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WIEN / Kammerspiele: 39 STUFEN

13.10.2017 | KRITIKEN, Theater
Kammerspiele der Josefstadt •  John Buchan und Alfred Hitchcock •  Die 39 Stufen

Foto: Theater in der Josefstadt

WIEN / Kammerspiele der Josefstadt:
39 STUFEN von Patrick Barlow nach Alfred Hitchcock
Premiere: 12. Oktober 2017

Es waren viele Köche, die diesen Brei zusammen gerührt haben, der trotzdem ganz unverdorben blieb – Romanautor John Buchan, der (und das ist wohl am wichtigsten) 1935 von Alfred Hitchcock verfilmt wurde. Als Patrick Barlow, einer der typisch britischen Allround-Männer von Theater und Kino, Radio und Fernsehen (sie spielen, sie schreiben, sie inszenieren und können alles) daran ging, aus der Kinolegende ein Theaterstück zu machen, stütze er sich wiederum auf ein Konzept der beiden Schauspieler Simon Corble und Nobby Dimon, die den Film überhaupt auf zwei Schauspieler „eindampfen“ wollten.

Bei Barlow wurden es dann vier – nur der Hauptrollenträger ist einfach er selbst, die Dame spielt drei verschiedene Rollen und zwei Herren, im Programmheft als Mann 1 und Mann 2 bezeichnet, verkörpern – wie viele? Unzählbar, einfach alle und alles. Und das bitte mit der Geschmeidigkeit von Gummi-Geschöpfen…

Und das ist auch das Geheimnis dieser „39 Stufen“, die 2005 uraufgeführt wurden und die Welt erobert haben. In Wien waren sie bisher dreimal, gewissermaßen an „Nebenschauplätzen“ (der Scala, dem Theater der Jugend, dem English Theatre) zu sehen, nun sind die Josefstädter Kammerspiele an der Reihe, sich an den atemberaubenden technischen und gewissermaßen equilibristischen Anforderungen dieses Stücks zu messen. Und wenn es um Virtuoses geht, dann holt man hierzulande ohnedies immer Werner Sobotka – keiner kann es besser. Im Bühnenbild von Judith Leikauf, das an Flexibilität und Praktikabilität sehr viel leisten muss (und selbst schon Pointen setzt), und in Kostümen von Elisabeth Gressel, die so geschneidert sein mussten, dass Umzüge buchstäblich in Sekundenschnelle möglich sind, dazu die Musik von Christian Frank, die von Zeit zu Zeit dramatisches Kino tremoliert… und los geht’s. Natürlich mit vielen Hitchcock-Anspielungen, von „Die Vögel“ bis „Der unsichtbare Dritte“ (beides witzig per Video) bis zu den geschickt eingefügten Titeln („Der Mann, der zu viel wusste“, „Das Fenster zum Hof“). Denn Hitchcock ist ja der Name, der in diesem Fall lockt.

Dessen Film war damals vorausschauende Anti-Nazi-Propaganda und so lustig nicht gemeint, muss der Held doch verhindern, dass der Feind (der sich hinter der Maske eines angesehenen Professors versteckt) geheime Informationen ins Ausland schafft. Auf der Bühne aber geht es nur um die Parodie, die nichts möchte, als die Freude am Theaterhandwerk und an schauspielerischer Brillanz zu vermitteln. Dieses Meisterstück ironischer Verfremdung zeigt wieder einmal, wie wenig es über die Person des Schauspielers hinaus braucht, um etwas „theatralisch“ zu vermitteln. Das ist dann Slapstick und überdrehte Psychologie zugleich, und im besten Fall zum Brüllen.

Wenn man hier Einwände vorbringen will, dann nur dahingehend, dass man auch den wilden Blödsinn dosieren muss, damit er nicht die Grenze von der Unterhaltung zum Auf-die-Nerven-gehen überschreitet: die russische Lady war eine Spur zu viel, ebenso wie der schottische Kommissar zu Beginn des zweiten Teils (wo bei die so gern veräppelten Schotten sprachlich auch zu Tirolern werden, wenn es sich um ländliche Exemplare handelt). Im großen und ganzen lief das Werkel mit perfekter Präzision und in der Dosierung richtig.

Das geht nur mit den besten Schauspielern. Alexander Pschill ist jener gelangweilte Brite Mr. Richard Hannay, der geradezu in eine Spionagegeschichte hineingeschleudert wird und sich nach allen Regeln der Kunst durch diese hindurch zappelt, ganz abgesehen von dem Turnkunststück auf einer Leiter (die eine Brücke sein soll…), das man ihm abverlangt. Seine besondere „Chemie“ mit Ruth Brauer-Kvam hat er schon des öfteren erwiesen, die beiden sind hier ein Blödel-Traumpaar von Gnaden (wie sie sich, mit Handschellen aneinander gefesselt, in einem Schranken verschränken, das muss ihnen jemand nachmachen). Wie gesagt, die dramatische Annabella Smitzka gerät mit dem über-gerollten Russisch ein wenig zu dick, aber die schüchterne Bauerfrau Margaret und das blonde schottische Love-Interest Pamela sind Prunkstücke.

Und was soll man zu Martin Niedermair und Markus Kofler sagen, die alles sind, manchmal – wie Kofler in einer der letzten Szenen – im Dialog mit sich selbst auch zwei Rollen gleichzeitig. (Abgesehen von seinem Prunkstück einer englischen Vermieterin und dem Hitler-Tonfall, den er als böser Spion anlegt.) Das Ganze darf natürlich nicht eine Sekunde lang so schwer aussehen, wie es ist, aber das Publikum erkannte vielfach die Brillanz der reinen Bewegungschoreographie und brach in Anerkennung des Könnens immer wieder in Szenenapplaus aus.

Am Ende verbeugten sich nicht nur die vier Schauspieler – der Vorhang öffnete sich, und eine Riesenschar von „helfenden Händen“ wurde sichtbar, all die Bühnentechniker und Garderobekünstler, die diese Umbauten und vor allem Umzüge möglich gemacht haben. Auch ihnen wurde stürmischer Applaus zuteil, den Protagonisten und dem Leading Team sowieso.

Renate Wagner

 

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