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WIEN / Kasino: CYPRESSENBURG

"Es ist nicht Nestroy!"

13.04.2024 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: © Marcella Ruiz Cruz

WIEN / Kasino des Burgtheaters: 
CYPRESSENBURG
Von Golda Barton nach Nestroy
Uraufführung
Premiere: 12. April 2024 

„Es ist nicht Nestroy!“

Es gab enorm viel Vorpropaganda dafür, dass das Burgtheater – gerade noch vor Torschluß, kann man sagen – in einer Produktion ausschließlich sein „diverses“ Personal eingesetzt hat. In „Cypressenburg“ auf der Bühne des Kasinos versammeln sich eine Türkin, eine Asiatin, ein gebürtigen Neuseeländer  und die PoC, „People of Color“, wie der korrekte Ausdruck jetzt heißt. Abgesehen davon gibt es wieder Neuheiten in der Sprachregelung – man soll nicht mehr „AfroAmerikaner“ oder „AfroDeutscher“ sagen, künftig muss von „AfroDiaspora“ die Rede sein. So wie einst die Juden, wurden offenbar die Schwarzen Afrikas „zerstreut unter alle Völker“. Und nun sind einige von ihnen im Burgtheater gelandet.

Die Frau von Cypressenburg ist Johann Nestroys Variante einer „lächerlichen Preziösen“ in seinem Meisterstück „Der Talisman“. Wenn man das Thema Vorurteil und Ausgrenzung behandeln will, eignet sich weniges besser als dieses Stück über den Rothaarigen, der im Leben keine Chance hätte, versteckte er die verpönte Haarfarbe nicht unter allerlei andersfarbigen Perücken…

Es ist ein Lehrstück erster Ordnung, bis heute, und wenn man es für eine „Überschreibung“ einsetzen wollte, die sich mit Diversität und Rassismus, kultureller Aneignung und Identität befasst, wäre es sicher richtig. Tatsache ist, dass man die echten Nestroy-Zitate an den Fingern einer Hand abzählen könnte und das Werk einfach nur als Vorwand für den Abend dient. Nicht einmal die Aussage der Regisseurin Isabelle Redfern im APA-Interview stimmt: „Wir haben die Story durch den Fleischwolf gedreht“. Tatsächlich wird ganz anderes erzählt, ohne dass man nach den 110 pausenlosen Minuten sagen könnte, was eigentlich. „Es ist nicht Nestroy!“, betonte Redfern jedenfalls. Ja, das hat man auch selbst heraus bekommen.

Als Autorin dieser „Überschreibung“ gilt eine gewisse Golda Barton, die es möglicherweise nicht gibt. Die Regisseurin könnte sich da hinter dem Pseudonym verstecken, auch, was es mit ihrer Musiktheatercompany MamaNoSing auf sich hat, bleibt rätselhaft, ist aber letztlich egal, Es geht um das, was man auf der Bühne des Burgtheater-Kasinos am Schwarzenbergplatz sieht.

Und das ist nicht viel. Ausgangspunkt (auch Nestroy hat seine Themen „gestohlen“, heißt es, also dürfe man das auch – ja, aber auf das Ergebnis kommt es an, oder?) ist ein Filmstudio, das Frau Cypressenburg gehört, Carl Carl (wer es nicht weiß: Er war der Errichter des Carltheaters und lange Jahre Nestroys Direktor) ist hier irgendein Produzent (als Figur ohne Eigenschaften), und das, was einst Titus Feuerfuchs war, heißt hier Titus Fox und ist ein ambitionierter Möchtegern-Filmemacher. Star des Studios ist Sal O´Myé (soll wohl an Salome Pockerl erinnern), und sie räsoniert endlos über die (tatsächliche) Reaktion des amerikanischen Kinopublikums, das sich über eine Farbige in der Neuverfilmung von „Arielle“ entrüstet hatte…

Die fünfte Person des Abends  braucht man am dringendsten: Denn die südkoreanische Pianistin Ming spielt nicht nur Klavier wie der Teufel (und einem bemerkenswerten Gefühl für das „Wienerische“), sondern ist auch als Komikerin (mit besten Kenntnissen etwa einer Schweizerischen Tonfärbung) sehr amüsant. Sagen wir es gleich, sie ist der einzige Gewinn des Abends, der i m übrigen recht unpräzise wirkt, als segelten die Darsteller mehr durch die Geschichte, als dass sie sie gestalteten.

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Die anderen Darsteller sind das Opfer dessen, dass der Autorin oder der Regisseurin oder wer immer letztlich für den Text verantwortlich war, absolut nichts eingefallen ist. Schon gar keine Handlung, wenn auch Titus Fox kurzfristig eine rote Perücke aufsetzt und dann behauptet, er sei weiß (wieso?), Tatsächlich geht es darum, alle heutzutage gängigen Schlagworte und Schlage-Tot-Kampfworte  einzusetzen und in entsetzlich banalen Attacken los zu lassen, die ins Leere zielen. Im übrigen soll Wiener Schmäh persifliert werden (was nicht so ganz leicht ist) – und die Wiener und Österreicher nach Herzen beschimpft. Ist ja gut, wie man weiß, haben sie das gern, saugen es vom Herrn Karl bis zu Thomas Bernhard so genußvoll ein wie Champagner, es müsste nur ein bißchen klüger und treffender sein, als es hier geschieht, wo das diesbezügliche Niveau geradezu peinlich ist. (Vielleicht hätte man sich heimlich Fachleute a la Düringer, Hader und Co. engagieren sollen, damit das Ganze einigermaßen auf den Punkt gebracht worden wäre).

Weil es also keine wirkliche Handlung gibt, sondern nur schlechte Dialoge, bricht der Abend immer wieder in Gesang und Tanz aus. Sicher, Safira Robens und Zeynep Buyraç können das, besonders die Damen blödeln sich was ab, die Herren (Moses Leo und Ernest Allan Hausmann) sind diskreter, aber wenn man Ming nicht hätte…die Öde wäre kaum auszuhalten.

Der Zustrom zur Premiere war stark, das Publikum gleichfalls divers. Man spürte geradezu die kollektive Entschlossenheit, das, was auf der Bühne gezeigt wurde, für gelungen zu erachten. Entsprechend stark war der Beifall. Über dessen Berechtigung scheinen sich wenige den Kopf zerbrochen zu haben.

Renate Wagner

 

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