WIEN / Kammerspiele der Josefstadt:
VON MÄUSEN UND MENSCHEN von John Steinbeck
Premiere: 6. März 2025,
besucht wurde die Generalprobe
Ein sentimentales Meisterwerk
Wahrscheinlich kennen in unsere Zeit viele Menschen John Steinbeck (1902-1968) nur noch aus dem Kino. „Früchte des Zorns“ oder „Jenseits von Eden“ sind so berühmte Filme, dass sie zu den unvergeßlichen Meisterwerken der Leinwand zählen. Aber sein Roman „Von Mäusen und Menschen“ hat es vor allem auf die Bühne geschafft – ein ergreifendes Bild des traurigen Wanderarbeiterlebens in den USA der dreißiger Jahre, in dem alles enthalten ist, was Steinbeck berühmt gemacht hat – seine genaue Kenntnis der Welt, die er beschreibt, und ihrer Menschen, und seine tiefe Empathie für alle ihrer Schicksale. Der Nobelpreis ging selten so verdient an einen Autor wie an diesen …
„Von Mäusen und Menschen“ ist an sich ein Roman, aber von Steinbeck (der auch viele Drehbücher schrieb) dialogisch gehalten. Man kann das Werk als Stück spielen – Torsten Fischer hat für die Kammerspiele der Josefstadt allerdings eine Version erstellt, die geringfügig auch Prosateile des Buches einbringt, wenn man die Handlung verfremden (sprich: nicht zu dick werden lassen) will. Das bewährt sich an vielen Stellen sehr überzeugend.
Es ist die Geschichte von George, einem jungen Mann, der als Wanderarbeiter (auf der Suche nach Gelegenheitsarbeit aller Art) durch das ländliche Amerika zieht. An seiner Seite Lennie, der liebe, geistig etwas beschränkte Kraftlackl, auf den man gut aufpassen muss. Sicherlich eine Last für George, aber auch der Schutz vor jener Einsamkeit, an der Menschen zugrunde gehen können. Wenn die beiden nun auf einer Farm landen (die in der Wiener Aufführung eine Art Fabrik ist, um durch das Element der Industrialisierung das kapitalistische Ausbeutersystem deutlicher zu machen), zeichnet Steinbeck hier in präzisen Einzelfiguren eine brutale Männerwelt zwischen Konkurrenz, Ritualen und Trostlosigkeit.
Fotos: Theater in der Josefstadt
Eine einzige Frau, die nicht einmal einen Namen bekommt, von der immer nur als „Curleys Frau“ die Rede ist (und Curly ist der Sohn des Besitzers der Farm), bringt die logische Unruhe in eine Welt, wo Frauen nur Nutten sind, zu denen man am Wochenende sein Geld trägt. Steinbeck hat jedes Mitleid mit der Sehnsucht dieser jungen Frau nach einem Leben mit ein bißchen Glamour. George und Lennie, denen sich der hoffnungslose alte Candy anschließen möchte, träumen ihrerseits nur von einem eigenen Stück Land, ein paar Tieren, Unabhängigkeit, Frieden. Wie man sich vorstellen kann, wird es damit nichts.
Steinbeck spielt perfekt auf der Klaviatur des Mitleids, indem er die Schmerzen der Figuren punktgenau auf den Zuschauer überträgt – ob es die Anteilnahme ist, wenn Candys alter, geliebter Hund von den rücksichtslosen Männern gewaltsam erschossen wird (mit Tieren packt man Menschen immer), ob es um das Begreifen geht, dass diese Geschichte um den herzenslieben Lenny nicht gut ausgehen kann, ob um das Mitleid mit Menschen, deren einziger kleiner Traum darin besteht, sich vor der brutalen Gesellschaft auf ein eigenes kleines Stück Land zurück zu ziehen… die bescheidenste Version des „amerikanischen Traums“ (auf der anderen Seite stehen die Millionäre/ Präsidenten wie Trump). Man fühlt alles mit, weil Steinbeck es so geschickt manipuliert, man kämpft mit den Tränen, weil der Autor die Sentimentalitäts-Geige so perfekt spielt. Man nimmt es ihm aber nicht übel, auch wenn man es erkennt.
Man kann „Von Mäusen und Menschen“ nur spielen, wenn man einen Lennie hat, alle anderen Figuren sind mit „normalem“ Personal zu besetzen. Aber Lennie muss körperlich ein Riesenkerl sein, und er muss die Ausstrahlung der absoluten Unschuld vermitteln, die sein schlichtes Gemüt auszeichnet. Robert Joseph Bartl, den man in vielen Jahren am Haus noch nie so gut gesehen hat, bringt alles mit, und versucht, nicht den Kitsch zu bedienen – wie die Aufführung von Torsten Fischer versucht, die Geschichte mit einer Art Weichzeichner darzubieten, die unglaubliche Brutalität, die in dieser Welt steckt, herunter zu spielen.
Um Lennie kreisen Claudius von Stolzmann als George, dem man den grundanständigen Kerl ebenso glaubt wie die Angst vor der Einsamkeit, Johannes Krisch als abgewrackter Greis Candy und die Männer auf der Farm – Luka Vlatković, Alexander Strömer, Paul Matić. Ljubiša Lupo Grujčić und Johannes Seilern, Variationen von eigenem Unglück und dem Versuch, ihm mit Härte zu begegnen.
Als Curleys Frau bietet Paula Nocker ohne sexy Übertreibung die beste Leistung, die man bisher von ihr gesehen hat, weibliches Unglück, Aussichtslosigkeit, Sehnsucht, der Mutwillen nicht allzu sehr forciert. Sehr überzeugend.
Der Abend findet in einem starken Einheitsbühnenbild (Herbert Schäfer / Vasilis Triantafillopoulos) statt, geht trotz dem schonungsvollen Umgang mit dem Stück stark unter die Haut, zeichnet langsam ein Bild der Traurigkeit. Ein Tränendrüsen-Schmachtfetzen. Ein Meisterwerk.
Renate Wagner