Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Kasino: EXTREM TEURES GIFT

18.12.2022 | KRITIKEN, Theater

01 extrem teures gift c ruiz cruz die zwei breit~1
Fotos: Burgtheater / Marcella Ruiz Cruz

WIEN / Kasino des Burgtheaters:
EXTREM TEURES GIFT von Lucy Prebble
Premiere: 10. Dezember 2022,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 17. Dezember 2022 

Natürlich ist er damit davon gekommen, wie mit allem Ruchlosen, was er davor und danach getan hat. Wladimir Putin lässt seine Kritiker ermorden – das muss nicht erst bewiesen werden. Was aber Zeitungsartikel im allgemeinen nicht erzählen, das Theater kann versuchen, es aufzurollen. Und die britische Dramatikerin Lucy Pebbles tut es mit dem Stück „Extrem teures Gift“. in dem sie den Mord an dem russischen Dissidenten Alexander Litwinenko im November 2006 umkreist.

Gleich zum Titel – das Gift Polonium, das nur in Russland hergestellt wird und hochradioaktiv ist, soll in der Menge, die Litwinenko in einer Teetasse kredenzt worden ist, den Wert von 29 Millionen Euro (!!!) besessen haben, eine schier unvorstellbare Summe, die man eigentlich gerne erklärt bekäme. Tatsache ist, dass es dem Opfer einen schweren, tragischen Tod beschert hat – gerade das, was Putin diesem „Verräter“ wohl gegönnt hat.

Die Rahmenhandlung der Geschichte ist der Kampf von Litwinenkos Gattin Marina um „Gerechtigkeit“ – tatsächlich hat die britische Regierung (obwohl der Russe mittlerweile Engländer geworden war) den Mord jahrelang unter den Tisch gekehrt, aus „diplomatischen“ Gründen. Man scherte sich wenig um einen ruchlosen Mord, wenn man doch die Russen nicht verärgern wollte… Erst als das Buch von Alex Goldfarb und Marina Litvinenko: Death of a Dissident erschien und der „Guardian“-Journalist Luke Harding das Thema später aufgriff, kam der „Fall Litwinenko“ in voller Breite an die Öffentlichkeit. Und das Stück von Lucy Pebbles, das sich auf diese Arbeit bezieht, 2019 am Old Vic in London uraufgeführt und nun im Kasino des Burgtheaters zur deutschsprachigen Erstaufführung gebracht, tat das Übrige.

Nun ist das Stück selbst, dessen Regie Martin Kušej übernommen hat, als das ursprüngliche Konzept nicht passte (und ja, auch dafür sind Direktoren da!), keine Meisterleistung. Es ist ein realistisch gepoltes Polit-Drama aus einer Überfülle von Kurz- und Kürzest-Szenen, die Kušej, von scharfen Dunkelpausen getrennt, in zwei pausenlosen Stunden durchjagt. Dabei werden die jeweiligen Schauplätze angesagt, und der äußere Aufwand ist im Kasino dermaßen minimal, dass man für den zentralen Tisch und einige Stühle nicht einmal einen Bühnenbildner nennen muss) Kušej konzentriert sich darauf, die Szenen pausenlos, ohne Durchhänger, aufzufädeln und die politische und private Geschichte für den Zuschauer emotional zu verbinden.

01 extrem teures gift c ruiz cruz 8968~1

Erzählt wird auf mehreren Ebenen – zu Beginn und am Ende steht  der Wunsch von Marina Litwinenko, dass dieser Fall mit seinem Schuldigen an die Öffentlichkeit gebracht werde, dann erlebt man das Sterben des Gatten im Krankenhaus (ein historisches Foto, das sein am Ende völlig verfallenes Gesicht zeigt, ist erschütternd), dann erlebt man im Rückblick Familienszenen in Moskau, eine linientreue ältere Generation und eine aufgeschlossene jüngere  (Litwinenko und seine Frau), das Angebot, das man nicht ablehnen konnte, für den damaligen KGB (noch unter Jelzin) und später für die Folgeinstitution FSB zu arbeiten. Was Litwinenko hingegen ablehnte, war als Killer zu fungieren, zumal, wenn es sich um Menschen handelte, die ihm nahe standen.

Und dann kam Putin, und wenig später setzte sich Litwinenko mit Frau und Sohn nach England ab. Vermutlich war die ganze Geschichte um einiges komplexer, als sie hier ausgeführt wird, in Putins Augen war er ein Überläufer und Verräter, der für die Gegenseite arbeite… und so gab es, als es zu dem Mord kam (die beiden Täter dürfen sich regelrecht töricht verhalten), völlig klar, wer dahinter steckte.

Putin selbst kommt in dem Stück vor, nicht nur als er selbst auf der Videowand, auch in Gestalt von Dietmar König, wobei er allerdings nichts wirklich Essentielles zu sagen hat. Aus der Realität rutscht das Geschehen, wenn Marina dem Mörder (da ist die Bühne in Blutrot getaucht) ihre Meinung entgegenschleudern darf … aber das ist wohl nur ein Traum. In Wirklichkeit ist Putin mit Sicherheit völlig ungerührt, sowohl über Litwinenkos Schicksal wie darüber, als „Bösewicht“ auf Theaterbühnen zu stehen…

01 extrem teures gift c matthias horn sie

Es gibt zwei durchgehende Hauptdarsteller: Sophie von Kessel beherrscht Anfang und Schluß des Stück, geschüttelt von gerechter Empörung, eine Frau, die es schließlich geschafft hat, das Verbrechen öffentlich zu machen (das Bild der echten Marina, die auch bei der Premiere anwesend war, sorgt für den Schlußeffekt des Abends – die Worte, wachsam zu sein, klingen nach). Und Daniel Jesch versucht als Alexander Litwinenko das schier Unmögliche, nämlich einem verbrecherischen Regime nicht zu dienen.

Die meisten an diesem Abend sind mit mehreren Rollen unterwegs, eindrucksvoll Wolfram Rupperti, dazu Johannes Terne, Maximilian Pulst, Johannes Zirner. Tim Werths und Laura Dittmann.

,Als Stück ein bisschen dürr und dürftig, ist es Gebrauchs- und Diskutier-Theater –  warum nicht. Es will eben ganz konkret bei aktueller Politik mitreden. Zumal der Mann, um den es auch geht, ja heute wegen zahlloser weiterer Verbrechen auf der moralischen Anklagebank sitzt.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken