WIEN / KHM: KUNSTKAMMER
1.3.13: Wieder geöffnet
Vollendet ist das große Werk
Vollendet ist das Werk: Wotan spricht zwar von einem „ewigen“ Werk und meint Walhalla, im Kunsthistorischen Museum ist man bescheidener. „Nur“ auf die nächsten dreißig Jahre legt man die „Kunstkammer“ an, so, wie man sie nun neu präsentiert. Dann darf sich die nächste Generation, wenn sie will, den Kopf zerbrechen, ob sie die seltsamen, wundersamen Schätze der Vergangenheit neu gestaltet wissen möchte. Ein großes Werk, an dem das Haus über ein Jahrzehnt intensiv gearbeitet hat, ist unter Direktorin Sabine Haag vollendet worden. Und wenn das Kunsthistorische Museum auch schon genügend Sensationen besitzt – die Gemäldegalerie, die Antikensammlung, die Ägyptische Sammlung, das Münzkabinett -, so spektakulär wie diese 20 Räume ist wohl nichts. Gerade, weil man sich in der Gestaltung zurückgehalten hat, um die Werke selbst zu optimaler Wirkung kommen zu lassen.
Von Heiner Wesemann
Direktorin Sabine Haas mit der legendären „Saliera“, dem Salzfass des Benvenuto Cellini
Was? Wenn die „Saliera“ das wahrscheinlich berühmteste Werk dieser Kunstkammer ist, so nicht nur wegen dem Medienhype rund um die einstige „Entführung“, wie es so reißerisch hieß. Dieses Salzfass, das Benvenuto Cellini um 1540 herstellte, Neptun und Tellis hingebungsvoll hingestreckt zeigend, scheinbar „ganz aus Gold“ (tatsächlich ist es aus Goldblech getrieben), ist typisch für die Werke, die im 16. und 17. Jahrhundert für jene Herrscher angefertigt wurden, die es sich leisten konnten und Freude an den Dingen hatten, die jenseits der Nützlichkeit die ultimative Kunstfertigkeit um ihrer selbst betrieben, mit einer höchstgezüchteten Freude am Schönen oder auch Seltsamen oder auch Grotesken. Der Spieltrieb des Menschen (viele Kunstkammerobjekte sind auch „Maschinen“), seine Neugierde und Experimentierfreude (wie kann man Vorgaben der Natur überhöhen und verfremden?), seine blanke Lust an der Ästhetik wurden befriedigt. Ob Schmuck oder Gefäße aller Art, Statuetten und Figuren, kostbar bekleidete Puppen und Gemmen, Schatullen und kleine Möbelstücke, Miniatur-Prunkwagen und Miniatur-Schiffe, Spiele und Spielzeug, Stein-Einlegearbeiten und Reliefs, skurrilste Exotica mit verarbeiteten Tierhörnern – gemeinsam ist den Dingen, dass sie wahre Wunderwerke sind und bei genauer Betrachtung zahllose Ebenen der Gestaltung und der enigmatischen Botschaften enthüllen, die sie in sich tragen.
Wie viel? Habsburgische Herrscher und Fürsten haben durch Kauf, Schenkung, Tausch oder durch Auftrag Tausende Werke zusammen getragen. Das Kunsthistorische Museum besitzt heute an die 8000 Objekte dieser Art, und es wären noch viel mehr, wenn im Laufe der Zeit nicht vieles verloren gegangen oder ausgesondert worden wäre. Wenn die Neuaufstellung der Kunstkammer-Objekte nun „nur“ 2162 Stücke bietet, so weiß der Kurator Franz Kirchweger Trost: „Wenn die Sammlung 50 Bergkristall-Pokale enthält, so wäre es nicht besser, alle auszustellen, als die fünf besten herauszugreifen.“ Solcherart kann man Platz und Inhalt ausgewogen in Relation bringen, 20 Räume (Saal 19 bis 37 in der Zählung des Hauses, die rückwärts angeordnet sind) von 2717 Quadratmetern großzügig, aber nie überladen füllen. Grundlegend war auch die Entscheidung, nicht „historisierend“ zu verfahren, obwohl die Idee, die Objekte in einer Art köstlichen „Räuberhöhle“ zu präsentieren, gewiss auch ihren Reiz gehabt hätte. Aber die Vitrinen, wie sie von hg merz architekten aus Stuttgart entwickelt wurden, stellen in ihrer schlichten Eleganz zweifellos die zeitgemäße Lösung dar. Bedauernswert nur, dass das Geld nicht für spiegelfreies Glas gereicht hat. Man findet sich hier in einer Welt ohne Tageslicht, und auch wenn die Lichter von Olafur Eliasson verhältnismäßig diskret „schummern“, sie schieben sich doch immer wieder reflektierend und solcherart störend ins Bild.
Wie? Werke der verschiedensten, in jeder Hinsicht „buntesten“ Art zu bieten, so dass kein beliebiges Sammelsurium daraus wird, ist nicht einfach. Man hat in der Gliederung des Vorhandenen Schwerpunkte gesetzt, vor allem aber – und das ist für den Betrachter wichtig – auch Bezüge zu Menschen hergestellt. Das beste Beispiel ist der zentrale Saal Nr. 27, der Kaiser Rudolf II. gewidmet ist – er war der nachdrücklichste Sammler des Hauses Habsburg, wenngleich schon seine Vorfahren wie Kaiser Friedrich III. (auf einem Gemälde mit einer Edelstein-Spangenkrone dargestellt!) oder Maximilian I. damit begonnen hatten, „Schätze“ zusammen zu tragen, und Rudolfs Großvater, Kaiser Ferdinand I., diese schon in eigenen Räumen aufbewahrte. Er hatte die Lust am Sammeln an seinen Sohn Ferdinand II. von Tirol (zu sehen in einem Reliefporträt aus Wachs und Perlen) und an seinen Enkel Rudolf II. weitergegeben (der mit diesem Tiroler Onkel auch des öfteren in Sammler-Wettstreit trat). Immerhin, der in Prag residierende Rudolf (der den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges gerade nicht mehr miterleben musste) war das „Sammler-Genie“ der Habsburger. So steht er als eindrucksvolle Bronzebüste von Adriaen de Vries in der Mitte „seines“ Saales, während man die Vitrinen, die seine Schätze bergen, sternenförmig rund um ihn angeordnet hat. In einer Ecke begegnet man auch seinem Onkel, König Philipp II. von Spanien, an dessen Hof er aufgewachsen ist. Auch anderswo verweisen Gemälde auf Persönlichkeiten, die eng mit der Sammlertätigkeit verbunden sind – im Saal 33, der sich mit den „Studiolos“ der italienischen Fürsten befasst, blickt Isabella d’Este von Tizians Gemälde auf die Besucher herab. In Saal 30 steht Margarethe von Österreich, Tochter von Maximilian I., die Tante von Karl V., für den Beginn der Habsburgischen Kunstkammern. Die Chronologie beginnt in jenen Sälen, die sich mit Kirche, den Schätzen des späten Mittelalters, den italienischen Höfen befassen und landet bald bei den Habsburgern (die „Saliera“ ist in Saal 29 zu finden, wirkungsvoll ins Zentrum gerückt, mit viel Platz rundherum), die dann bis Kaiser Franz I. hinaufführen.
Kaiser Friedrich III. mit Spangenkrone / Seine Enkelin Margarethe von Österreich als Terrakotta (Fotos: Wesemann)
Logistik Unaufdringlich, aber nicht zu übersehen für jene, die in „alte“ Themen gerne mit Hilfe neuer Medien einsteigen, finden sich Tablets in Bänken integriert und können da zum Beispiel Automaten in der Vitrine virtuell in Bewegung setzen. Der zu erwartende Zustrom, hoffentlich Ansturm soll im Interesse der Besucher positiv „reglementiert“ werden: Man erwirbt zur Karte (was es ja bei vielen Großausstellungen auch gibt) ein Zeitfenster, das zwischen 10 und 17 Uhr ausgegeben wird und innerhalb von 20 Minuten den Zugang erlaubt: Danach kann man dann selbstverständlich so lange in der Kunstkammer bleiben, wie man will. Und man wird viel Zeit brauchen.
Kunsthistorisches Museum, täglich außer Montag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr