Fotos: Theater in der Josefstadt
WIEN / Kammerspiele der Josefstadt;
GOTT von Ferdinand von Schirach
Premiere: 23. März 2023
Besucht wurde eine Voraufführung
Man kennt die Stücke von Ferdinand von Schirach, die sich kontrovers diskutierte, moralische Probleme unserer Zeit her nehmen und sie in fiktiven Verhandlungen vor dem Theaterpublikum ausbreitet – und die Zuschauer dürfen dann mit einfachen „ja“ oder „nein“-Antworten entscheiden. Ein bisschen angewandte Demokratie, ein bisschen Anbiederung an das „Volk“ im Zuschauerraum, als interessierte man sich wirklich für seine Meinung…
In „Gott“ (der hier, wie meistens heutzutage, nur eine periphere Rolle spielt) geht es um das Recht des Menschen, den Zeitpunkt seines Todes zu wählen – kurz, Suizid zu begehen. Dabei soll er nicht gezwungen sein, etwa aus dem Fenster zu springen und am Ende gelähmt liegen zu bleiben – nein, der Staat möge ein Mittel bereit stellen, damit dies schmerzlos und sicher geschehen könnte, und auch noch einen Arzt dazu, damit nichts schief gehen kann…
So tritt ein „Ethikrat“ vor das Publikum der Josefstädter Kammerspiele, um ein Problem zu diskutieren, das es zweifellos gibt. Hier verlangt ein alter Mann das Recht auf staatlich assistierte Selbsttötung, der nach langen gemeinsamen Jahren ohne seiner nun verstorbenen Frau nicht mehr leben will, zudem auch nicht darauf warten möchte, einmal unter Schmerzen, an Schläuchen hängend in einem Spital zugrunde zu gehen (Sterbende schiebt man ja angeblich auf einen Gang?). Man kann ihn so gut verstehen, dass man es gar nicht diskutieren müsste.
Es geschieht aber doch, und so wichtig diese Frage, die auf das Recht des Menschen auf sich selbst, auf die Souveränität jedes Einzelnen hinaus läuft, auch ist – so richtig spannend wird das Ganze auf der Bühne nicht. Weil nämlich alles Gesagte dermaßen auf der Hand liegt. Was sagt die Kirche? Natürlich dass das Leben ein Geschenk Gottes sei und der Mensch kein Recht habe, es zu beenden, Was sagt die Ärzteschaft? Dass sie geschworen haben, Leben zu erhalten. Was sagt die Justiz? Die ist allerdings ein Wackelkandidat, einerseits ist dies zu bedenken, andererseits das, was Genaues weiß man nicht. Was auch nicht überrascht (das Image der Justiz ist ja zumal heutzutage nicht das beste).
Etwas Leben kommt in die Statements, wenn der Anwalt des Antragstellers sich als Advocatus Diaboli betätigen und die Herren mit seinen Fragen in die Zwickzange nehmen darf. Das sind dann aber eher Spitzfindigkeiten, wie man sie auch von schlechten Politikern kennt, die Gegner ohne echte Argumente, aber mit Provokationen aushebeln wollen.
Kurz, die Herrenschar der Josefstadt hat in der gewissermaßen unauffälligen Regie von Julian Pölsler, in der gewissermaßen unauffälligen Ausstattung (Walter Vogelweider/ Birgit Hutter) zu tun, der ganzen doch recht schwerfälligen Diskussion, die von Michael König nobel, aber einigermaßen unbeteiligt geleitet wird, so etwas wie Leben einzuhauchen.
Johannes Seilern vertritt kurz seine Forderung, die in diesem Fall gewiß Berechtigung hätte. Martin Niedermair plagt sich als sein Augenarzt (man fragt sich, was er hier tut) mit der unergiebigsten Rolle des Abends. Da haben André Pohl, der sachliche Fragen stellt, und vor allem Raphael von Bargen als Herausforderer der Obrigkeiten schon dankbarere Aufgaben.
Paul Matić windet sich rollengemäß als Rechtssachverständiger, denn offenbar weiß man mit moralischen Fragen bei den Gerichten weniger anzufangen als mit sinnlos scheinenden juristischen Plänkeleien. Alexander Strömer als Vertreter der Ärzteschaft muss sich gegen Anschuldigungen ganz schön wehren und versuchen, nicht die Nerven zu verlieren und Würde zu wahren..
Die interessanteste Rolle des Abends aber hat Robert Meyer als (irgendein) Bischof. Er sorgt dafür, dass dessen Überzeugungen nicht hohl, leer und pathetisch klingen, er weiß um die Unsicherheit vieler Argumente, wahrt immer Haltung, keine Spur salbungsvoller Heuchler, sondern ein Mann, der den titelgebenden „Gott“ bei aller Problematik hoch hält. Es war offenbar eine gute Idee, Robert Meyer von den vielen flachen Musical-Rollen zu erlösen – das ist ein Schauspieler, der noch viel zu bieten hat.
Die Schwäche der ganzen Problematik besteht im Stück darin, dass jedermann dem alten Mann sein Begehren erfüllen würde, wenn er ohne seine Gattin und mit schrecklichen Zukunftsperspektiven nicht mehr leben möchte. Aber Gesetze kann man ja nicht nur für Einzelne machen, sie müssen für alle gelten. Das staatlich verbriefte „Recht auf Selbstbestimmung“ auch des eigenen Todes würde bedeuten, dass im vollen Wortsinn jeder kommen könnte – ja sogar Kinder, Teenager, Mütter mit Kindern, Männer, die Verantwortung tragen… Sie müssten nur den eigenen Tod begehren und der Staat würde dafür sorgen?
Nun wird die finale „Abstimmung“ in jeder Aufführung ein wenig anders ausfallen, aber es ist anzunehmen, dass meist eine Majorität „ja“ sagt. Ja, machen wir das. Vielleicht besteht darin das wahre Problem.
Renate Wagner