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WIEN / Kasino des Burgtheaters: PÜNKTCHEN UND ANTON

07.11.2015 | KRITIKEN, Theater

Puenktchen_und_Anton_Szene breit~1
Alle Fotos – Copyright: Reinhard Werner / Burgtheater

WIEN / Kasino des Burgtheaters:
PÜNKTCHEN UND ANTON nach Erich Kästner
In einer Fassung von Cornelia Rainer
Premiere: 7. November 2015

Dass Kinder die besseren Menschen seien, mochte Erich Kästner noch glauben (oder hoffen) und hat es in einigen Kinderbüchern beschrieben, die zweifellos zu den Spitzenwerken des Genres zählen. Für welche Kinder („ab 7 Jahren“) ist nun die Dramatisierung gedacht, die Regisseurin Cornelia Rainer dem Werk im Kasino des Burgtheaters angedeihen ließ? Dass der herb-schnoddrige Charme des Originals gänzlich verloren gegangen ist, soll offenbar durch eine zeitgemäße Turbulenz und Hektik ersetzt werden, die heutigen Kindern entspricht, die angeblich mindestens hundertmal täglich auf ihr Handy klicken. Da bleibt für das, worauf es Kästner ankam, keine Zeit.

Der gute Mann Kästner, der hier in Gestalt von Martin Schwab auf der Bühne steht und viele, viele Rollen, die gerade anfallen (vom Lehrer über den Chauffeur bis zum Polizisten), übernimmt, war ein guter Mensch, ein wunderbarer Moralist. „Pünktchen und Anton“ erschien zu Beginn der dreißiger Jahre, als das Leben in Deutschland für die Armen besonders hart war (was von Fallada bis Döblin ganz große Literatur hervorbrachte…). In bewusstem Gegensatz zeichnete Kästner das Leben in der reichen Familie Pogge, wo es an nichts fehlt, nur an Aufmerksamkeit für Tochter Pünktchen. Und das Leben bei der bitterarmen Frau Gast und ihrem Sohn Anton, die nur von ihrer Liebe zu einander aufrecht gehalten werden.

Schon da stimmt die Proportion der Dramatisierung überhaupt nicht, das absolute Schwergewicht der Handlung liegt bei den Pogges (und hier bei der Karikatur der Eltern), während es Kästner ja um Frau Gast ging, in der er seiner eigenen geliebten und bewunderten Mutter huldigte: Hier muss Dunja Sowinetz in wenigen Szenen mehr hexen- und gespensterhaft erscheinen, als vielmehr die gute, großartige Frau in den Vordergrund spielen zu dürfen.

Da auf einer Raumbühne, wo alle Schauplätze zugleich immer präsent sind, einzig und allein auf permanente lärmende Bewegung gesetzt wird, entwickelt sich gar nichts, weder Charaktere, die auf lächerliche Parodie abzielen, noch Handlung – und am wenigsten die wunderbare menschliche Komponente, wo das reiche Mädchen Pünktchen begreift, wie das Leben eines Anton verläuft – und sie eigentlich nur helfen will. Dass die Geschichte ins Heute versetzt wird, man in Euros rechnet (nebenbei aber wird auf den Zeppelin am Himmel verwiesen!!!) und googelt, wirkt wie ein besonderer Unsinn als Draufgabe…

Natürlich ist sowohl das nächtliche Betteln von Pünktchen und vor allem die Geschichte um das Kindermädchen und ihren Freund, der bei Pogges einbrechen will, reines „Kindertheater“, aber es würde völlig reichen, hier am Ende das totale Chaos ausbrechen zu lassen, das leider die ganzen zweieinviertel Stunden hindurch waltet und nichts ergibt als einen wackligen, schrillen, unübersichtlichen Theaterabend, der die originale Geschichte im Grunde nur rudimentär erzählt.

Puenktchen_und_Anton_Schwab und die Kinder
Martin Schwab und die Kinder

Und so fetzen sie in dem eher nüchtern-nichtssagenden Raum und den vage heutigen Kostümen (Sarah Haas) herum: Martin Schwab als sehr hektischer Dichter, der auch für die moralischen Sequenzen zuständig ist (ein Teil davon steht im Roman selbst, teilweise nimmt man Zeilen aus Kästners berühmten Gedichten und Aussagen dazu – „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“). Dafür, dass sie tatsächlich ein kleines Mädchen ist, bekommt Adriana Gerstner die kleine Göre Pünktchen rotzfrech (allerdings nicht poetisch) in den Griff, während Florian Klingler als Anton der eher stille arme Junge ist.

Vor der Premiere trat sogar Direktorin Karin Bergmann (nicht vor den Vorhang, den gibt es nicht) auf die Bühne, um anzukündigen, dass die 22jährige, aus Graz kommende Schauspielerin Christina Cervenka (die eigentlich nur die Kinder der Produktion betreuen sollte), innerhalb von zwei Tagen für die erkrankte Sylvie Rohrer eingesprungen war und die Premiere rettete – tatsächlich fegte sie in der großen Rolle der Frau Pogge über die Bühne, als hätte sie nie was anderes getan, gefolgt von Dirk Nocker als ihrem hektischen Gattin.

Enorm aufgeputzt wurde die Rolle des bei Kästner eher unscheinbar gezeichneten Kindermädchens Fräuleins Andacht, hier zur Ausländerin gemacht, die die deutsche Sprache malträtiert: Adina Vetter (ihre Abschiedsrolle vom Haus?) darf Humor zeigen. Eine Köchin mit Sandrock-Tönen gab Brigitta Furgler, einen eher törichten Ganoven, der sich als Sozialrevolutionär gebärdet, Robert Reinagl, und einen erst ekelhaften, am Ende edlen Jungen (er ist ein Kind, also hat er Kästners Sympathie) Merlin Miglinci. Eine Handvoll anderer Kinder musizierte nach Kräften, und ihr Animo kompensierte, wenn es gelegentlich weniger schöne Töne gab.

Der Beifall war so heftig, als hätte man nicht eine dauernde Brüll- und Hetzorgie, sondern wirklich ein Kästner-Kinderstück erlebt. Vor dem Zuschauerraum war ein großer Büchertisch aufgebaut. Ich habe niemanden gesehen, der am originalen Buch Interesse gezeigt hätte.

Renate Wagner

 

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