WIEN / Konzerthaus, Berio-Saal: Neues Konzertformat: „PRIME TIME“
Joji Hattori. Copyright: Jeff Mangione
Joji Hattori moderierte, dirigierte und stellte junge Preisträger/innen vor
24.10. 2018 – Karl Masek
Mit dem neuen Zyklus „Prime Time“ greifen das Wiener Konzerthaus, das Wiener KammerOrchester und der Erste Gastdirigent des Ensembles, Joji Hattori, die Idee auf, jungen Musikerinnen und Musikern, die namhafte Wettbewerbe für sich entscheiden konnten, ein Podium zu bieten. Zugleich will man mit diesem neuen Format (in der ersten Saison sind drei Konzerte angesetzt) eine „Hauskonzert-Atmosphäre“ schaffen, die sich konzeptionell an den seinerzeitigen Verein Arnold Schönbergs für musikalische Privataufführungen orientiert. Hattori, Jahrgang 1969, wurde schon in seiner Kindheit in Wien ausgebildet. Renommierter Geiger, später international geschätzter Dirigent.
Eine wunderbare Idee, wie bereits bei der 1. Veranstaltung zu spüren war. Der Blick ins Auditorium unmittelbar vor Beginn des Konzerts zeigte: Der Berio-Saal ist voll, und das ist mehr, als der Veranstalter zu hoffen gewagt hatte. Offenbar kamen sehr viele Abonnenten auch anderer Zyklen. Stammgäste unter den Konzertbesuchern, die jetzt auch ihren Nachwuchs mitbrachten. Erfreulich viel jugendliches Publikum also!
Gespannte Erwartungshaltung, geradezu knisternde Atmosphäre. Hattori, der Erzmusiker und Schüler von Rainer Küchl, Yehudi Menuhin und Wladimir Spiwakow, sorgte schon mit heiterer, charmanter Moderation in der Tradition von Leonard Bernstein für ein inspiriertes und glückhaft kurzweiliges Konzert „zum Hauptabendprogramm“ (Beginn war um 20:15 Uhr, die Fernsehgeräte und DVD-Player daheim blieben ausgeschaltet).
Drei Werke waren zu hören, die eine gemeinsame Klammer hatten: Musik kann ganz viel Humor haben!
W.A. Mozart mit der Sonate D-Dur KV 375a für 2 Klaviere aus dem Jahr 1781 in einer Bearbeitung für zwei Streichquintette von Joji Hattori (ein gekonntes Arrangement!) hatte sozusagen Uraufführung. Ein Entrée voll Esprit und lustvollen Echowirkungen unter Ausnützung von Stereo-Effekten. Die Streicher des Wiener KammerOrchesters zeigten: Mit dem neuen 1. Gastdirigenten stimmt die Chemie, und Hattori war mit sanguinischem Dirigier-Temperament hinreißend.
Gottfried von Einem war mit einem Originalwerk aus seinen jungen Jahren vertreten: Serenade op. 10 für doppeltes Streichorchester aus dem Jahr 1949 (da hatte er schon den Sensationserfolg mit Dantons Tod hinter sich und die Querelen mit den Salzburger Festspielen und dem so genannten Brecht-Skandal noch vor sich). Ein publikumswirksames Stück, tonal inspiriert, von schillernder Farbigkeit, rhythmisch pointiert, synkopisch und mit permanenten Taktwechseln angereichert. Hattori: „Da braucht es unbedingt einen Dirigenten, der das alles koordiniert! Dreiachtel, zweiviertel, fünfachtel, … Das wär‘ schön, wenn das alles Wein wäre!“ Einem kannte natürlich „seinen“ Strawinsky, „seinen“ Prokoffieff, „seinen“ Schostakowitsch – und am allerbesten natürlich seinen kultisch verehrten Lehrer, Boris Blacher. Fünfzehn Minuten spannende, heitere Musik – vier Sätze, die wie im Flug vergingen. Auch die anwesende Witwe Einems, Lotte Ingrisch, war sichtlich und hörbar begeistert. Sie hat in diesem 100er-Gedenkjahr ihres Komponistengatten sehr viele Termine, die sie bewundernswert bewältigt. Zum Amüsement des Publikums auch mit einer witzigen Anekdote über Gottfried, Schafe betreffend. Nicht Katzen, wie man eher angenommen hätte!
Dmitry Masleev. Copyright: C. Alikhan
Krönender Abschluss des (pausenlosen, knapp eineinhalb stündigen) Abends dann das Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester, c-Moll, op. 35 aus dem Jahr 1933. Der aus Ulan Ude stammende Pianist Dmitry Masleev, 29 Jahre alt, Preisträger u.a. des renommierten internationalen Tschaikowsky-Wettbewerbs 2015, stellte sich erstmals in Wien vor. Wieder einer aus dem schier unerschöpflichen Reservoir an hochbegabten Musikern, die da aus Russland kamen (und kommen). Zierlich, fast noch knabenhaft, wirkt dieser Pianist. Mit der Brille die Optik so ungefähr zwischen dem ganz jungen Schostakowitsch und Harry Potter. Um mit dem ersten Einsatz im Stile eines kraftstrotzenden Tastentigers das Publikum augenblicklich in Bann zu ziehen. Er hat – so scheint es – Schostakowitsch, seinen Humor, seinen Hang zur Satire, zu karikierender Übertreibung, zu hemmungsloser Lustigkeit, die aber in „Largo“- und „Lento“-Sätzen in grüblerische Melancholie kippt, tief verinnerlicht. Spieltechnisch von kaum überbietbarer Unfehlbarkeit und im wilden Stretta-Ritt des „Allegro con brio“ von sagenhafter Treffsicherheit. Seine Laufbahn weiter zu verfolgen, ist auf jeden Fall spannend.
Simon Höfele. Copyright: Gottfried Mangione
Der deutsche „Junge Wilde“ unter den Trompetern, der 24-jährige Simon Höfele, war ein kongenialer Partner und nahm mit kantablem Spiel für sich ein, um sich dann im entfesselten Schluss-Satz virtuos schmetternd mit dem Pianisten zu „matchen“. Auch diesen Namen sollte man sich merken! Der junge Mann aus Darmstadt hat schon mit 7 Jahren das Trompetenspiel begonnen. Er kann bereits Reverenzen von berühmten Orchestern wie dem Concertgebouw Orchester Amsterdam oder dem BBC Philharmonic vorweisen, mit denen er erfolgreich aufgetreten ist. Preis der deutschen Schallplattenkritik 2018 inbegriffen.
Stürmischer Jubel. Premierenfeier – das Kulinarische durfte nicht fehlen – da war dann der 1/8-Takt vorherrschend! Zugaben, bei denen von den beiden lustvoll gejazzt und mit Gershwin der Berio-Saal zum Kochen gebracht wurde.
Tolle Stimmung und ein gelungener Start mit diesem neuen Zyklus! Ich prophezeie, bei weiter steigendem Publikumszuspruch wird man bald den Mozart-Saal brauchen!
Empfehlung für die beiden weiteren Konzerte dieses Zyklus: Mo, 3.12., 20:15 mit einer Auswahl von den Hornkonzerten Mozarts, dem 1. Satz aus Bruckners „Siebenter“ in einer Bearbeitung für Kammerorchester von Hanns Eisler und einem zeitgenössischen Stück der Johanna Doderer) sowie Fr, 29.3., 20:15 mit einem hochinteressanten Kontrabass-Schwerpunkt. Hinkommen, zuhören! Der Fernseher kann ausgeschaltet bleiben!
Karl Masek