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WIEN / Kasino: AM ZIEL

14.10.2022 | KRITIKEN, Theater

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Foto Burgtheater / © Susanne Hassler-Smith 

WIEN / Kasino des Burgtheaters: 
AM ZIEL von Thomas Bernhard
Premiere: 14. Oktober 2022 

„Am Ziel“ war nie eines der großen, wichtigen Stücke von Thomas Bernhard. Es handelt die längste Zeit einfach davon, dass eine Mutter ihre Tochter unterdrückt und demütigt. Das Repertoire an Themen, die sie dabei abspult, ist bescheiden und nicht sehr interessant (nicht wie in den politisch aufgeladenen Stücken). Wenn dann ein Mann in die weibliche Zweisamkeit einbricht, wird es grundsätzlich nur wenig aufregender.

Aber! Wie Bernhard selbst aussagte, schrieb er in erster Linie für die Schauspieler, in zweiter Linie für sich selbst und in dritter Linie dann für das Publikum. Und eine Traumrolle ist diese „Mutter“, die keinen Namen hat (ebenso wenig wie die „Tochter“ und der „dramatische Schriftsteller“), allemale. Kreiert  bei den Salzburger Festspielen lustvoll monströs von Marianne Hoppe, in Wien in kleineren Häusern ohne großen Effekt nachgespielt, zuletzt von Andrea Jonasson 2015 in der Josefstadt in elegantem Gesellschaftsdamen-Look (da schoß damals Therese Lohner als geplagte Tochter den Vogel ab).

Nun, im Kasino des Burgtheaters, ist Dörte Lyssewski als Mutter an der Reihe, und damit geht der Abend von Anfang an schief. Bernhards Text hat bekannterweise Schärfe, Rhythmus, Kraft und gewissermaßen einen Sog des Bösen. Gewiß, man kann den deklamatorischen Charakter aufbrechen (es ist schon erfolglos geschehen) – aber damit zerstört man die Figur und das Stück. Die Interpretin und Regisseur Matthias Rippert  haben sich für eine Art pseudo-realistischer Sprache entschlossen, die teils geflüstert und affektiert dahingehaucht und in meist leisen wie absichtsvoll verschmierten  Tönen parliert wird.

Das würde schon im Akademietheater nicht funktionieren, um wie viel weniger im Kasino, das immer Akustik-Probleme hatte und hat und wo grob geschätzt die Hälfte des Textes unverständlich unter den Tisch fällt (und das Publikum über die bitterbösen Pointen gar nicht lachen kann, wenn man sie nicht versteht). Was sich als große Kunstfertigkeit der Interpretin ausgibt, ist schlichte Rücksichtslosigkeit und Einsichtslosigkeit von ihrer Seite und jener des Regisseurs. Schließlich haben auch Thomas Bernhard und das Publikum ein Recht – nämlich, dass man den Text versteht.

So zerfasert wie die Sprache ist dann auch die Figur, die Dörte Lyssewski auf die sparsame Bühne (Fabian Liszt) stellt (Nicht-Kostüme: Johanna Lakner). Man weiß eigentlich nicht, was diese Mutter bewegt, sie ist nicht einmal eine manische Sprechmaschine aus dem richtigen Leben, wenn sie schon die geballte Bösheit der Figur nicht bedienen will. Man weiß nicht, was sie bewegt, was sie will, was sie soll.

Als Tochter sieht man Maresi Riegner, die sich in ihrer Burgtheater-Karriere mehr und mehr zur Fachfrau für gestörte Charaktere entwickelt. Sie sieht dumpf-töricht-debil drein, versucht ein bisschen (mit Mini-Text) mitzuspielen, hat aber keine andere Chance, als sich durch die Rolle zu grimassieren.

Das dauert etwa hundert Minuten, dann tritt der erwähnte „dramatische Dichter“ auf, der vielfach als jung und gut aussehend beschrieben wurde. Es kommt Rainer Galke, der beides nicht ist, aber ein guter Sprecher, von dem man jedes Wort versteht. Hat sich die Regie bis dahin kaum durch die elende Langeweile kämpfen können, beginnt nun die Posse, wenn beide Frauen dem Mann auch körperlich auf den Leib rücken. Die Mutter leistet sich sogar einen heftigen Ausbruch – so unmotiviert wie alles andere auch.

Ganz am Ende freilich, da erbricht sie sich reichlich und ekelhaft über Brust und Bauch des Dichters. Das hat dem Publikum so gut gefallen, dass es den mehr als zweieinvierelstündigen pausenlosen Abend besonders laut feierte. Chacun à son goût,

Renate Wagner

 

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