Fotos: Prammer
WIEN / Kammeroper des MusikTheaters an der Wien::
RICHARD III.
Musiktheater nach der Tragödie von William Shakespeare
mit Musik von Henry Purcell
von Kateryna Sokolova, Benjamin Bayl und Kai Weßler
Premiere: 3. Juni 2024
Dritter Richard – und das gleich dreifach
Hat Henry Purcell neben dem „Sommernachtstraum“, „Timon von Athen“ und „Der Sturm“ auch „Richard III.“ für eine seiner Semi-Operas (die Mischung aus Musik und Tanz mit dem Sprechstück) benützt? Genaues ist auf die Schnelle nicht zu recherchieren, aber jedenfalls haben eine Regisseurin, ein Dirigent und ein Dramaturg dies für wünschenswert erachtet und dieses ihr Musiktheaterprojekt dem MusikTheater an der Wien des Stefan Herheim verkaufen können.
So erlebt man „Richard III. Musik von Henry Purcell“ nun an der Kammeroper, und die Grundidee dieser auf fünf Sänger zusammen geschmolzenen minimalistischen Fassung besteht darin, Richard zu verdreifachen – in einen Tänzer (sein Körper), einen Schauspieler (sein Intellekt) und einen Sänger (seine Seele). Premierenpech, dass der Sänger die Premiere nicht singen, wohl aber spielen konnte, aber Premierenglück, dass man nicht absagen musste, weil man einen Bariton gefunden hatte, der am Bühnenrand über den Noten Richards Stimme erklingen ließ, (Weil der Originalsänger aus Rücksicht, um die Kollegen nicht anzustecken, Mundschutz trug, musste er nicht einmal wie ein luftschnappender Fisch die Lippen bewegen…)
Regisseurin Kateryna Sokolova zieht den dreifachen Richard sehr geschickt durch den Abend, der in einem schlichten, aber geschickten Bühnenbild (Nikolaus Webern), stattfindet: gewölbeartig, durch Zwischenvorhänge zu verändern, durchaus Schauplätze imaginiert, wobei, um Purcells festliche Barockmusik einsetzen zu können, immer wieder auch ausstattungs- und kostümsatte „Massenszenen“ vorkommen (Studierende der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien sind als Volk dabei).
An sich konzentriert sich die Handlung auf Richard als Verstellungskünstler, und das stimmt ja auch, wenn man bedenkt, wie gewissenlos er sich zum Thron und in das Bett von Lady Anne heuchelt. Zwischendurch hat er immer wieder das Bedürfnis, die Zuschauer anzusprechen und ihnen zu sagen, was er wirklich denkt. Steht durchaus so bei Shakespeare, allerdings vermißt man einiges Berühmte aus der Schlegel-Übersetzung (Ward je in dieser Laun‚ ein Weib gefreit? Ward je in dieser Laun‚ ein Weib gewonnen?). Und der berühmteste Satz „Nun ward der Winter unsers Mißvergnügens. Glorreicher Sommer durch die Sonne Yorks“ wird ganz am Ende variiert von Hastings gesagt, der sich die Krone aufsetzt.
Richard III., seine Geschichte, immer wieder in Musik getaucht und vor allem in Arien und Ensembles ausbrechend (ein schönes Duett der Frauen ist auch dabei), kann natürlich nur eine Ahnung der Geschichte bringen. Dramaturg Kai Weßler bringt vor allem die mörderische Familiengeschichte als Geschehen ein – das essentielle politische Drama hat hier natürlich keinen Platz. (Sowohl die Verfilmungen mit Laurence Olivier wie Ian McKellen haben gezeugt, dass es vor allem um eine Psychologie des Terrors und Psychoterrors geht – wie Menschen auf einen allmächtigen, lebensgefährlichen Einzelnen reagieren (vermutlich gibt es auch in unserer Welt Menschen, die ein Lied davon singen können). Höchst überflüssig scheint mittendrin eine „Bürger-Szene“, in der die Herrschaften Zeitung lesen und sich auf grob Wienerisch über Richards Aufstieg unterhalten… Sollte wohl die Variation einer Rüpelszene sein.
Die in Musik getunkte Geschichte des Bösewichts freut sich vor allem daran, ein kleines Regie-Kunststück zu sein. Vermutlich hat Benjamin Bayl als dritter „Autor“ und am Pult des Bach Consort Wien, die Purcell-Musik zusammen gestellt, die meistens „passt“ und meistens schön ist, wenn auch manchmal etwas retardierend wirkt.
Die Hauptlast des Abends liegt auf dem Schauspieler Richard – Sören Kneidl erweist sich als glänzender Sprecher und gefährlicher Komödiant, während der Tänzer Fabian Tobias Huster ihn und Christoph Filler (der ja nun bei der Premiere nicht gesungen hat) geschmeidig umschlang. Die drei sind eine Einheit, aber von Zeit zu Zeit driften sie doch auseinander, trennen sich vor allem Geist und Seele…
Zwei Damen und zwei Herren ergänzten in jeweils mehreren Rollen als Schauspieler und Sänger, Louise Kemény war vor allem die leidende Lady Anne, Martina Neubauer des Königs empörte Mutter, und Johannes Bamberger und Antoine Amariu machten gute Figur und brachten stimmlich schöne Komplementärfarben zu dem machtvollen Bariton Timothy Connor am Bühnenrand, dem Retter des Abends. Es gab viel Beifall für Flitterzauber irgendwo zwischen Alt-England und heute.
Renate Wagner