Fotos: Kosmos Theater / Bettina Frenzel
WIEN / Kosmos Theater:
DAS WERK von Elfriede Jelinek
Premiere: 8. Jänner 2020
Elfriede Jelinek hatte ihre großen Wiener Theaterjahre an Peymanns Burgtheater. Dann dünnte die Zahl ihrer Aufführungen an Wiener Bühnen spürbar aus, ihre zahlreichen neuen Stücke hat man hier nicht gesehen. Nun kündigt Kusejs Burgtheater für Anfang Februar ihr „Ibiza“-Stück „Schwarzwasser“ an – wie meist bei ihr eine Reaktion auf aktuelle Ereignisse. Und das Kosmos Theater holt ein altes Stück hervor – „Das Werk“, 2003 am Akademietheater uraufgeführt, damals ihre „Antwort“ auf die Katastrophe von Kaprun im Jahre 2020, als 155 Menschen bei einem Gletscherbahnbrand starben (und die Verantwortlichen später frei gesprochen wurden).
Damals war das für Elfriede Jelinek Anlaß für eine ihrer großen Sprachattacken, wo sie die Ereignisse von 2000 mit den Erinnerungen an den Bau des Kraftwerks Kaprun verband, der auch Hunderte von Menschenleben kostete, von so genannten „Freiwilligen“, dann von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen. Es erzeugte Gänsehaut, wie sie in Sprache Bilder des Sterbens malte, in grauenvollen Gleichnissen, mit der ihr üblichen Gnadenlosigkeit. Und Regisseur Nicolas Stemann hat bei der Uraufführung ihre Sprachtiraden in wilde Bilder (samt Leichenteilen in der Waschmaschine) umgesetzt und den Text auf drei junge Schauspielerinnen und einen Chor verteilt (plus Libgart Schwarz ironisch in der Rolle der „Autorin“).
Nun kennt man ja die Methode der Jelinek: Sie schreibt Textflächen, ohne szenische Anweisungen, ohne die Zuweisung an irgendwelche identifizierbare Protagonisten. Die Interpreten bekommen von ihr die Lizenz, damit zu machen, was sie wollen. Und wenn das Kosmos Theater nun (mit dem leichten Jahrestage-Hautgout, die Katastrophe habe vor 20 Jahren stattgefunden) „Das Werk“ auf die Bühne bringt, dann nimmt die Schweizer Regisseurin Claudia Bossard die Freiheit des Umgangs voll in Anspruch. Dann muss man den Jelinek-Text nicht nehmen, wie er ist, man kann ihn auch kommentieren oder parodieren. Das geschieht zu Anfang des pausenlosen zweistündigen Abends sehr ausführlich, ziemlich weit weg vom Inhaltlichen des Stücks:
Da sitzen drei Damen und ein Herr (ein anderer bleibt zuerst im Hintergrund) eigentlich wie bei einer Fernseh-Talk-Show zusammen: Literaturkritiker, wie sich bald herausstellt, die über die Jelinek reden. Sie jonglieren mit ihrem üblichen Wissenschafts-Jargon, spitzen sich gegenseitig mit Bosheiten an, reden sich in den Wirbel ihrer unverständlichen Hochgestochenheit hinein. Die Phrase, das Pathos, die mediale Aufbereitung stehen zur Diskussion. Man fragt sich nur, wann man zum Thema kommt.
Die „Kaprun“-Schiene des „Werks“ läuft an diesem Abend eher am Rande. Man amüsiert sich über die Darsteller, die wahrlich souverän ihr Handwerk beherrschen, wenn ihre „Rollen“ auch zumindest bei den drei Frauen nicht gänzlich ausdifferenziert sind. Immerhin, Veronika Glatzner, Alice Peterhans und Tamara Semzov sind brillant. Wojo van Brouwer hat starke Momente in seiner Parodie eines lächerlichen Wissenschaftlers, und Lukas David Schmidt lässt nicht nur eine bemerkenswerte, geradezu magische Singstimme hören, sondern turnt auch entschlossen über Leitern und auf Balustraden.
Darüber hinaus hat Video-Gestalterin Annalena Fröhlich noch einiges zur Ausstattung von Elisabeth Weiß (Kostüme geschmacklos, und plötzlich werden antike Säulen herbei geschleppt) beigetragen: Im Hintergrund droht nicht nur ein schneebedeckter Berg, immer wieder fährt ein riesiges, vielstöckiges Kreuzfahrtschiff der „Royal Caribbean“ (!) vorbei (Achtung, Umweltkrise, heutig!) – und am Ende, ja da gibt es Katastrophen zuhauf, da fallen noch und noch Riesengebäude in sich zusammen, absichtlich gesprengt oder willkürlich zerstört…
Die Aufführung hängt immer wieder stark durch – das ist weder bei dem „Geschwätz“-Teil noch bei Jelineks allzu komplexer Sprache zu vermeiden, die man ja doch am besten liest. Dann läuft das Geschehen Gefahr, in viel alberne „Aktion“ zu zerbröseln, dann wieder zersprengt sich der Abend in Virtuosen-Stücke der Darsteller (immer mit einem gewissen Albernheitsfaktor), und wirkt schließlich am stärksten, wenn man einfach den harten, gnadenlosen Text der Jelinek her nimmt.
Dennoch ist es auch als Ganzes ein so weit gelungenes Unternehmen: Denn heiligsprechen muss man die Jelinek ja nun wirklich nicht (Nobelpreis hin oder her), sie in Frage zu stellen, ist jedenfalls legitim. Und wenn auch nur wenig „Kaprun“ übrig bleibt – ihre sprachlichen Stärken greifen. Und rundum gibt es über weite Strecken ziemlich amüsantes Theater.
Renate Wagner