Foto: Josefstadt
WIEN / Kammerspiele der Josefstadt:
NACHTLAND von Marius von Mayenburg
Premiere: 24. Oktober 2024.
besucht wurde die Generalprobe
Hitler zieht immer
In einem sind sich Autor Marius von Mayenburg und Direktor Herbert Föttinger zweifellos absolut einig, nämlich dass man jegliche billige Münze daraus schlagen kann, indem man „uns“ (also die Nicht-Guten der Bevölkerung) als ohnedies ewige Antisemiten entlarvt, in deren Köpfen unverändert die braune Suppe kocht… Und außerdem, die Erfahrung der Branche beweist es: Hitler zieht immer. Wenn Zeitschriften über Lesermangel zu klagen hatten, setzten sie Hitler aufs Titelbild… und egal, was sie schrieben, die Auflage stieg sprunghaft.
Der Beweis für die grenzenlose Verwertbarkeit des Themas ist auch anderswo wohlfeil anzutreten: Da mochte der letzte Murot-Tatort mit Ulrich Tukur noch so sinnlos sein, solange man den politisch korrekten Schluß ziehen kann, dass man Naziverbrechen keine Ruhe lassen darf – so wird jeder Mist als gut und richtig argumentiert.. „Nachtland“ in den Josefstädter Kammerspielen beweist das in einem zwar nur eineinhalb stündigen, aber schier endlosen Hin- und Hergehacke von ein paar gleicherweise unsympathischen Figuren.
Marius von Mayenburg, Jahrgang 1972, bekannt geworden durch sein Stück „Feuergesicht“ von 1998, das gleich im Jahr darauf in Wien im Schauspielhaus gespielt wurde, hat seither auf Wiener Bühnen keine Rolle gespielt, nur ein paar vergessenswerte Aufführungen, und seit fast zwanzig Jahren nichts mehr. Und nun sein jüngstes Stück „Nachtland“, 2022 an der Berliner Schaubühne uraufgeführt, in Österreich im Vorjahr in Salzburg nachgespielt. Und jetzt passt es punktgenau in die Föttinger-Josefstadt. Zusammen gepanschte Ideologie.
Dabei wäre die Ausgangssituation gar nicht so uneben. Sohn und Tochter räumen gemeinsam mit ihren Ehepartnern das Haus des verstorbenen Vaters. Am Dachboden findet sich ein hübsches Aquarell. Lautet die Signatur „A. Hiller“? Oder gar Hitler? Daraus könnte man etwas machen. Spannungen zwischen Gier und Gewissen, zwischen Opportunismus und Verantwortung zum Beispiel.
Ein Aquarell von Hitler (die Ruprechtskirche, vor dem Ersten Weltkrieg nach einer Postkarte abgemalt) bringt bei „Sammlern“ des Dritten Reichs hohe Summen (von bis zu 200.000 Euro ist die Rede). Wer widersteht da schon – auch wenn es anständigen Menschen unmöglich sein sollte, aus der Arbeit eines Massenmörders ein Vermögen herauszuholen?
Nachdem die Geschwister sich angegiftet und angefeindet haben, nachdem beide Ehen sich als keinesfalls harmonisch erwiesen haben, begnügt sich Marius von Mayenburg nun nicht damit, das Problem an sich zu entwickeln, wobei der Exkurs, ob Werk und Schöpfer zu trennen sind, natürlich legitim ist (an Richard Wagner wird es ewig auf und ab diskutiert). Die Frage, ob Hitler als Maler vielleicht gar nicht so unbegabt war, wie immer wieder behauptet wird, ist dabei nicht so interessant, weil irrelevant – und von diesem Thema verabschiedet sich der Autor auch schnell. Da geht es kurzfristig zwar noch darum, eine „Provenienz“ zu dem Bild zu erfinden (da dichtet man der Oma schnell ein Verhältnis mit Martin Bormann an), aber das ist alles nicht wichtig.
So richtig geht es erst los, als sich herausstellt, dass die Gattin des Bruders Jüdin ist, die entsprechend aggressiv auf das Thema reagiert, was wieder die Ressentiments der Schwägerin und die Unsicherheit des Ehemanns (Wie entsetzt die Familie doch war, als er eine Jüdin geheiratet hat…) hervorbrechen lässt. Und schon ist da der unverhohlene Antisemitismus, und schon werfen sie sich gegenseitig alles an den Kopf, was beide Seiten an Klischees bereit haben, schon ist Judith, die Jüdin, wütend, wehrt sich und erwidert jede Aggressivität (dabei sind sie doch die Opfer, oder?). Und schon sind wir bei der Palästina-Frage, die angesichts der gegenwärtigen Weltsituation hier wirklich nicht billig verbraten werden sollte.
Schlimmer (und in der Handlungsführung entschieden dümmer) wird die Sache mit dem Auftritt der perfekten Klischeefiguren. Die Kunsthistorikerin und Hitler-Expertin ist eine unverhohlene Bewunderin seiner Bilder (und möglicherweise auch seiner Person), und der geheimnisvolle Käufer – nun, der zählt alle Antisemiten der deutschen Geschichte auf (von Luther bis zu Karl Marx, selbst Jude), will beweisen, dass er kein Rassist ist, indem er der Jüdin das aus dem Kino bekannte „unmoralische Angebot“ macht, Geld für einen Beischlaft zu zahlen, und der das Bild am Ende neben seine ausgestopften Artefakte aus der deutschen Kolonialzeit platzieren will: Der Autor scheut vor keinem primitiven Effekt zurück.
Mayenburg hätte eine Boulevardkomödie mit Zeigefinger schreiben können, aber dann hätte man ihm vielleicht vorgeworfen, er werde dem Ernst des Themas nicht gerecht. Also belädt er es mit allen argumentativen Billig-Weisheiten, was kein Stück, sondern eine äußerst schlichte Diskussion ergibt. Zudem will er zeigen, dass er natürlich ein moderner Autor ist, also treten Figuren immer wieder aus ihren Rollen und sprechen erklärend ins Publikum. Und am Ende lässt er Judith einfach unerklärbar verschwinden, als wollte er plötzlich eine absurde Ebene einziehen, und – noch schlimmer – Bruder und Schwester finden sich beinahe in einer Wälsungenblut-Umarmung, wenn sie nicht durch die Nachricht verschreckt würden, dass das Bild verschwunden ist… Dazu gibt es noch eine „Schlußpointe“, die niemanden interessiert und niemandem auch nur ein Lächeln abzwingt.
Im Vergleich zu anderen Aufführungen, von denen man sich mit YouTube-Trailern einen Eindruck verschaffen kann, wollte der britische Regisseur Ramin Gray die Geschichte nicht verfremdet, sondern scheinbar realistisch präsentieren. Das gibt den Figuren noch übleren Umriß – der immer gehässigen Nicola der Martina Ebm, der wütend, aber letztlich hilflos um sich schlagenden Judith der Silvia Meisterle, der eher farblosen Hitler-Expertin der Susa Meyer. Die beiden Männer, Oliver Rosskopf und Roman Schmelzer, sind eher knieweich gezeichnet, wobei Schmelzer, wenn er als Nicolas Gatte verschwindet, noch als der gelackte Käufer des Bildes auftritt – welchen Sinn die Doppelbesetzung macht, erschließt sich nicht. Wie vieles andere auch nicht.
Am Ende ist man langsam sicher: Die Kammerspiele sind derzeit der Ort für die peinlichsten und konstruiertesten Stücke, die man sich nur ausdenken kann.
Renate Wagner