Fotos: Barbara Zeininger
WIEN / Kammeroper des Theaters an der Wien:
SEMIRAMIDE von Leonardo Vinci und Georg Friedrich Händel
Premiere: 23. September 2013
Semiramis, möglicherweise die Königin der „hängenden Gärten von Babylon“ (immerhin eines der Weltwunder der Antike), ist historisch schwer zu fassen, kommt in verschiedener Überlieferung auf uns zu, ist aber zumindest ein Begriff. Hätte sie einen Julius Caesar gehabt, an dem man sie festmachen könnte, wäre sie wohl so berühmt wie Cleopatra. Im Barock erfreute sie sich allerdings enormer Beliebtheit. Kaum zu glauben, wie oft das Libretto, das Pietro Metastasio über sie geschrieben hat, vertont wurde. Porpora, Hasse, Gluck, Sarti, Galuppi, Vivaldi, Salieri, die Liste ist lang, das Interesse an der Dame hielt bis Rossini und Meyerbeer.
Leonardo Vinci (ohne „da“ dazwischen, also nicht der Maler der „Mona Lisa“, sondern der Komponist) schrieb 1729 für Rom wohl als Erster seine „Semiramide“ und starb im Jahr darauf. 1733 nahm sich Händel für eine Aufführung in London das Werk her, kürzte es stark, komponierte die meisten Rezitative neu und bearbeitete es überhaupt nach allen Regeln der Kunst.
Im Programmheft der „Semiramide“-Aufführung, die nun in der Kammeroper stattfindet, kann man sich von Alan Curtis – der nicht nur Dirigent, sondern auch Musikwissenschaftler ist – geradezu einen Krimi erzählen lassen: über die Entstehungsgeschichte, die Bearbeitung, wie viele Möglichkeiten es gibt, auf der Opernbühne von einem „Pasticcio“ zu sprechen, schließlich wie „seine“ Fassung entstanden ist, die in vielem wiederum von Händel abweicht, weil Curtis eben über musikalische Qualität, dramaturgischen Aufbau und theatralische Effekte anderer Meinung war als der große Georg Friedrich, der sein „Semiramide“-Capriccio 1733 in London herausbrachte.
Wenn man genau hinhört, klingt der dreistündige Abend tatsächlich nicht immer nach „Händel“ – Vinci, von dem die meisten Arien enthalten sind (Curtis fügte noch welche von Porpora, Leonardo Leo und Francesco Feo hinzu), hatte doch einen italienischeren, weicheren Stil als Händel, mit vielen Kunstfertigkeiten geschmückt, aber nie auf spektakuläre Virtuosität angelegt. Dennoch – grundsätzlich kommt der Abend musikalisch wie aus einem Guss auf den Hörer zu, und Alan Curtis fand im Bach Consort Wien ein durch und durch kompetentes Ensemble, das zu großem musikalischen Glanz auffuhr.
Die Handlung der Oper ist – wie bei barocken Werken manchmal – ein schönes Durcheinander, erzählt einerseits von Semiramis, die als Mann verkleidet für ihren Sohn herrscht, den sie wiederum in Frauenkleider gesteckt hat. Parallel ist die baktrische Prinzessin Tamiri die absolut gleichberechtigte zweite weibliche Hauptfigur. Sie soll, das ist ein entschieden märchenhaftes Element, unter drei Freiern wählen – einer ist der Ex-Liebhaber der Semiramis, der sie einmal fast erstochen hat, weil er sich von ihr betrogen wähnte, und sie für tot hält. Große Eifersucht, ein wildes Durcheinander der Gefühle bei jedem einzelnen der sechs singenden Protagonisten, alles in höchst effektvollen Arien und wenigen Ensembles abgehandelt.
Der italienische Regisseur Francesco Micheli, seit dem Vorjahr künstlerischer Leiter von Macerata, hat als sein eigener Ausstatter eine extrem minimalistische Aufführung auf die Bühne gestellt, deren betont „tänzerisches Element“ er im Programmheft erklärt. Wenn sich der Neon-Schriftzug „Babilonia“ über der Bühne zeigt, dann ist die antike Welt in einen heutigen Tanzpalast versetzt, mit Kostümen, die vage heutig sind, einer Körpersprache, die stark betont wird, bis zu einer Slow-Motion-Passage wie aus einem Film. Hervorragend gelungen ist die Führung der einzelnen Figuren in ihren Emotionen und Beziehungen zu einander, vor allem auch in den Arien, in denen nie leblos herumgestanden wird. Die Bewegung hat der Abend nötig, weil er sonst szenisch so gut wie nichts bietet.
Aber er hat ein Sextett – eigentlich Septett – an Interpreten, die wirklich ganz hervorragend sind und für eine Barockoper nicht alltägliche Lebendigkeit erzielen. Der siebente im Bunde ist der in Frauenkleider gesteckte, „stumm“ bleibende Sohn der Semiramis, den der italienische Schauspieler Alessio Calciolari so anteilnehmend verkörpert, dass er geradezu zu zauberhafter Wirkung kommt.
Zwei exzellente Damen: die Türkin Çigdem Soyarslan kennt man schon als fixen Teil des Kammeropern-Ensembles des Theaters an der Wien. Sie ist eine schöne Frau, eine veritable Hochdramatische, die alle Schwierigkeiten einer Barockpartie stupend meistert und allerlei zu erleiden hat, bis sie ihre Hosen ausziehen, wieder ein Kleid anziehen und mit dem Ex-Liebhaber ins Happy End schreiten darf. Die verwirrte Prinzessin mit den drei Freiern (wo dann genau jener, den sie sich aussuchen würde, ausbüchst, weil er Semiramis nicht vergessen kann) wird von der Israelin Gan-ya Ben-gur Akselrod gesungen, die erst kürzlich den Ersten Preis des Hilde-Zadek-Wettbewerbs gewonnen hat. Eine schöne, leichte, technisch versierte Stimme und ein bildhübsches, ausdrucksreiches Persönchen, das sich den Abend immer wieder „holt“. Die dritte Dame spielt den Intriganten Sibari, der aus Liebe zu Semiramis eine Menge Leute durch seine Verleumdungen unglücklich macht – aber die Italienerin Gaia Petrone lässt einen dermaßen schönen, dunklen, klangvollen Mezzo hören, dass man sich auf ihre Cenerentola und ihren Sesto in dieser Saison in der Kammeroper nur freuen kann.
Der Held des Abends ist ein Tenor, Andrew Owens als schön gesungener Scitalce. Ebenfalls schön der Countertenor von Rupert Enticknap (Mirteo), der mehr Wohlklang produziert als die meisten Kollegen in dieser Stimmlage. Igor Bakan (Ircano) muss sehen, dass er irgendwo eine Gesangslinie herbekommt. Noch lebt er von seinem substanziellen Bass, den er allerdings mehr hervorstößt als kultiviert behandelt – was in diesem Fall, wo er einen wirklich ungeschlachten skythischen Prinzen zu spielen hatte, wenigstens einigermaßen in die Rollengestaltung eingehen konnte.
Die Begeisterung des Publikums war groß, das „Pasticcio“ vieler Komponisten, in einer gelungenen Aufführung zusammengefasst, ging so angenehm hinunter wie ein guter „gemischter Satz“. Sehr viel Beifall.
Renate Wagner