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WIEN / KHM: TIZIANS FRAUENBILD

04.10.2021 | Ausstellungen, KRITIKEN

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WIEN / Kunsthistorisches Museum:
TIZIANS FRAUENBILD
Schönheit – Liebe – Poesie
Vom 5, Oktober 2021 bis zum 16. Jänner 2022

Als Schönheit noch nicht fragwürdig war

„Schönheit“ ist in unserer Welt kein positiv besetzter Begriff mehr,  nicht einmal ein wünschenswerter. Weibliche Schönheit (oder auch deren Mangel) darf aus politischer Korrektheit gar nicht mehr angesprochen werden. Dünne Models  – schon? Wie fragwürdig. Weibliche Formen – schön? Wie obsolet. Verführerisches Lächeln – schön? Wie verlogen. Das Kunsthistorische Museum ist heutzutage nachgerade mutig, wenn es der Ausstellung von „Tizians Frauenbild“ den Retro-Untertitel „Schönheit – Liebe – Poesie“ verleiht. Und doch, der Besucherzustrom wird zeigen, ob man damit nicht geheime Sehnsüchte erfüllt, wenn man aus der Distanz eines halben Jahrtausend auf zelebrierte Schönheit von einst zurückblickt.

Von Heiner Wesemann

Tizian   Tiziano Vecellio wurde um 1488 bis 1490 in Pieve di Cadore in den Dolomiten geboren, der Ort gehörte zu Venedig. Schon in jungen Jahren wurde er dorthin geschickt, um zum Maler ausgebildet  zu werden. Gefördert von Giorgione erhielt er erste Aufträge und machte sich zuerst einen Namen als Maler der „belle donne“. Er trat in den Dienst der Familie Este, andere Fürstenfamilien beauftragten ihn, er malte Altarbilder und opulente mythologische  Szenen, wurde zum Porträtisten von  Dogen und Päpsten,.und schließlich malte er 1532 das berühmte Gemälde von Kaiser Karl V. mit Hund. Von da an war der Kontakt mit den Habsburgern bis zu seinem Lebensende ein enger. Kaiser Karl V. hoch zu Roß nach der Schlacht zu Mühlberg (1548) zählt zu den berühmtesten Werken Tizians. Karls Sohn, König Philipp II. von Spanien, wurde einer von Tizians wichtigsten Auftraggebern: Die mythologischen Bilder, die als „Poesie“ bekannt wurden, entstanden für den spanischen König. Die finanzielle Sicherheit durch die Habsburgischen Aufträge sicherten Tizian große Freiheit des Schaffens. Aus zwei Ehen  hatte Tizian zwei Söhne und die Tochter Lavinia, die er mehrfach malte. Er starb 27. August 1576 in Venedig, vermutlich an der Pest.

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Die Renaissance      Die Renaissance ließ das steife Mittelalter hinter sich, entdeckte die Antike und eröffnete sich neue Welten im Denken und im künstlerischen Arbeiten. Es war, was das Frauenbild betraf, durchaus ein romantisches Zeitalter. Frauen konnten zwar, wenn sie danach waren, wichtige Stellungen erreichen. Aber sie waren, ausgehend von der Literatur, ausgehend von antiken Beispielen (einige Statuen finden sich in der Ausstellung) Objekte der Bewunderung und Anbetung. Nicht zuletzt ihrer Schönheit willen, der die Maler besonders huldigten. Die „schönen Frauen“ waren ein Teil der künstlerischen Identifikation dieser Epoche Venedigs. Und das galt nicht nur für Tizian, sondern zahlreiche seiner Zeitgenossen. Viele von ihnen sind als Referenz in der  Ausstellung vertreten wie Jacopo Tintoretto, Paolo Veronese, Palma il Vecchio, Lorenzo Lotto, Paris Bordone und andere mehr.

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Gesicht, Haare, Körper      Es sind viele schöne Gesichter, die man hier sieht, kaum eines erscheint leer.  Haare sind wichtig. Das KHM besitzt mit „Violante“ eine typische Blondine, das Haar zwar hinter dem Kopf zusammen gefasst, aber in der Üppigkeit ein Blickfang, dazu das Dekollete ausgestellt. Ein anderes Prunkstück des Hauses ist die „Junge Frau im Pelz“, die dezent Schmuck trägt, ein dunkles Pelzcape über eine Schulter gelegt hat und eine Brust frei lässt. Die Ausstellungskuratorinnen versichern, dass das kein sexuelles Angebot war, sondern ein Hinweis darauf, dass man sein Herz zeige. (In diesem Fall ist es allerdings die rechte Brust, das Herz liegt auf der anderen Seite…)  Vielleicht bemühen sich die Kuratorinnen zu sehr, die Kurtisanen-Damen, die hinter manchem Bild stecken, rein  zu waschen. Es wäre so überflüssig wie die Anklage ihrer „Ausbeutung“ oder was sonst an modischer Interpretation heute verlangt wird.  Mit Sicherheit jedoch ist die Nacktheit bei Tizian und seinen Zeitgenossen nie obszön oder plakativ herausfordernd. Die uns namentlich unbekannten Modelle dienten als Idealbilder der schönen Frauen. Da die Maler mit den Posen ihrer Modelle quasi spielen konnten, wurden sie gern bei der Garderobe gezeigt – der Spiegel als Accessoire des Frauengemäldes hielt sich lange in der Kunst (man denke an Beispiele bei Rubens).

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Realporträts und die „junge“ Isabella d’Este    Reale Porträts gab es damals vergleichsweise viel weniger.  Eines der Prunkstücke der Wiener Sammlung ist Tizians Realporträt (oder doch nicht) von Fürstin Isabella d’Este (1474-1539). Sie stammte aus dem Haus Ferrara, heiratete in das Haus Mantua, war Mäzenin der Künste, Kunstsammlerin, politisch aktiv, eine der einflussreichsten Frauen ihrer Zeit. Als Tizian sie um 1535 malte, war sie rund 60 Jahre alt. Sie wusste sehr wohl, dass ihr Bildnis sie überleben würde, und hatte nicht die Absicht, der Nachwelt als alte Frau zu erscheinen. Tizian bekam ein Jugendgemälde von ihr zugesandt, nach dem das Porträt entstand. Pompös die Frisur, würdig der Fächer aus einer Feder, raffiniert, wenn auch nicht überbordend die Kleidung.

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Die kleine künftige Braut    Dass es damals so wenige Realporträts junger adeliger Damen gab (so wie man später Kaiser Leopold I. alle paar Jahre Kinder- und Jugendbilder seiner Infantin-Braut zusenden würde), lag daran, dass die italienischen Adelsfamilien einander kannten, untereinander heirateten und folglich keine Gemälde benötigten, um sich die künftige Ehefrau vorzustellen. Eine Ausnahme stellt gegen Ende der Ausstellung Tizians Kinderbild der Clarissa Strozzi dar. In diesem Fall wurde das kleine Mädchen wohl als künftige Braut gehandelt und, für das Kennerauge, mit Symbolen einer guten Ehefrau versehen. Dies ist ein Bild von besonderem Zauber. Betrachtet man dagegen vergleichsweise andere Realproträts von Maler-Kollegen, wird man feststellen, dass die Bilder „steifer“ ausfallen. Das ist der geforderten Ähnlichkeit geschuldet, während die Idealbilder den Schwung der Einfallskraft zeigen.

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Die Göttinnen in hingegossener Nacktheit     Der zentrale Raum der Ausstellung gilt den Mythen, der Antike, der Bibel, all den Frauen, die hier vom Thema her gewissermaßen legitim ihre Nacktheit ausstellen. Gemälde dieser Art, die rund um die dargestellte Frau an Figuren und Symbolen reich strukturiert waren und von Kennern interpretiert werden konnten, bedeuteten damals einen Höhepunkt der Kunst. Und Tizian galt als der Meister des Genres.

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Oft steht Venus im Zentrum, als Göttin der Liebe gewissermaßen die wichtigste Figur im Kosmos der Schönheit und Weiblichkeit. Gelegenetlich ist sie auch gemeinsam mit Amor dargestellt, den sie auch bestraft, wenn er ungehorsam war. Die Zeitgenossen kannten die literarischen Vorbilder, die hinter solchen Darstellungen standen. Immerhin darf Amor am Ende der Ausstellung, in einem besonders reizvollen Rundbild, auf einem Löwen reiten und allen gleichsam ein Happyend verkünden.

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Literatur, Paare, Alter     Die Ausstellung unternimmt thematische Schwenks zur Bilderfülle der Schönheit, widmet sich in einem Raum der damals zeitgenössischen Literatur. Diese stand in enger Wechselwirkung zur bildenden Kunst (und wurde höher geachtet als diese).  Dass sich hier auch ein Schlüsselwerk der Epoche, „Il Cortigiano“ (Der Hofmann) von Baldassare Castiglione findet, versteht sich, die Nationalbibliothek holte ein Exemplar aus ihrer Sammlung alter Drucke. Noch interessanter ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf Moderata Fonte (1555-1592), die zu den frühen Feministinnen gezählt werden kann und viele Männerdogmen in Frage stellte. „Liebe“ wird außerdem nicht nur im Sinn von verlockender Frauenschönheit, sondern auch in Doppelporträts von Paaren gezeigt. Und schließlich steht Giorgiones wirklich tragisches Porträt von „La Vecchia“ für die Vergänglichkeit. Hinter ihr kommt allerdings noch Amor, und der Wermutstropfen wird das ästhetische Fest für den Besucher nicht beeinträchtigen. So „unzeitgemäß“ es sein mag.

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Kunsthistorisihes Museum:
Tizians Frauenbild
Bis zum 16. Jänner 2022,
täglich außer Montag 10 bis 18 Uhr, Do bis 21 Uhr,
Achtung, Timeslot-Buchung nötig

 

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