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WIEN / Kammerspiele: DER HIMBEERPFLÜCKER

30.11.2023 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Theater in der Josefstadt 

WIEN / Kammerspiele der Josefstadt
DER HIMBEERPFLÜCKER von Fritz Hochwälder
Premiere: 30. November 2023 

Er hat die Sträflinge aus seinem Konzentrationslager zum Himbeerpflücken in den Wald geschickt und dann seiner Lust als Scharfschütze gefrönt – 8000 waren es, die er so abgeknallt hat. Nach Kriegsende ist der  „Himbeerpflücker“ verschwunden wie so viele seinesgleichen. Unter den „Ehemaligen“ freilich ist er eine Legende…

Das ist  die Vorgabe von Fritz Hochwälders Stück aus dem Jahre 1965. Zwanzig Jahre nach Kriegsende geschrieben als österreichische Kleinstadt-Komödie bzw. Satire über die latente braune Gesinnung in Orten wie „Bad Brauning“ (ein wahrlich Nestroy’scher Name).

Hochwälder, der bis zur Jahrtausendwende viel gespielt wurde und dann auch mit seinen einstigen Erfolgsstücken gänzlich aus den Repertoires verschwand, war ein Meister des „Well made plays“, und auch hier mischt er historische Elemente (der Goldschatz der im See versenkt wurde) ebenso wie literarische in sein Stück – denn eigentlich ist es eine Paraphrase des „Revisors“: Ein Unbekannter kommt ins Dorf, den keiner kennt, die Brauninger halten ihn für den Massenmörder und gehen vor erschütterter Begeisterung in die Knie… Bis ihnen einfällt, dass damit die Vergangenheit, die sie so erfolgreich begraben haben, wieder zum Vorschein kommen könnte.

Wahrscheinlich hat Fritz Hochwälder sein Stück nicht so scharf und böse gemeint, wie es nun in der bemerkenswerten Inszenierung von Stephanie Mohr in den Josefstädter Kammerspielen erscheint. Zu Beginn meint man, dass sie auch dem „gemütlichen“ Klischee folgt – was sich da im Wirtshaus des Bürgermeisters, Ortsgruppenleiters und Kinobesitzers Steisshäuptl (die typisch österreichisch-ländliche Posten-Akkumulation) trifft, sind die richtigen Dorfdodeln, unter denen der Hausdiener Zagl der dümmste zu sein scheint. Aber auch an den Honoratioren, dem Arzt, dem Schuldirektor, dem Baumeister, dem Fabriksdirektor ist geistig nicht viel dran.

Wenn nun der Fremde kommt, den sie für den Himbeerpflücker halten und der eigentlich „nur“ ein Juwelendieb auf der Flucht ist, begibt sich bei Hochwälder nicht viel mehr als die Verwechslungskomödie. Stephanie Mohr aber schärft die Geschichte und die Charaktere, und wenn dann der Konrad Steisshäuptl (einst eine berühmte Rolle von Helmut Qualtinger) zu einer Art Wahlrede ansetzt, die er bei erhelltem Zuschauerraum ins Publikum schmettert, ist das ganze Gedankengut von einst wieder da, dass einem das Lachen vergeht.

Das Wirtshaus-Bühnenbild von Miriam Busch erweist sich als Geniestreich, es kann auch, wenn nötig, kurz ein Gästezimmer einlegen, lässt manche Figur aus dem Keller kommen und andere immer wieder von einer Art Balkon herabblicken – gar nicht eindimensional. Die Kostüme von Nini von Selzam sind ländlich geprägt, kleiden nur den fremden Gast in dämonisches Schwarz…

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Günter Franzmeier als Steisshäuptl darf zwar das  Ruder des Abends nicht von Anfang an übernehmen, weil er erst später auftritt, tut es aber dann stark und so vordergründig differenziert, wie Hochwälder die Figur gemeint hat – die ultimative österreichische Anpassungsfähigkeit an jede Situation, was leicht ist, wenn man keine Überzeugungen hat.

Neben ihm ist der schwankende Prolo-Intrigant Zagl eine Hauptfigur (einst Kurt Sowinez für jene, die sich noch an ihn erinnern) – interessanterweise versucht Claudius von Stolzmann, der sonst immer attraktiv auf der Josefstädter Bühne steht, dieses schäbige, duckende Gewürm.

Und da ist ja auch noch der fremde Besucher, der durch Ulrich Reinthaller nicht sehr eindrucksvoll wird – aber er ist schließlich, wie seine Gangsterbraut (Martina Stilp, mal blond, mal braun) verkündet, ein Schwächling. Tatsächlich möchte der seltsame Mann lieber ein schlichter Dieb als ein Massenmörder sein…

Bei den Damen gibt Paula Nocker ein rothaariges, raffiniertes Töchterl und Susanna Wiegand die gute Haut einer loyalen Angestellten.

Der Rest der Herren ist nicht weiter ausdifferenziertes Personal, aber André Pohl, Markus Kofler, Alexander Strömer, Johannes Seilern, Dominic Oley und Paul Matić  geben die gleichzeitig ängstlichen und dabei opportunistischen Kleinbürger höchst überzeugend. Und wenn da einer aufmucken wollte, da fährt Steisshäuptl schon darüber. Bis am Ende die alte Ordnung hergestellt ist…

Wenn die Josefstadt-Direktion das Stück zweifellos aktuell nur in Richtung „Rechts“ zielen will, kann man sie auch darauf aufmerksam machen, dass heute in der Sozialistischen Partei Männer Spitzenpositionen erlangen, die sich als unverbesserliche Kommunisten heraus stellen und damit natürlich ebenfalls zu sagenhaften historischen Verbrechen bekennen. Die Vergangenheit ist überall – ein Hund…

Renate Wagner

 

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