Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Kammerspiele: DER ZERBROCHNE KRUG

10.09.2023 | KRITIKEN, Theater

csm 01 der zerbrochne krug 8adam und licht~1
Fotos: Theater in der Josefstadt

WIEN / Kammerspiele der Josefstadt:
DER ZERBROCHNE KRUG nach Heinrich von Kleist
Premiere: 9. September 2023 

Keine Frage, dass der „Zerbrochne Krug“ des Heinrich von Kleist seinen Ruhm als eines der besten deutschen Lustspiele hoch verdient. Obwohl die Nebenfiguren sorglich ausgeführt sind, geht es allerdings nur um den Dorfrichter Adam – der Mann, der Jäger und Gejagter in einer Person ist. Er ist nächtlich bei einem hübschen Mädchen eingedrungen (und hat den Krug zerbrochen, um den die Mutter klagt) – und er muss den Fall vor seinem Gericht verhandeln. Die geniale Tragikomik der Geschichte besteht darin, wie er versucht, sich aus dem Netz zu winden, das sich immer enger um ihn zusammen zieht.

Allerdings ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, wenn man sich heutzutage das bei Kleist ja doch am Rande gebliebene Schicksal des attackierten Mädchens ansieht. Denn diese Eve erleidet schwere Belästigung (wenn auch das Auftauchen des Bräutigams die vermutlich bevorstehende Vergewaltigung verhindert), und sie wird ein Opfer übelsten Machtmissbrauchs. Wenn sie vielleicht wirklich „alles“ tun würde, um ihren Bräutigam vom Wehrdienst frei zu kaufen, hat sie wohl sein Todesurteil vor Augen (wer kommt schon aus den holländischen Kolonien zurück?). Dagegen wirkt es fast harmlos, wenn eine Schauspielerin den Anmaßungen eines Direktors oder Produzenten, Regisseurs oder Schauspielers nachgibt – für eine Rolle nur? Und doch, wie schäbig. Kurz, das ist ein Gesichtspunkt den Regisseurin Amélie Niermeyer durchaus zu Recht einnehmen kann. Leider ist ihr für die  Aufführung in den Josefstädter Kammerspielen noch eine Menge sonst eingefallen…

Zuvörderst zieht sie dem Geschehen den Boden unter den Füßen weg. Das Bühnenbild (Stefanie Seitz) besteht aus verschiebbaren Versatzstücken, die kein echtes Ambiente beschwören, die Kostüme vom Schottenrock bis zur Lederjacke (Christian Schmid) bleiben genau so vage. Kurz, wann und wo das Geschehen anzusiedeln ist, wird nicht klar. Zudem scheint Adam an Bewusstseinsstörungen zu leiden – immer wieder verwandeln sich die Personen seiner Umwelt in Popanze mit riesigen Stoffpuppen-Köpfen (wo haben wir denn die gerade gesehen?), der Ton wird irreal, das Geschehen surreal. Dass Adam gelegentlich selbst mit Stoffpuppen-Kopf erscheint, passt allerdings irgendwie nicht ins Konzept – es ist doch sein Alptraum?

Wenn das Stück mehr andeutungsweise als wirklich gespielt wird, dann errscheint die an sich so präzise Handlung vage, nur ein Teil der von Kleist köstlich gesetzten Pointen erfüllt sich, viele Slapstick-Elemente, deren Sinnhaftigkeit schwer einzusehen ist, lenken davon ab, worum es eigentlich geht. Bis zur Pause nach 70 Minuten ist das Ganze eine vage Angelegenheit.

Nach der Pause spitzt die Regisseurin die Geschichte zu. Nun geht es um den #metoo-Fall von Eve, den Adam so heftig leugnen will, der aber nach und nach hervorbricht  und dann in aller Ausführlichkeit geschildert wird. Wenn Gerichtsrat Walter, der in dieser Aufführung eine Gerichtsrätin ist (anders geht es heute nicht mehr), Eve zwar versichert, ihr jedes Wort zu glauben, muss sie doch darauf hinweisen, dass die Beweislage vermutlich schwierig sein wird (wieso? Die Kopfwunden und der Klumpfuß genügen nicht?) und Adam – wie auch in Kleists Original, wo sich der Dichter damit begnügt, den alten tumben Geilspecht lächerlich zu machen – vermutlich nichts passieren wird. Dafür darf die Darstellerin der Frau Brigitte einen finalen Song ins Publikum schmettern, dass man sich die Zumutungen der Männerwelt nicht mehr gefallen lässt. Wie auch anders, Theater besteht ja heutzutage nur noch aus Belehrung des Publikums in Korrektheit…

Robert Joseph Bartl ist ein so fülliger Adam wie üblich, dass er die Rolle wirklich differenziert ausspielen könnte, dafür bietet die sinnlos überladene Aufführung keine Möglichkeit. Warum Gerichtsrat Walter mit Sandra Cervik besetzt ist, offenbart sich nicht, ein dezidiert weiblicher Aspekt kommt so nicht in die Geschichte. Alexander Absenger muss als Schreiber Licht ein bisschen viel  blödeln, aber manchmal hat man doch das Gefühl, dass die Gefährlichkeit der Subalternen hier durchschimmert.

csm 05 der zerbrochne krug 8eve und rupprecht v~1

Ulli Maier fehlt leider die große Suada, mit welcher „gestandene“ Darstellerinnen die Marthe Rull ausgestattet  und zu einer Glanzrolle gemacht haben, Ljubiša Lupo Grujči als Veit Tümpel und auch Katharina Klar als Frau Brigitte fallen nicht weiter auf. Dafür überzeugt das junge Paar durch Intensität – Nils Arztmann als wilder, von seinen Zweifeln geplagter Rupprecht und vor allem  Juliette Larat als Eve, die klar macht, wie schwer es den Opfern fällt, sich zu artikulieren.

Vom „echten“ Krug hat verdammt viel gefehlt. Dafür bekam man den zeitgemäßen Überbau. Man muss sich damit abfinden, dass Stücke keine „Werke“ mehr sind, sondern nur Material, mit dem nach Beliebten herumgespielt wird. Immerhin – in diesem Fall ging die Verbiegung in die richtige Richtung.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken