Fotos: Kosmos Theater
WIEN / Kosmos Theater:
ABERLAND
nach dem Roman von Gertraud Klemm,
bearbeitet für das Theater von Barbara Herold
Koproduktion diefliriherold / Kosmos Theater
Uraufführung
Premiere: 16. November 2022,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 17. November 2022
Siebzig Minuten weiblicher Frust. Zwei Frauen, Mutter und Tochter, erzählen ihre Schicksale. Sie reden nicht miteinander, sondern nebeneinander. Und sie lassen alles heraus, was sie ärgert, drückt, wütend macht. Immer wieder sagen sie „Aber!“, aber es nützt nichts – sie bleiben in ihrer Situation gefangen.
Franziska, die Tochter, und Elisabeth, die Mutter, sind Geschöpfe der Wiener Autorin Gertraud Klemm, Als diese beim Bachmann-Preis aus ihrem Roman „Aberland“ las, gab es viel Widerspruch – von männlichen Juroren. Als sei ihnen der Text peinlich. Fanden ihn stellenweise schamlos. Als wollten sie gar nicht so genau wissen, was in Frauen vorgeht…
Die heute vordringlich in Vorarlberg tätige Theatermacherin Barbara Herold fand hingegen den Text nicht nur komisch, sondern auch wichtig genug, um ihn mit ihrer Gruppe diefliriherold zu produzieren – in Co-Produktion mit dem Wiener Kosmos Theater, das einst als „Frauenraum“ angetreten ist. Mit dem Ergebnis, dass schätzungsweise 90 Prozent des Publikums aus Frauen besteht. Und diese erkennen, was die beiden Protagonistinnen erzählen.
Nach Meinung von Gertraud Klemm hat sich nämlich seit den siebziger Jahren an der Situation der Frau noch gar nicht so viel geändert. Sie tappen in die Familienfalle, man erlegt ihnen mit aller Selbstverständlichkeit der Welt Haushalt und Kinder auf, und nicht alle können daraus entfliehen. Die Mutter wollte sich angesichts der permanenten Seitensprünge des Gatten einmal scheiden lassen – aber die Anwältin hat ihr davon abgeraten. Da ist sie also, 59jährig, der Gatte geht in Pension, die Kinder sind aus dem Haus, und die Frau hat (da es sich hier um großbürgerliche Verhältnisse handelt) rein gar nichts mehr zu tun. Und das mit dem Sex, der in den Gedanken durchaus noch eine große Rolle spielt… da sind die Sitzungen bei der Kosmetikerin das einzige, wo man noch ein gewissermaßen sexuell prickelndes Wohlgefallen erlebt.
Ja, der Sex. Auch Frauen können unromantisch-kaltschnäuzig mit dem Thema umgehen. Wie Franziska, die nebenbei einen Seitensprung für guten Sex absolviert (es geht recht schief), im übrigen aber dringend versucht, den Gatten in „das bisschen Haushalt“ und die Betreuung des kleinen Sohnes einzuspannen. Sie will unbedingt ihr Studium beenden, die Biologie-Dissertation fertig schreiben, und am Ende gelingt es ihr auch, allerdings um den bitteren Preis, dass sie ein Kind abgetrieben hat, weil ihr ein zweites Kind keine Chance mehr auf ein selbstbestimmtes Leben gegeben hätte. Aber wird ihr der Ausbruch gelingen? Das ist am Ende des Textes gänzlich offen…
Regisseurin Barbara Herold lässt beide Darstellerinnen mit einer Handvoll von Podesten agieren, und wie sie diese im Lauf des Abends immer wieder herumschleppen und neu arrangieren, macht Sinnlosigkeit und Mühe eines Alltags klar. Die beiden tragen eine Art von Hausanzügen – gestreift, was ebenso an Gefängnis erinnern könnte wie an Clowns. Beide Assoziationen sind nicht falsch. Dabei präsentieren sich die beiden Darstellerinnen dem Publikum auch immer wieder wie Show-Stars, die sich selbst präsentieren – seht her, hört her, wir haben etwas zu sagen.
Maria Fliri ist Franziska, Helga Pedross ihre Mutter. Beide haben nicht nur Humor, sondern auch Intensität, sie lassen nicht eine Minute los, sie rechten mit dem Frauenschicksal, mit sich selbst, weil sie es vergeigt haben, rechten mit den Männern, weil man ihnen nicht entkommt. „Das Paradies gibt es nur im Doppelpack mit dem Ehemann“, scheint die Gesellschaft immer noch vorzugeben, Ob man will oder nicht.
Ein kurzer Abend, aber ein textlich und gedanklich spannender. So deprimierend die Conclusio der Autorin auch sein mag.
Renate Wagner