Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Kammerspiele: DAS PERFEKTE GEHEIMNIS

23.10.2021 | KRITIKEN, Theater

dasperfektegeheimnis plakat
Fotos: Theater in der Josefstadt

WIEN / Kammerspiele der Josefstadt: 
DAS PERFEKTE GEHEIMNIS von Paolo Genovese
Deutschsprachige Erstaufführung
Premiere: 23. Oktober 2021,
besucht wurde die Generalprobe am  22. Oktober 2021

Kinobesucher kennen das Ganze vermutlich, vielleicht nicht aus dem italienischen Originalfilm, sicher aber aus dem deutschen Remake gleichen Namens aus dem Jahr 2019. „Das perfekte Geheimnis“ war hoch besetzter Kino-Boulevard mit Jessica Schwarz, Wotan Wilke Möhring, Florian David Fitz, Elyas M’Barek und anderen erstrangigen Schauspielern. Und sagen wir es gleich – im Kino war die Geschichte weit präziser, als sie nun auf der Bühne der Kammerspiele erscheint, aus dem einfachen Grund, weil die meiste Zeit immer sieben Personen gleichzeitig da sind und man nicht, wie im Film, die Möglichkeit hat, sich auf die jeweils zentrale Figur zu fokusieren.

Dennoch hat das Stück nach dem Film (oder das Stück, das Paolo Genovese für den Film schrieb, so genau weiß man das nicht – und wichtig ist es auch nicht) heute eine Brisanz gewonnen, die es vor zwei Jahren nur höchstens allgemein hatte. Mittlerweile ist es konkret geworden (und man kann der Josefstädter Dramaturgie nur eine „Nase“ für Aktualität bescheinigen). Denn es geht um eine Welt von heute, wo Menschen von heute faktisch ihr ganzes Leben in ihren Smartphones parken. Was da heraus kommt, wenn man sich das Innenleben ansieht, kann das Regierungen stürzen (wie natürlich auch in den Text in den Kammerspielen hinein gefügt worden ist). Jedenfalls unterstellt der Autor, dass jeder Mensch „da drinnen“ seine Geheimnisse hat, von denen besser niemand etwas erfährt, und in dem Stück sind sie keinesfalls harmlos.

das perfekte geheimnis szene~1

Acht Personen – zwei Ehepaare, ein frisch verliebtes Paar, und jenes Paar, bei dem man sich trifft (sie Psychiaterin, er Schönheitschirurg, man sieht schon – Bobo-Welten), hat auch noch eine halbwüchsige Tochter, die sich bald verzieht, weil sie auf eine Party geht.

Das zweite Paar, er in einer Anwaltskanzlei, sie überströmende Mutti zweier kleiner Kinder, und das dritte,  die Turteltauben, er Taxiunternehmens-Besitzer, sie Tierärztin, ist auch bald da. Sie warten auf ihren Freund, einen derzeit stellungslosen Lehrer, der ihnen endlich seine „Neue“, die offenbar Lucia heißt, vorstellen soll… Aber nein, er kommt allein, sie ist verkühlt, sorry.

Das Gesellschaftsspiel des Abends ist tödlich, denn es heißt „Vertrauen“: Alle Handys auf den Tisch, alle Anrufe auf Lautsprecher stellen, es  hat ja niemand etwas zu verbergen? Nun, für den, der den Film nicht kennt, birgt es vielleicht ein wenig Spannung, was da alles zum Vorschein kommt. Eines ist sicher: Der Autor übertreibt. Jeder hat irgendwie Dreck am Stecken, teils ziemlich schlimmer Art. Und er überdreht – kann niemand mehr existieren, ohne mit Unbekannten über Sex zu chatten oder sich schmutzige Fotos zu schicken? Und wenn schon – wie ernst ist es zu nehmen?

Das zentrale Thema muss man anschneiden, es war schon 2016, als der italienische Film ursprünglich entstand, kein besonderes gesellschaftliches Problem mehr, aber heute in der allgemeinen Beschuldigungs-Hysterie, wo es weniger um die „Opfer“ geht, als darum, die „Täter“ der Homophobie anzuklagen, hat es doch seine Problematik. Wobei man einen gewundenen Satz einfügen muss: „Natürlich ist es heute gesellschaftlich allgemein akzeptiert und kein Problem mehr, aber….“

Aber –  als sich herausstellt, dass die Freundin Lucia eigentlich ein Freund namens Luca ist, sind die liberalen Großstädter zumindest ein wenig perplex. (Der Film hat die Probleme des entlassenen Lehrers, der von seinen Schülern gemobbt und falsch beschuldigt wurde, viel klarer gemacht, als es im Stück heraus kommt.) Ja, das war das letzte Geheimnis, nachdem die anderen auch schon zur Hochdramatik aufgestiegen sind, von tödlichem Unfall bis Brustvergößerung und unerwünschter Schwangerschaft, und eine Pointe, die auch nicht wirklich gefällt, gibt es ganz am Ende auch. Kurz, hätten sie nur das Handy-Spiel nicht gespielt (was das Stück auch andeutet)! Oder, anders gesagt: Leute, löscht Eure Schmutzereien. Man weiß angesichts der täglichen Schlagzeilen, wovon man redet.

In den Kammerspielen fläzen sich sieben Darsteller (die Tochter ist kaum dabei) auf einer modernen Couch-Landschaft (Ausstattung von Stephan Dietrich, die Damenkostüme sind unterschiedlich gelungen) – und reden. Eigentlich in der Regie von Folke Braband über weite Strecken ziemlich unnatürlich. Ist ja doch eher Kino. Hat mit eineinhalb Stunden ohne Pause auch Kinolänge. Und ist, wie erwähnt, nicht ganz leicht zu gliedern.

das perfekte geheimnis strasser

Die Figuren kamen einem im Film intensiver vor. Die Damen gewinnen jedenfalls mehr Profil als die Männer. Katharina Straßer ist vor mehr als einem Jahrzehnt gewissermaßen als junges Mädchen von den Wiener Bühnen weg gegangen und hat sich den Fleischtöpfen des Fernsehens in die Arme geworfen. Nun ist sie in ihren mittleren Jahren wieder da, mit einer ziemlich dankbaren, weil vom Autor etwas dick aufgetragenen Rolle. Sie ist aus der Bahn geworfen, weil eine Schuld ihr Gewissen plagt, zuviel getrunken hat sie allerdings schon vorher. Sie verdächtigt ihren Mann des Seitensprungs, erlöst sich bei schmutzigen Chats mit einem Unbekannten und schiebt ihre entzückenden Kinder vor, wenn sie nicht zugeben will, zutiefst unglücklich zu sein. Und dann muss sie noch erfahren, dass ihr Gatte angeblich… na ja. Da ist schon einiges zu spielen.

Larissa Fuchs wurde hoffentlich nicht nur besetzt, weil sie eine Bedingung der Rolle erfüllt (die sie unter einer lockeren Bluse auch zeigt): Viel Busen hat sie nicht, darum will sie sich einen aufblasen lassen, weil ihre Fähigkeiten als Psychiaterin nicht ausreichen, mit sich selbst (bzw. ihrem Körper) in Eintracht zu leben.

Michaela Klamminger als die ziemlich verliebte Tierärztin, die mit ihrem Schatz erst kurz zusammen lebt, muss strahlende Harmonie und echte Empathie für die anderen aussenden, bis es sie selbst erwischt und sie einen Schock erlebt, den vermutlich keine Frau so ohne weiteres wegstecken würde.

Erwähnen wir noch das Töchterchen, Paula Nocker, die von Mama Maria Happel Aussehen und Talent geerbt hat  und ein Teenager-Früchtchen zum Fürchten hinlegt.

Die Männer haben fast alle ihre Geheimnisse, bis auf den Gastgeber, der ein Gutmensch und in Gestalt von Martin Niedermair sehr sympathisch, aber wenig vorhanden ist. Roman Schmelzer darf hektisch Problematik versprühen, und Dominic Oley soll man glauben, dass er es faustdick hinter den Ohren hat. Oliver Huether schließlich muss sich angesichts seines Geheimnisses („Sagt ruhig schwul!“) nur so winden.

Interessanter als das ganze Stück ist die Problemstellung. Wenn sich nur ein paar Leute fragen, wie sehr sie in ein Stück Technologie, das mancher gar nicht mehr aus der Hand legen kann, ihr Leben und ihre Geheimnisse hineinpacken und wie angreifbar sie damit werden, können vielleicht ein paar Erkenntnisse aufleuchten. In diesem Sinn: ein Lehrstück für heute.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken