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WIEN / Kasino: ODE

26.02.2022 | KRITIKEN, Theater

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Foto: Burgtheaer / © Karolina Miernik

WIEN / Kasino des Burgtheaters: 
ODE von Thomas Melle
Premiere: 26. Februar 2022 

Zu Beginn könnte man sich in einem Stück á la „Kunst“ von Yasmina Reza wähnen. Ein großer, blauer Fransenvorhang verbirgt – noch – ein Kunstwerk. Von dem sich schnell herausstellt, dass es nicht existiert. Wäre man bei Reza, kennte man sich aus, man wüsste, es ginge darum, wie Menschen auf moderne Kunst reagieren. Was sie in ihnen auslöst. Wie sie sogar Beziehungen beeinflussen kann.

Thomas Melle will mit seinem Stück „Ode“ viel, viel mehr. Er möchte einfach alles diskutieren, was sich zu Kunst und Künstlern, zu deren Gegnern und Politikern sagen lässt. Außerdem möchte er gegenwärtige Verhaltensweisen  mindestens ironisieren, wenn nicht zur Satire vermanschen, aber auch hinterfragen. Und last not least, aber eigentlich geht es zuvörderst, um Politik. Politik und Kunst. Denn dass diese zusammen gehören, ist ja wohl der allgemeine Konsens.

Überraschenderweise gibt es sogar etwas wie eine Handlung. Da ist eine Künstlerin namens Fratzer, offenbar hoch renommiert, sonst wäre sie nicht Akademie-Rektorin, die einmal die Grenzen des Möglichen ausloten will. Erstens eine Skulptur, die nicht existiert, nur als Behauptung. Zweitens die schier unmögliche Bezeichnung als „Ode an die alten Täter“, wo sie quasi jene Nazis lobt, die ihren gewalttätigen Großvater umgebracht haben, weil sonst ihre Großmutter und Mutter nicht überlebt hätten und sie nicht auf der Welt wäre. Schlimm genug. Dass sie in einer besoffenen Stunde zugegeben hat, dass sie als ursprünglichen Titel „Ode an das KZ“ erwogen hat – das geht zu weit.

Denn sie lebt in einer Welt, wo „die Wehr“ herrscht. Das ist der Staat. Der natürlich konservativ und nur scheinliberal, tatsächlich aber böse und faschistisch (und allgegenwärtig) ist. Da nützt es bei einer Fernsehdiskussion nichts, wenn ein erregter Künstlervertreter alle Beschimpfungen los lässt – Ergebnis, die Dame wird „gecancelt“. Das kennt man ja nun wirklich aus der Gegenwart. Die entrüsteten Rechten, die übermoralischen Linken, da sind sie sich ja doch einig, dass die Kunst nicht alles darf.

Leider bricht das Stück in seinem zweiten Teil total ein. Da will zehn Jahre danach ein wilder Regisseur auf der Bühne das Schicksal der Frau Fratzer, über dem eine großväterliche Vergewaltigung lastet (wessen eigentlich, das wird nicht klar), auf der Bühne nachstellen. Und nun rast das Stück vom Hundertsten ins Tausendste, ist bei Identitäten (niemand hierzulande darf eine Migranten-Putzfrau darstellen, weil er ihr Schicksal nicht erlebt hat – solche Argumente kennt man, keine Weißen für Othello!), Geschlechtern (gestrige Situationen darzustellen, ist für Frauen von heute nicht zumutbar) und einfach bei allem gelandet, woran sich das Feuilleton Tag für Tag abarbeitet.

Was den ziellosen Schlußmonolog der entweder  auferstandenen Künstlerin (oder ihrer Stellvertreterin (die Darstellerin wird mit der Doppelrolle Fratzer / Präzisa geführt) betrifft, so muss das Publikum selbst entscheiden, wo seine Toleranzgrenze für ziellose Geschwurbel liegt – und wo man innerlich abschaltet.

Der ungarische Regisseur András Dömötör hetzt das Geschehen in knapp zwei Stunden über die Burgtheater-Bühne im Kasino. Dass wenig Klarheit angesagt ist, geht wohl auf das Stück zurück, aber man hätte doch versuchen können, mehr auf Struktur als auf Chaos zu setzen.

Ein sechsköpfiges Ensemble wechselt immer wieder die Rollen. Anfangs und am Ende dreht sich alles um Sabine Haupt, erst die entschlossene Künstlerin, die dann den Boden unter den Fußen und auch das Vertrauen in sich selbst verliert, am Ende der sich verrennende, möglicherweise poetisch gemeinte Monolog plus Verkleidung in ein Geschöpf aus blauem Plastik… Sicher sehr symbolisch. Aber wie?

Katharina Pichler spielt vor allem „die Wehr“, also den soldatisch gnadenlosen Widerspruch zu allem, was als freie Kunst herumflattert. Gelegentlich wird sie von Caroline Baas dabei unterstützt. Diese ist mit Tilman Tuppy und Arthur Klemt als „Personen des öffentlichen Raums“ definiert, wobei Klemt die Schimpforgie brüllen darf, die dann den Nachteil (oder Vorteil?) hat, dass man sie infolge der an sich miserablen Akustik des Kasinos kaum versteht. Eine wahrlich exzessive, teils auch nackte Show darf Markus Meyer als „Orlando“ (nicht jener / jene von Virginia Woolf) abziehen, man weiß, dass er dergleichen kann wie wenige, und wenn es immer wieder peinlich wird, ist das wohl beabsichtigt.

Dass es auf die von Thomas Melle an diesem Abend grenzenlos aufgeworfenen Fragen keine  definitiven Antworten gibt – geschenkt. Es wäre aber von Autor und Regie sinnvoll gewesen, die Problematik ein wenig zu präzisieren, statt sie in alle Richtungen ziellos (und letztlich für den Zuseher ohne Nutzanwendung) ausufern zu lassen. Doch wie immer spendete das Publikum viel Beifall.

Renate Wagner

 

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