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WIEN / Kammerspiele: LULU

28.10.2023 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Theater in der Josefstadt

WIEN / Kammerspiele der Josefstadt
LULU
Vage nach Frank Wedekind
In einer Bearbeitung von Elmar Goerden
Premiere: 28. Oktober 2023

Über den Spielplan der Josefstädter Kammerspiele der Ära Föttinger braucht man längst nicht mehr zu diskutieren,  denn was im Kopf des Direktors vorgeht, ist nicht erkennbar.  Nun ist also Wedekinds „Lulu“ an der Reihe. Man kann diesen Alptraum einer Frau für ein irres, wirres Stück halten. Man kann der Meinung sein, dass das Wedekind’sche Frauenbild von anno dazumal vorn und hinten nicht mehr stimmt: Heute dämonisiert man die Frau nicht mehr wie im Fin de Siècle um 1900, heute gibt es nur #metoo- und Opfer-Anklagen gegen die Männer. So wird manches unzeitgemäß – vor allem, wenn man nur in den sturen, engen, beschränkten Gegenwartsschablonen denken kann. Kindfrau, Femme fatale, holdes Tier ist nicht mehr. Was soll man also mit „Lulu“ anfangen?

Dass Elmar Goerden an der Josefstadt schon Grillparzers „Medea“ sinnlos zerlegt hat, hindert offenbar nicht daran, dass er dasselbe mit „Lulu“ machen darf – und wie! Seine „Fassung“ des Stücks will dem Publikum eigentlich nur zeigen, wie unmöglich das Werk ist und dass man den Text so, wie er geschrieben ist, wirklich nicht mehr spielen kann. Hat er eigentlich die Möglichkeit erwogen, einfach die Finger davon zu lassen, statt seine persönliche „Diskussion über Lulu“ unbedingt in einem Theaterabend zu zwingen?

Da ruft gleich zu Beginn ein Schauspieler (es ist Joseph Lorenz) in den Zuschauerraum hinein, als wäre man bei einer Probe und als säße dort der Regisseur, dass man das Stück doch eigentlich so spielen müsse, wie es geschrieben ist. Welch altmodische, geradezu lächerliche Forderung, zumal heutzutage. Man muss natürlich nicht, und es geschieht auch nicht. Statt dessen bekommt man den ganzen Abend immer wieder dazu erfundene Texte, die einem stellenweise die Haare zu Berg stehen lassen. Für diese simplen Überlegungen (Dramaturgie für Anfänger) lädt man tatsächlich ein zahlendes Theaterpublikum ein?

Auf Erkennbarkeit des Originals ist diese Diskutierrunde, warum Theater von damals „so“ heute wirklich nicht mehr geht, kaum ausgerichtet. Wer das Wedekind-Stück nicht kennt, wird mit leeren Händen heimgehen. Die anderen erleben eine „eingedampfte“ Fassung für fünf Schauspieler, wobei die Frauen Lulu und Geschwitz sind, die Männer jeweils mehrere Rollen übernehmen, andeutungsweise, parodistisch, in der Luft hängend (Schigolch als Hausmeister – wer soll da noch ahnen, was diese Figur bedeutet?)

In einem abstrakten Einheitsbühnenbild (Silvia Merlo), das von schlangenhaften Elementen dominiert wird (Kostüme irgendwie, irgendwas: Lydia Kirchleitner), erweisen sich die Schauspieler als willige Vollzugsgehilfen einer irren, wirren Regie-Konzeption (was sollen sie schließlich tun, wenn sie ihren Job behalten wollen).

Johanna Mahaffy mag jung sein, ist aber als selbstbewusste Frau von Mitte / Ende Zwanzig (so wirkt sie) alles andere als eine Lulu, die bekanntlich naiv ist (einen Lolly zu schlecken, reicht da nicht), die nicht reflektiert, was die Mahaffy.Lulu  hier ununterbrochen tut.  Immerhin – die Darstellerin tobt, sie tanzt, sie nervt mit fragloser Intensität, sie kann, was man von ihr verlangt.

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Dass man das Stück jetzt, weil es modern ist, als „queer“ verkaufen will, ist eine Lächerlichkeit – von Beginn an vor über hundert Jahren gilt die Gräfin Geschwitz als Ikone tragischen Lesbentums, da ist nichts neu zu erfinden. Susa Meyer versucht empfindsam, aber nicht weinerlich zu sein, die starre Mannfrau spielt sie nicht (muss auch nicht sein).

Von den drei Herren des Abends steht nur Joseph Lorenz vor einigen Herausforderungen – er wirkt entschlossen, das zu spielen, was man von ihm verlangt, wenn schon, denn schon, dann mache ich es gut, vom Dr. Schön bis zu dem mephistophelisch veralberten Chevalier Casti-Piani (eine Figur, die meist gestrichen wird – dafür ist der Rest des Wedekind-Personals in dieser Fassung ohnedies weitgehend weg rasiert).

Die Anforderungen an Michael König  sind geringer, die an Martin Niedermair so gut wie nicht vorhanden (dafür bekommt er kurz vor dem Finale eine kabarettartige Szene als Schweizer Freier der Lulu).

Wenn man sich am Ende fragt, was man in knapp zwei pausenlosen Stunden  eigentlich gesehen hat, kann die ehrliche Antwort nur lauten: Nichts, was den Preis einer Theaterkarte wert wäre.

Renate Wagner

 

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