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WIEN / KosmosTheater: DIE BLONDE, DIE BRÜNETTE UND DIE RACHE DER ROTHAARIGEN

11.11.2015 | KRITIKEN, Theater

Kosmos Theater 2~1
Fotos: Bettina Frenzel

WIEN / KosmosTheater:
DIE BLONDE, DIE BRÜNETTE UND DIE RACHE DER ROTHAARIGEN von Robert Hewett
Deutschsprachige Erstaufführung
Premiere: 10. November 2015,
besucht wurde die Generalprobe

Der australische Autor Robert Hewett ist uns in Wien bisher noch nicht untergekommen. Dabei war es der Mühe wert, sein Stück „Die Blonde, die Brünette und die Rache der Rothaarigen“ trotz seines zugegeben mühseligen Titels zur deutschsprachigen Erstaufführung zu bringen. (Katharina Schuster und Regisseurin Christine Wipplinger besorgten die Übersetzung). Das „KosmosTheater“, dezidiert auf Frauenthemen ausgerichtet, kann hier – elf Jahre nach der Uraufführung in Sydney – mit einem Sieben-Personen-Stück, das nur eine einzige Darstellerin erfordert, regelrecht prunken.

Gewiß, es war schon da, dass man eine Interpretin an einem Abend in verschiedenen Rollen sehen konnte, aber das mindert die Qualitäten dieses Puzzles nicht. Es beginnt einer zaghaften Hausfrau namens Rhonda Russell, die eigentlich versteht, wie das geschehen konnte, was ihr passiert ist – und das ihr Leben zerstört hat.

Nun, im Laufe der Begebenheiten wird alles klar, wie es bei Nestroy heißt, aber für den Zuschauer heißt es gut aufpassen, sich Namen merken, Zusammenhänge kombinieren. Es ist ein Krimi, der stets neue Puzzlestücke liefert und am Ende, obwohl er durchaus einiges zum Lachen (aber zum bitteren Lachen) geliefert hat, eine amerikanische Tragödie aufrollt. So dicht und hintergründig, dass man an den besten Stellen (etwa dem Monolog der Lynette) an LaBute erinnert wird – und das ist ein großes Kompliment, wenn man bewundert, wie dieser aus der Alltäglichkeit der Menschen das Grauen herauskratzen kann…

Also, zuerst die ratlose (rothaarige) Rhonda – wie dreckig es ihr geht, versteht man erst später. Dann die lesbische Ärztin Alex (bei der die Haarfarbe keine Rolle spielt, weil sie unter einer Ärztehaube, wie man sie im Operationssaal trägt, versteckt sind). Sie hatte eine (mit einiger Sicherheit blonde) Lebensgefährtin namens Chrissie, die nicht auftritt, weil sie nämlich offenbar eben auf den Kopf gefallen und gestorben ist. Man soll sich auch merken, dass da ein (künstlich empfangener?) kleiner Sohn des Lesbenpaares namens Matthew ist, denn… Doch das später.

Kosmos Theater 3 x~1

Wenn man dann die brünette Lysette, die Nachbarin von Rhonda und deren Gatten Graham (auch zu ihm kommen wir noch) kennen lernt, wird vieles klar: Wie sie – aus „reiner Freundschaft“ – Rhonda gepetzt hat, dass der Gatte mit einer Blondine schmuste; dass sie Rhonda aufgehetzt hat, diese Blondine zu attackieren; dass das Opfer dabei auf einer Eistüte ausrutschte und letal auf den Kopf fiel… und dass, so ein Pech, es noch dazu die falsche Blondine war. Nein, damit hat Lysette wirklich und wahrhaftig nichts zu tun…

Und auf einmal ist da ein Kind, ein Junge mit Latzhose, viereinhalb Jahre alt, mit allen Anzeichen der Verstörtheit, weil die Mama nicht wiederkommt – Matthew doch offenbar? Und dann ist da Graham, Rhondas Ehemann, der sich angesichts des Geschehens bitteschön nur abbeuteln kann. Wenn die blöde Gattin schon zwölf Jahre ins Gefängnis muss, dann kann man sich ja der Avancen der Nachbarin (nicht vergessen: Lysette natürlich) nicht erwehren. Und Rhonda? Die soll der Teufel holen…

Da ist wirklich alles schief gegangen, und wie viel Zeit vergangen ist und dass das Ganze dem einst kleinen Matthew gar nicht gut getan hat, erfährt man von einer alten, grauhaarigen Nachbarin. Und schließlich kommt dann doch noch die Blondine zu Wort, die von Graham eigentlich nur sexuell belästigt wurde: Die Dame ist allerdings ein Früchtchen aus Minsk mit dickem russischen Akzent und dem Zynismus der Frau, die alles über Männer (und das Leben) weiß und durch nichts zu erschüttern ist…

Wenn am Ende noch einmal Rhonda zu Wort kommt, hat sich ihr so tragisch unverschuldetes Schicksal, das sie – umgeben von geradezu abscheulichen Menschen – erlitten hat, so einigermaßen herausgestellt. Von einem Autor mit solch gnadenloser Klarheit gepinselt (wenn er die Informationen auch als wahre Schnitzeljagd in Mini-Dosen herausrückt), dass man ihm kaum verzeihen will, dass er zum Finale eine geradezu kitschige Wendung einbaut. War das denn nötig?

Am Wert dieses Virtuosenstücks für eine Schauspielerin ändert das nichts. Natürlich sind nicht alle sieben Rollen gleich gut, aber Claudia Kottal, die während des Geschehens (mit Hilfe einer Assistentin) Perücken und Kleider wechselt, sind ein paar Meisterstücke gelungen. Das kommt natürlich nicht von selbst, da steckt schon die souverän helfende Hand von Regisseurin Christine Wipplinger dahinter, die dafür sorgte, dass über die äußerlichen Hilfsmittel hinaus jeweils ein komplett anderer Mensch auf der Bühne steht – in Sprache, Körpersprache und vor allem dem Wesen, das er ausstrahlt.

Natürlich ist Lysette der Höhepunkt: Tatsächlich weiß man nicht, und das soll ja auch im Leben vorkommen, ob diese Frau ihre ganze Verlogenheit am Ende selbst glaubt oder ob sie die sich großartig aufprustende Heuchlerin par excellence ist… Eine Täterin schrecklichsten Ausmaßes jedenfalls, derer niemand haftbar werden kann, denn sie hat doch nichts getan, oder? Dass es ohne ihre Intrigen die ganze Tragödie nicht gegeben hätte… ja, der Zuschauer weiß es.

Ein parodistischer Höhepunkt: Graham, der versoffene, ebenfalls in Selbstgefälligkeit versinkende, zutiefst miese Ehemann. Eine Studie, die ergreift: das verwirrte Kind mit der typischen hektischen, teils geflüsterten, wirren Kindersprache. Hinreißend das komödiantische Ende mit der blonden Russen-Nutte – das ist souverän und im Grunde gar nicht diskriminierend, denn die ist klüger als alle zusammen. Anderes gelingt weniger, etwa die alte Frau, deren Notwendigkeit im Gefüge man auch am wenigstens einsieht. Aber alles in allem liefert Claudia Kottal einen Parforceakt, den man nur bewundern kann.

Schade nur, dass live nicht möglich ist, was als „Teaser“ auf dem Bildschirm vor dem Theater läuft: Da kann man ja die einzelnen Figuren nebeneinander hinstellen, da es sie ja im Kopf des Zuschauers auch gleichzeitig gibt. Aber auch ihr Nacheinander macht einen Theaterabend aus, der Unterhaltungswert und die rechte Dosis Tiefgang höchst sehenswert kombiniert.

Renate Wagner

 

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