Fotos: Theater in der Josefstadt
WIEN / Kammerspiele der Josefstadt:
DIE DREIGROSCHENOPER von Bertolt Brecht / Kurt Weill
Erste Premiere im TV, ORF III, 25. April 2021
Premiere: 5. September 2021
„Die Dreigroschenoper“, Brecht / Weills immer wirkungsvoller Klassiker aus der Unterwelt, wurde in Wien immer wieder gespielt. Zuletzt 2016 mit Tobias Moretti, Angelika Kirchschlager und Anne Sophie von Otter im Theater an der Wien. Den Darstellern, die nun in den Wiener Kammerspielen zusammen kommen, ist das Werk auch schon begegnet, sie haben nur (as time goes by…) die Rollen gewechselt. Herbert Föttinger, 2004 in der Josefstadt in der Regie von Hans Gratzer noch Mackie Messer, ist nun zum Jeremiah Peachum gereift. Susa Meyer und Maria Bill, 2011 in Schottenbergs Volkstheater die Mrs. Peachum und die Jenny, haben nun, in den Josefstädter Kammerspielen, die Rollen getauscht. Am tiefsten ist der Fall von Marcello de Nardo: Vor zehn Jahren im Volkstheater noch Mackie Messer, ist er (auch noch zum Erschrecken weißhaarig geworden) zu Hochwürden Kimball abgerutscht… Was beweist: Weder Schauspieler noch Publikum entkommen auf die Dauer der „Dreigroschenoper“.
Nun muss sich jeder Regisseur wirklich etwas einfallen lassen, damit man über das alte Stück, aus dem nichts Neues mehr herauszuholen ist, wieder spricht. Für die Josefstädter Kammerspiele ging das bekannte Team Torsten Fischer und Herbert Schäfer (der mit Vasilis Triantafillopoulos für die bescheidene Ausstattung sorgt und selbst noch die Dramaturgie übernimmt) ans Werk. Es ist aus der Mode gekommen, für diese Show bunte, realistische Bettler / Nutten / Gefängnis-Kulinarik zu bieten. Hier ist von Anfang an düster-skelettierte Abstraktion auf einer Bühne der schrägen Ebenen angesagt. Kein Musical (was auch nie gemeint war), sondern eine echte Moritat. Immerhin sagt ja Bettlerkönig Peachum gleich zu Beginn, dass etwas Neues geschehen muss. Man probiert’s.
Herbert Föttinger, Maria Bill
Dass die Musik von Kurt Weill hier (Christian Frank leitet eine kleine Band) meist misstönend erklingt, ist ebenso Konzept wie ein demonstrativ-ausgestellter Spielstil, den Herbert Föttinger als zynischer Peachum (dem man zusätzliche Kilos umgeschnallt hat) und die grandiose Maria Bill als seine Gattin, die so phantastisch singt, am besten exekutieren. Im übrigen siegt die Lady nach Punkten: Wann immer sie auftritt, beherrscht sie die Szene.
Dafür ist die eigentliche Hauptfigur eine Enttäuschung, denn der Mackie Messer passt keinen Zoll zur Persönlichkeit von Claudius von Stolzmann, der sich hier clownesk gerieren muss. Dieser „Held“ der anderen Art hat nicht genügend Kontur für den coolen halbseidenen Gentleman des Brecht’schen Originals, der in der Polly von Swintha Gersthofer eine entsetzlich schrille Gattin bekommt (es ist auch bei Weill kein Fehler, wenn man singen kann…). Polizeichef Brown, von Mackie mit innigem Kuß begrüßt, ist bei Dominic Oley glatter und eleganter als üblich und seinem Freund in eindeutig schwuler Liebe verbunden. Nicht wirklich differenziert sich die Bande rund um Macheath, weil die Hochzeitsszene inszenatorisch nicht wirklich gelungen ist.
Die Hurenschar ist auf die Jenny der Susa Meyer reduziert, gegen deren machtvolle Erscheinung Mackie fast mikrig wirkt. Ihren großen Song muss sie nicht als souveräne Nutte, sondern eher wie eine leidende Heilige darbieten (die zelebrierte Tragik wirkt nicht nur retardierend, sondern auch larmoyant, was nicht hierher passt). Die schulmädchenartige, hysterisch-kämpferische Lucy heißt im wirklichen Leben Paula Nocker und ist folglich die Tochter von Maria Happel, wenn man nicht irrt (und hat wohl von der Mama Gesangsunterricht bekommen): ein überzeugendes Debut.
Am Ende, das dann doch zu ausgewalzt wirkt, erscheint eine Dame in Rosa, die wohl an die Queen erinnern soll, und vielleicht hat sie den reitenden Boten ausgeschickt, der für ein Happyend sorgt, das diese schräge Geschichte auch nicht unbedingt unterhaltender macht.
Die „Dreigroschenoper“ hat ihre – wenn auch vor allem historischen – Meriten, am überzeugendsten in dem Brecht / Weill’schen Zynismus, der vielfach heute noch ins Schwarze trifft. Die Kapitalismus-Satire allerdings greift seit den hundert Jahren, die das Stück bald auf dem Buckel hat, nicht mehr wirklich. Und ehrlich – eine Geschichte, die bereits so abgegriffen ist, interessiert letztendlich nur noch geringfügig und offenbart immer wieder ihre Längen, auch wenn sie in sich gut gemacht ist.
Renate Wagner
Kammerspiele der Josefstadt
Premiere: 05.09.2021
Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik)
Die Dreigroschenoper
Ein Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern nach John Gays „The Beggar’s Opera“ von Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik) unter Mitarbeit von Elisabeth Hauptmann
ca. 2 Stunden, 50 Minuten (Pause nach ca. 105 Minuten)
Regie Torsten Fischer
Bühnenbild und Kostüme Herbert SchäferVasilis Triantafillopoulos
Musikalische Leitung Christian Frank
Musiker Andy Mayerl Herbert Berger Klaus Pérez-Salado Rens Newland Christian Frank
Alois Eberl, Florian Fuss, Martin Fuss, Simon Plötzeneder, Florian Reithner, Clemens Rofner, Georg Schrattenholzer, Gerald Selig
JONATHAN JEREMIAH PEACHUM, Chef einer Bettlerplatte Herbert Föttinger
FRAU PEACHUM Maria Bill
POLLY PEACHUM, ihre Tochter Swintha Gersthofer
MACHEATH, Chef einer Platte von Straßenbanditen Claudius von Stolzmann
BROWN, Polizeichef von London Dominic Oley
LUCY, seine Tochter Paula Nocker
TRAUERWEIDENWALTER Alexander Strömer
HAKENFINGERJAKOB Ljubiša Lupo Grujčić
MÜNZMATTHIAS Paul Matić
SÄGEROBERT Markus Kofler
JIMMY Tamim Fattal
FILCH, einer von Peachums Bettlern Anton Widauer
SPELUNKENJENNY, Hure Susa Meyer
SMITH, erster Konstabler Oliver Huether
HOCHWÜRDEN KIMBALL Marcello De Nardo
Moritatensänger Ensemble