmakler, heiratete eine Dänin, hatte fünf Kinder mit ihr (und verließ die Familie ohne weiteres). Als er sich für die Malerei entschied, wurde sein Leben finanziell ungesichert. Immer wieder suchte er fluchtartig neue Lebensräume fern der Großstadt, erst die Bretagne, dann teilte er sein Künstlerleben eine zeitlang (und stürmisch) mit Van Gogh in Arles, schließlich suchte er das „Paradies“ in der Südsee, zuerst Tahiti, Von seinem zweiten Aufenthalt in Polynesien kehrte er nicht mehr zurück, er starb 54jährig und ist auf der zu den Marquesas gehörigen Insel Hiva Oa begraben. Dass er als Privatmensch streitsüchtig und egozentrisch war, wirft ihm die Nachwelt, die sich zum moralischen Richter aufschwingt, gerne vor.
Unexpected… Es sind die Tahiti-Bilder, einst „unverdächtig“ den Exotismus bedienend, der in seiner Epoche modern war, die Gauguin berühmt gemacht haben. So sehr, dass man im allgemeinen keinen breiteren Blick auf sein Ouvre wirft. Es gäbe viele neue Aspekte, betonte Kunstforum-Chefin Ingried Brugger, so kann man in der chronologisch aufgebauten Ausstellung (Kuratorin: Evelyn Benesch) frühe Bilder noch im Stil des Impressionismus sehen. Es gibt Kleinplastik aus den Südsee-Jahren, von der viele nichts gewusst haben werden.
Und vor allem gibt es einen Überhang an Graphik, der die Gemälde fast in die zweite Reihe treten lässt. In Zusammenarbeit mit der Albertina wurde an vielen Beispielen klar gemacht, dass sich Gauguin (auch, weil sich damit Geld verdienen ließ) in hohem Ausmaß der Graphik gewidmet hat. Diese Blätter wiederum konnten durch das (auch farbige) Papier, auf dem sie abgezogen wurden, durch die Farbe, die man den Druckstöcken auftrugen, ganz unterschiedliche Effekte erzielen. Und vermutlich ist auch das hier gezeigte Buch „Avant et après“ nicht allgemein bekannt, das Gauguin kurz vor seinem Tod geschrieben hat, halb Memoiren, halb Manifest, mit Graphiken und Zeichnungen geschmückt.
Erster Fluchtort: Bretagne Der Maler Gauguin hatte nach konventionellen Anfängen seinen eigenen Stil entwickelt, der sich geradezu radikal von jeglichem Realismus ablöste, Formen und Farben ganz individuell behandelte. In der Bretagne suchte und fand Gauguin ein „einfaches“ Leben, strenge Landschaft, ernsthafte Menschen. Die Schwere und Kraft, die seine Gemälde auszeichnen, findet sich bereits hier, die unverkennbare Individualität Gauguin ist manifest.
Problemfall Tahiti Noch heute gibt es Menschen, die von der „Südsee“ als Traumwelt schwärmen. Gauguin machte sich auf den Weg, lebte in den französischen Kolonialgebieten aber nicht an der Seite der reichen Weißen, sondern mit den Eingeborenen. Lebte auch wie sie, mit jungen Mädchen, die seine Sexpartnerinnen waren, worüber sich damals niemand den Kopf zerbrach. Heute wird er in die Kategorie der alten weißen Männer für ein Verhalten verurteilt, das zu seiner Zeit „normal“ war – und nur, weil die Gegenwart so ahistorisch denkt und heutige, so streng gewordene Moralbegriffe an die Vergangenheit anlegt, wird Gauguin – früher als „Aussteiger“ bester Art gefeiert – zum Problemfall. (Wie wird die Zukunft über die moralinsaure Selbstgerechtigkeit unserer Gegenwart urteilen?)
Die Wiener Ausstellung bietet im Rahmen der 80 Werke möglicherweise absichtsvoll sehr wenig Tahiti (abgesehen davon, dass der Großteil dieser Bilder sich heute in Rußland befindet und durch die politische Situation unerreichbar ist). Dennoch mag sein, dass manche Besucher gerade diese Werke suchen… und immerhin einige auch finden werden.
Bank Austria Kunstforum Wien
Freyung 8, 1010 Wien
GAUGUIN – UNEXPECTED
Ab 3. Oktober 2024 – 19. Jänner 2025
täglich 10 – 19 Uhr, freitags 10 – 21 Uhr
Website: kunstforumwien.at