Fotos: Marcella Ruiz Cruz
WIEN / Kasino des Burgtheaters:
PEER GYNT von Henrik Ibsen
Premiere: 15. März 2024,
besucht wurde die Vorstellung am 19. März 2024
Bröckerlwerk – und wieder im Nebel
„Peer Gynt“ von Henrik Ibsen ist ein gewaltiges Werk. Wie viele Stunden hat Peter Stein (vor gefühlten hundert Jahren) für seine Berliner Schaubühnen-Aufführung damals benötigt? Eben. Da kann einem eine schlichte Eindreiviertelstunden-Fassung im Kasino des Burgtheaters nur bescheiden vorkommen. Nicht einmal „schneller Vorlauf“, sondern bestenfalls: Bröckerlwerk.
Eines erstaunt allerdings: Der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson kann in einem Programmheft-Interview nicht nur davon überzeugen, wie wichtig ihm das Werk ist, er hat es offensichtlich auch in alle Richtungen durchdacht. Wieso sieht man davon absolut nichts im Kasino? Wieso ist ihm zu diesem Werk nur ein bißchen Formalismus eingefallen?
Liegt der Fehler am Raum, den er in seiner Nüchternheit „mitspielen“ lassen will, weil er ihn als ideale Szenerie begreift, es also außer Aases Bett, gelegentlich einem Sessel, einem Käfig für das Irrenhaus und das Ende und Klavieren für die Live-Musik nichts zu sehen gibt? Schon das ist ein konzeptioneller Irrtum, denn „Peer Gynt“ hat unendlich viele Farben, nicht nur jene des Nordens und der Wüste, der Trolle und der Irrenhauswelt, sondern noch manches mehr.
Begnügt man sich wie Ausstatter Daniel Angermayr mit einem Minimum und gibt den Trollen ein paar Faschingskostüme mit Luftballons, macht man auch der Regie die Identifikation schwer. Das ist wieder der klassische Fall eines Theaterabends, wo man wohl keine Ahnung von dem Stück bekommt, wenn man es nicht kennt.
Nun kann man sich an „Peer Gynt“ fransig interpretieren, so viel hat Ibsen in diese „moderne“ Figur eines unsteten Menschen, der alles will, hinein gepackt. Was wollte Thorleifur Örn Arnarsson mit ihm? Nebel auf der Bühne und Lichtstimmungen (großteils Zwielicht) bringen im Grunde nichts. (Die Ähnlichkeit mit dem „Iphigenie“-Abend im Akademietheater ist frappierend, Nebel und Dunkelheit, nur dass hier dankenswerterweise niemand marschieren muss.)
Kurz, Konzept und Aussage sind nicht erkennbar (und von der schönen, witzigen Morgenstern-Übersetzung blitzt nur gelegentlich ein Reim auf), das meiste an dem Stück fehlt ohnedies. Es gibt kurze überzeugende Elemente in den Szenen von Peer und seiner Mutter (obwohl Aase schon überzeugender ins Jenseits kutschiert wurde) und am Ende, wenn er ein „Jedermann“ wird, der, mit dem Tod konfrontiert, erst nur weglaufen will, sich dann fragt, was er aus seinem Leben gemacht hat (war er „er selbst“ oder nur wie ein Troll, „sich selbst genug“?) Die „Erlösung“ durch Solveig funktioniert nicht, weil sie kaum eine Rolle hatte – ebensowenig wie die anderen außer Peer und der Mutter, alle Figuren von drei Darstellern verkörpert, wie soll sich da ein Who is Who entfalten? Oder vielmehr – das Stück?
Warum Peer Gynt von einer Frau gespielt werden muss, erklärt sich nicht, rechtfertigt sich aber möglicherweise durch die bemerkenswerte Leistung, die Mavie Hörbiger in dieser Rolle erbringt. Zu Beginn (etwas überdreht) der übersprudelnde, von seiner Phantasie davon getragene Bub, dann manche dramaturgische Verwirrung, bevor sie/er als fetter Kapitalist da steht, der Kaiser sein möchte, am Ende die Verwirrung bis zunehmende Verzweiflung angesichts des Todes. Das ist auch sprachlich hervorragend (was bekanntlich im Burgtheater selten ist) und gelegentlich von einer Art rührenden Zaubers.
Es gibt viele Methoden, die Aase zu spielen, Barbara Petritsch scheint mehr verärgert über als verliebt in diesen Sohn, ist aber sehr präsent. Was die übrigen – Lilith Häßle in allen Frauenrollen und Johannes Zirner und Lukas Vogelsang in allen wichtigen Männerrollen des Stücks – weniger gelingt. Bei der Live-Musik (Gabriel Cazes) gibt es auch Passagen, wo Edvard Grieg gerappt wird – wir sind ja so von heute.
Am Ende waren es einige Bröckchen von „Peer Gynt“, aber letztlich so wenige, dass man gleich darauf verzichten könnte. Die Lust auf das ganze Stück, die einen dabei überkommt, wird ja wohl nicht so bald erfüllt werden.
Renate Wagner