Fotos: Theater an der Wien / Herwig Prammer
WIEN / Kammeroper des Theaters an der Wien:
THÉRÈSE RAQUIN von Tobias Picker
Libretto von Gene Scheer nach dem gleichnamigen Roman von Emile Zola
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 16. Dezember 2021
Starker Tobak in der Kammeroper. Gewiß, man ist sozusagen daran „gewöhnt“, dass Othello Desdemona auf der Opernbühne erwürgt, dass Sparafucile Gilda ersticht und was der Morde coram publico mehr sind. Aber einen ungewünschten Ehegatten in der Badewanne ersticken? Und am Ende noch eine letale Messerattacke? Und dazwischen jede Menge wilder Sex?
So stellt sich der amerikanische Komponist Tobias Picker, von dem man in Wien noch nichts gehört hat, mit seiner Oper „Thérèse Raquin“ vor, womit die Kammeroper des Theaters an der Wien wieder einmal ihrer sinnvollsten Aufgabe nachkommt, nämlich Werke, die man nicht kennt, zu präsentieren (statt „Klassiker“ einzudampfen, zu überschreiben oder mit Puppen zu bestücken).
Nun ist „Thérèse Raquin“ schon beim Lesen ein Problem, denn Emile Zola hat damals, 1867, seinem Publikum rücksichtslosen Naturalismus zugemutet, ein ärmliches, enges, repressives Milieu, starke, aber letztlich negative Gefühle – und Mord. Man liest es nicht gern, denn das ist kein unterhaltsamer Krimi, da scheint kein Licht in der Finsternis, nicht ein Mensch, nicht ein Handlungselement, das positiv die Düsternis durchbrechen würde. Und das Libretto, das Gene Scher für Picker nach Zolas Roman geschrieben hat, hält es genau so. Und die Inszenierung erst recht.
Wenn man liest, dass Tobias Picker (der mit Vorliebe große Literatur vertont, was nicht das einfachste ist) versucht hat, seine Personen „sympathisch“ erscheinen zu lassen, so kann man offen sagen, dass ihm das nicht gelungen ist. Über einem breiten, dicken, dabei drängend lebhaften und filmmusikartig charakterisierenden Orchesterpart (man hört in Wien die „Kammerfassung“, da will man gar nicht wissen, wie die volle Version sich anhört), werden die Stimmen meist ins Forte und in höchste Höhen getrieben. Das ist dramatisch und eindrucksvoll, wird allerdings entschieden zu einförmig eingesetzt. An Differenzierung mangelt es, an Effekt allerdings sicherlich nicht.
Regisseur Christian Thausing hielt nichts davon, die mörderische Geschichte von sexueller Gier und brutalem Egoismus zu verharmlosen, im Gegenteil – er inszenierte sie regelrecht als Horrorstory, wofür Beleuchter Franz Tscheck die Bühne immer wieder in irreale Farben taucht. Die Oper soll, nach Zolas Vorgabe, im Paris der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielen. In der schäbigen Wohnküchen-Ausstattung von Christoph Gehre ist man in den fünfziger Jahren, und es könnten (schließlich singt man Englisch) ebenso die USA wie Frankreich sein.
Da Thérèse Raquin und ihr Liebhaber Laurent auf der Bühne nicht gut zu einer Bootsfahrt auf der Seine aufbrechen können, um den unliebsamen Gatten zu ertränken, muss dafür eine Badewanne hereingerollt werden (und ganz logisch entwickelt sich der Mord dramaturgisch nicht). Übrigens verzichtet die Oper auf den doppelten Tod des reuigen Paares (oder ist das nur die Inszenierung?), Therese wendet sich jedenfalls am Ende der katatonischen Schwiegermutter und dem toten Gatten zu, der wie der Geist von Banquo hinter dieser steht. während der Geliebte verröchelt … ein schaurig-wirkungsvolles Ende,.
Es ist zwar eine Ensembleoper, in welcher Libretto und Komponist den Nebenfiguren ziemlich viel Platz geben – jenen Nachbarn, die immer wieder zum Dominospiel und Trinken bei den Raquins hereinschneien. Aber dennoch ruht der Hauptteil des Werks auf der Titelfigur – und da musste Roland Geyer vor der Premiere vor den Vorhang und berichten, dass die Hauptdarstellerin erkrankt sei. Immerhin – am Sonntag wurde Julia Mintzer aus London eingeflogen, am Donnerstag sang sie fulminant die Premiere, das macht ihr nicht so schnell jemand nach. Mit wilder schwarzer Lockenfrisur „hexenhaft“ hergerichtet, ist sie nicht einen Moment lang das bedauernswerte Geschöpf, sondern immer eine aktive Täterin, die ihren Liebhaber „anspringt“ (mit allen Konsequenzen) und den Mord nicht scheut. Danach irrlichtert sie wie Lady Macbeth herum – eine tolle Leistung, auch mit einem mühelos in die Höhe reichenden Mezzo souverän dargeboten.
Die zweite imposante Figur stellte Juliette Mars als die „böse Schwiegermutter“ auf die Bühne, die immerhin ihren Sohn verliert, nach einem Schlaganfall bewegungslos ist und dennoch all die Verbrechen realisiert, die sich rings um sie ergeben. Ihre Starre ist kinoreif, wie der ganze Abend – wie erwähnt – überhaupt das Horror-Hautgout ausstrahlt.
Inmitten einer kompetenten Männerschar – Andrew Morstein als wenig sympathischer Gatte, Timothy Connor als nicht minder unerfreulicher Liebhaber und Ivan Zinoviev und Hyunduk Kim als Nachbarn – sticht Miriam Kutrowatz mit der Studie einer an den Rand gedrängten Frau hervor, deren meist stummes Spiel (ihr Sopran wird, wie alle, in den höchsten Höhen gefordert) immer wieder beeindruckt.
Jonathan Palmer Lakeland entfesselte mit dem Wiener KammerOrchester einen wirkungsvollen Klangrausch. Das Publikum, nicht vollständig, aber doch zahlreich erschienen, klatschte beeindruckt. Starke Nerven braucht man für diese hässliche Geschichte schon.
Renate Wagner