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WIEN / Kammeroper: TRISTAN-EXPERIMENT

 

tristan experiment 4 ©herwig prammer szene x~1
Alle Fotos: Theater an der Wien / Herwig Prammer

WIEN / Kammeroper des Theaters an der Wien:
TRISTAN-EXPERIMENT nach Richard Wagner
Fassung für Kammerorchester von Matthias Wegele
Premiere: 26. Mai 2021,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 29. Mai 2021

Günther Groissböck gehört in der Opernwelt zur kostbaren Spezies eines schönen, sonoren Wagner-Basses. Er hat mit Ausnahme der Wotans – die „fertig“ sind und bald kommen werden – und des Hans Sachs, mit dem er sich noch ein bisschen Zeit lässt, alle großen Wagner-Baß-Rollen gesungen. Entsprechend begehrt ist er in der ganzen Welt und weit herumgekommen – als Daland, König Heinrich, Landgraf, Pogner, Marke, Fafner, Fasolt, Hunding und Gurnemanz. Er ist durch zahllose Inszenierungen gegangen, manche davon haben Wagner-Freunden die Haare zu Berg stehen lassen.

Im Gespräch hat sich Günther Groissböck allerdings neuen Regieideen gegenüber aufgeschlossen gezeigt, sogar dem „Biogas-Tannhäuser“ von Sebastian Baumgarten, 2011 in Bayreuth, konnte er etwas abgewinnen. So war zu erwarten, dass auch er neue Wege suchen würde, wenn er das wahre Experiment eines kammeropernartig verschlankten „Tristan“ einging – als Experiment schon im Titel bezeichnet, in der Wiener Kammeroper, der Dependance des Theaters an der Wien, unternommen.

Nun hat man selten im Vorfeld so viel Theoretisches (auch ein wenig hochgestochen) zu einem Projekt gelesen, dass man ganz wirbelig wurde. Tatsächlich wandert Groissböck, wenn man so sagen darf, auf der Schiene von Stefen Herheim, dem künftige Direktor des Theaters an der Wien. Dieser war einer der Ersten, der „biographisch“ verfuhr, die Figur des Schöpfers in die Interpretation einbrachte (die Wiener begegneten solcherart schon 2004 seiner „Butterfly im Museum“ in der Volksoper). Mittlerweile haben zahllose Regisseure es nachgemacht, von Marelli (vor allem in seiner überall gespielten „Turandot“) oder Kosky (in Bayreuth bei den „Meistersingern“).

Für Günther Groissböck als Regisseur ist an „Tristan und Isolde“ entscheidend, dass das Werk aus der Liebe des Komponisten zu Mathilde Wesendonck entstanden ist. Als zweite (bzw. erste) Ebene führt Groissböck aber gewissermaßen ein „Liebes-Experiment“ im Labor ein, was einigermaßen funktioniert, wenn es auch nicht immer gänzlich einsichtig ist.

Was sieht man also, um konkret zu werden? Beim Vorspiel ist man im Labor (Ausstattung praktisch mit viel Raum für Licht und Video: Stefanie Seitz), er und sie in Spitalskleidung sind angeschnallt auf Stühlen, aus denen sie sich befreien können, sich einander annähern, sich ganz offensichtlich in einander verlieben. Der erste Akt findet weiterhin hier statt, auf einem Krankenbett, bis nach dem Liebestrank – ja, da ist kurz Zeit, dass die beiden sich umziehen und als Mathilde Wesendonck und Richard Wagner wieder kehren können.

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Hier muss man nun auch auf die Fassung hinweisen, die Regisseur Groissböck und Dirigent Hartmut Keil erstellt haben, mit einem tollkühnen Strich, der die Liebeserkenntnis des ersten Akts gleich in das „Sink hernieder, Nacht der Liebe“ übergehen lässt. Richard und Mathilde schreiben dabei eher Briefe, als dass sie sich umarmten, im Hintergrund findet sich die Villa Wesendonck projiziert, er kritzelt mit einer Feder in ein Buch – da entsteht wohl die Oper aus dem Liebestaumel… Bis Melot all dem ein Ende setzt, man ihnen brutal die Kleider vom Leib reißt, sie in ihrer weißen Anstaltskleidung dastehen. Aus der Traum.

Auftritt König Marke nicht als Otto Wesendonck, sondern offenbar als Günther Groissböck im todchicen hellgrauen Mao-Anzug. Mit seiner gewaltigen Stimme bringt er die Kammeroper zum Wanken. Dass er der „böse“ Arzt ist, der das grausame Liebesexperiment durchführt (wie man vielfach gelesen hat), ist auf der Bühne nicht einmal andeutungsweise zu erkennen. Pause.

Danach sind wir wieder in der Klinik, auf dem weißen Krankenbett, in dem Isolde sich durch den ersten Akt gelitten hat, leidet nun Tristan bzw. vielmehr das Opfer des Liebesexperiments, man ist so hier und heute, dass Kurwenal „Tristan“ die Burg Kareol auf einem Tablet zeigt… Wenn man schon kürzt, wäre es natürlich sinnvoll gewesen, Isoldes Auftauchen gleich in „Mild und leise“ münden zu lassen und den Auftritt Marke / Brangäne (der einem immer irgendwie retardierend und überflüssig vorkommt) gleich zu streichen. Aber da hat Groissböck-Marke-Sänger vermutlich zu Groissböck-Regisseur gesagt: „Bist Du wahnsinnig? Ich lasse mir doch meinen zweiten Auftritt nicht wegnehmen!“ Also ist die schöne Gelegenheit zum Streichen vorbei gegangen, der Abend ist nämlich noch immer überlang.

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Dafür darf Isolde, nun wieder durchaus kleidsam in Mathilde verwandelt, vor dem goldenen „Eisernen“ ihren Liebestod singen, dann zurück in die Bühne zum Schatten werden, die Feder, mit der ihr Richard geschrieben hat, aufnehmend… Ungemein poetisch und hervorragend beleuchtet, wie der ganze Abend (Licht: Franz Tscheck), dessen Videoeinspielungen so gut und schön und zutiefst atmosphärisch sind (Videodesign: Philipp Batereau), dass man mehr davon vertragen hätte.

An diesem Abend haben zwei Sänger eine Chance bekommen, die ihnen vielleicht niemand sonst gegeben hätte. Norbert Ernst durfte an der Wiener Staatsoper Wagner singen, nicht nur den David, auch Loge und sogar Erik, aber sein Fach waren dann doch die charakterisierenden Nebenrollen zwischen Jaquino oder Triquet. Lohengrin und Florestan traute man ihm nur außerhalb Wiens zu. Aber nun der Tristan, der Mount Everst der Wagner-Tenöre? Und Kristiane Kaiser, an deren wunderschöne Traviata in St. Margarethen man sich so gern erinnert wie an viele schöne Operetten-Heldinnen an der Volksoper. Aber die Isolde, das Non plus Ultra der dramatischen Wagner-Heldinnen?

Nun, man muss vorweg sagen, dass die „kammermusikalische“ Fassung von Matthias Wegele mit 20 Musikern auskommt, aber im kleinen Raum der Kammeroper erklingt die Musik keinesfalls schmal und durchsichtig, sondern kraftvoll und auch laut. Wenn als Kristiane Kaiser als Jubel-Isolde und Norbert Ernst als hoch dramatischer Tristan prunken, hat man ihnen diesen Erfolg nicht nachgeworfen, er ist ehrlich ersungen.

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Zu Marke von Günther Groissböck selbst muss man nichts sagen, er ist konzentriert, nobel, stimmlich prachtvoll. Auch Kristján Jóhannesson, der anfangs kurz der mürrische Kurwenal ist, dann der böse Melot, dann wieder der edle Kurwenal an des sterbenden Tristan Seite, ist mit seinem starken, rauen, durchaus zu hellerer Klangfarbe neigenden Bariton bei Wagner sehr gut aufgehoben. Juliette Mars singt eine reduzierte Brangäne. Und Hartmut Keil am Pult des Wiener KammerOrchesters hält den Abend zusammen, nicht mit besonderer Feinarbeit, aber sehr verlässlich.

Bedenkt man, wie viele missglückte „Experimente“ man an der Kammeroper schon mit „eingedampften“ Werken der großen Opernliteratur erlebt hat (das schlimmste war zweifellos der „Don Carlos“), dann ist dieser „Tristan“ sehr gelungen. Nicht zuletzt, weil sich Regisseur Groissböck nicht eine Sekunde gegen das Werk und dessen Schöpfer vergeht. Wie viele Regisseure können das heutzutage schon von sich behaupten?

Renate Wagner

 

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