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WIEN / KHM / BEETHOVEN BEWEGT

28.09.2020 | Ausstellungen, KRITIKEN

 

WIEN / Kunsthistorisches Museum
BEETHOVEN BEWEGT
Vom 20. September 2020 bis zum 24. Jänner 2021

Der Boden, auf dem er ging

Um es gleich klar zu stellen: Die wahre Beethoven-Ausstellung Wiens findet in der Nationalbibliothek statt – Leben, Werk und Schwerpunkte, konkret auf den Spuren des tatsächlichen Menschen. Im Kunsthistorischen Museum wird etwas ganz anderes unternommen (das auch besser in ein anderes Haus passen würde, Wien hat ausreichend Tempel für „moderne“ Zugänge): „Beethoven bewegt“ ist eine von vier Ausstellungsgestaltern zusammen getragene Ansammlung von Assoziationen und Kommentaren, die dem Besucher einleuchten können oder nicht. Wenn auf der Treppe zur Ausstellung schon ein riesiges Hörrohr mit Ohr dahinter wartet (John Baldessari), weiß man nicht, ob Kaiser Franz Joseph als Büste daneben amüsiert, gelassen oder gar nicht hinsieht…

 Von Heiner Wesemann

Devotionalien für Liebhaber   Gerade in Wien, wo es auch noch ein leidenschaftliches Konzertpublikum gibt, wo Musik und Musiker den Menschen etwas bedeuten, mag Beethoven für viele Liebhaber einfach Beethoven sein – gerader Zugang, Kommentar überlüssig. Dann wird man möglicherweise im zweiten Saal der Ausstellung ganz betroffen – denn was da auf einem Podest ausgelegt ist, ist nicht weniger als der Fußboden von Beethovens letzter Wohnung. Er starb in der Schwarzspanierstraße, in Wien, wo man so bedenkenlos abreißt, fiel auch (allen Appellen von Beethoven-Verehrern zum Trotz) dieses Sterbehaus 1903 der Spitzhacke anheim. Die Beethoven-Freunde fotografierten davor noch die leeren Räume (die Fotos sind zu sehen), sie montierten Türrahmen ab und retteten einen Fußboden, der seither im Städtischen Museum (heute Wien Museum) verwahrt wurde. Hier liegt er nun, und es gibt Menschen, denen die Idee etwas bedeutet, dass Beethoven sicher über diesen Boden gegangen ist…

Im übrigen ist die Ausstellung reich an Handschriften und Notendrucken (letztere aus dem Besitz der Fürsten Lobkowitz). Das Deckblatt der „Dritten“ mit dem „Loch“, wo er die Widmung an Napoleon so zornig heraus gekratzt hat, dass das Papier zerriß, hier hat man es im Original. Und ein echtes Hörrohr aus Beethovens Besitz ist auch zu sehen. Es gibt also Motive für Beethoven-Freunde, den Weg ins Kunsthistorische Museum zu suchen.

Kunst als freie Assoziation   Wo „Interpretation“ von Gestaltern einsetzt, wird die Auswahl willkürlich. Haben die Notizbücher von William Turner, wo er Motive umkreiste, wirklich etwas mit den (viel größerformatigen) Notizbüchern von Beethoven zu tun. Warum wählt man ausgerechnet Caspar David Friedrichs Gemälde, um Beethovens Naturverbundenheit zu belegen. Und dass Goya auch ertaubte, macht ihn das mit seinen „Caprichos“ wirklich zu einem Verwandten des Komponisten? Dem Kunstfreund (und der kommt ja im allgemeinen ins KHM) ist das egal: Turner (mit einigen Aquarellen),

Friedrich, Goya mit 16 Blättern, das ist einen Ausstellungsbesuch wert, auch der „Prometheus“ des Jan Cossieres, auch wenn er aus dem 17. Jahrhundert stammt, schließlich hat Beethoven einmal „Die Geschöpfe des Prometheus“ geschaffen – ein kleiner Zusammenhang. Dass Anselm Kiefer in einer Foto-Collage Beethoven mit Hitlergruß zeigt, steht gewissermaßen auf einem anderen Blatt – die Aneignung des Künstlers für Politik und Kommerz wäre eine eigene Ausstellung wert. Hier ist es gerade ein Hinweis.

Die Kommentare der Moderne    Museen seien nicht nur Schatzhäuser und kulturelles Gedächtnis, sondern auch Reflexions- und Konfrontationsräume, Laboratorien der Phantasie und Gedankenverbindung, lassen die Ausstellungsgestalter wissen. Gedankenverbindung ist es, die auch vom Publikum gefordert wird, wenn auf dem Video von Guido van der Werve zuerst ein reisiger Eisbrecher sichtbar wird. Davor bewegt sich ein winziger Mensch. Das alles so langsam, dass man die Katastrophe wohl kaum abwarten könnte – sie kommt auch nicht auf dem Video, das sich kaum zu bewegen scheint. Nun könnte dies einfach alles bedeuten. Man könnte nach Wunsch jeden Bezug herstellen. Die Kuratoren versichern: „Obwohl es nicht im Hinblick auf Beethoven entstanden ist, weist das Werk Parallelen zur Isolation und physischen Beeinträchtigung des Komponisten auf . und zu dessen Kampf, sie zu überwinden.“ Wenn man so will – ja. Wenn man nicht will – nein.

Hier kann man die Willkür der Gedankenverbindung besser beweisen als etwa bei Rebecca Horn: Der von ihr verkehrt in die Luft gehängte Flügel, dessen Tasten herausfallen (???), mag zwar Spielerei sein, aber er hat wenigstens entfernt mit Musik zu tun. Die Zeichnungen von Jorinde Voigt behaupten, Beethovens Sonaten in vielfachen zarten Zeichnungen abzubilden. Sie könnten aber auch etwas ganz anderes sein. „Moderne Kunst“ bedeutet die Bereitschaft des Betrachtenden, sich auf Wege und Abwege, Zugänge und Enigmatisches der „Performancer“ einzulassen. Wenn er meint, dass es sich lohnt.

Frag die Broschüre  Wer Mühe hat, angesichts des Gebotenen Zusammenhänge mit Beethoven herzustellen – eine Broschüre, frei erhältlich, leistet gedankliche Hilfestellung, versucht ausführlich darzustellen, warum die Kuratoren zu ihren Entscheidungen gelangt sind. Erwähne man noch, dass für die Ausstellung vier Räume der Bildergalerie im 1. Stock ausgeräumt wurden, dass folglich größere Umhängungen der klassischen Sammlung erfolgten, Bei dieser Gelegenheit sind mehrere Tintoretto- und  ein paar Veronese Gemälde hervorgeholt worden, die man sonst nicht sieht. Noch eine kleine, aber  hoch geschätzte Draufgabe für die Kunstfreunde.

Kunsthistorisches Museum:
Beethoven bewegt
Bis 24. Jänner 2021
Täglich von 10 bis 18 Uhr Do 10 bis 21 Uhr

 

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