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WIEN / Kammeroper: L’ARBORE DI DIANA

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WIEN / Kammeroper des MusikTheaters an der  Wien:
L’ARBORE DI DIANA von Vicente Martín y Soler
Premiere: 3. Dezember 2022 

Pech gehabt. Dabei waren die Erwartungen so hoch gespannt gewesen. Die allererste Premiere des nun so genannten MusikTheaters an der Wien hatte in der Ära von Stefan Herheim in der Kammeroper stattgefunden und die sehr gelungene Umsetzung einer Barockoper für ein zeitgenössisches Publikum geboten. Man konnte also Hoffnungen auf den nächsten Abend setzen, einem Mozart-Zeitgenossen gewidmet. Aber – nix da. Pech gehabt.

Nun, gesungen wird vielleicht von einem „giardino delizioso“, aber was sieht man auf der Bühne der Kammeroper? Einen Waschraum, der frontal drei Toiletten zeigt, voll bestückt  – die Spülung funktioniert auch, das olifaktorische Element wird dankenswerterweise ausgespart.

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Fotos: Herwig Prammer

Und diese Dekoration wird wahrlich benützt. Da sieht man also den Herren zu, wie sie mit heruntergelassener Hose  am Klo sitzen (und singen), man erlebt, wie sie pinkeln und onanieren (immerhin mit dem Rücken zum Publikum – thank God for little favours!). Es gibt auch Handarbeit zu begutachten, wenn etwa Amor mit flinken Bewegungen einem lüsternen jungen Mann einen herunterholt (da macht man sich natürlich die Finger schmutzig, igitt!). Und weil sich so viel unter Männern abspielt und die Mädels ja auch nicht zu kurz kommen sollen, wird am Ende des 1. Aktes zur Pause noch eine Art lesbisches Bordell, ganz in Rosa, geboten, wo es offenbar die Putzfrauen mit den Schülerinnen treiben dürfen…? Bevor es da richtig zur Sache geht, fällt allerdings – sicher zum Bedauern der Herren im Publikum –der Vorhang,

Was das alles soll? Ganz klar ist es natürlich nicht, denn mit dem Werk, das auf dem  Spielplan steht, nämlich „L’arbore di Diana“ von Vicente Martín y Soler, hat es sicher nichts zu tun, Dabei hat man sich gerade darauf gefreut. Zwar kennt man den Herren nur indirekt, aber doch aus der Wiener Musikgeschichte intensiv – ein spanischer Komponist, der buchstäblich in ganz Europa erfolgreich war und zur gleichen Zeit wie Mozart in Wien weilte, hoch geschätzt von Kaiser Joseph II.. Manche Leute zogen ihn Mozart vor. Und da Wien damals (damals!) eine künstlerisch so reiche Stadt war, in der auch Salieri erfolgreich wirkte, schuf Lorenzo Da Ponte (wie man aus Wikipedia erfährt) für drei Herren gleichzeitig Libretti – nachts für Mozart „Don Giovanni“, morgens für Martín „L’arbore di Diana“ und abends für Salieri „Axur, re d’Ormus“ (man ist ohnedies nie Gefahr gelaufen, Da Ponte zu unterschätzen). Mozart hat in „Don Giovanni“ übrigens eine Phrase aus Martin y Solers in Wien schon erfolgreicher Oper „Una cosa rara“ zitiert…

Die Nachwelt urteilt anders als die Mitwelt, Martin y Soler ist ein historischer Name, Mozart zu Recht ein unabdingbarer Bestandteil unserer Opernbühnen. Was nicht bedeutet, dass man sich sehr gerne anhört, warum das so ist. Wobei – gespielt vom Bach Consort Wien unter der Leitung von Rubén Dubrovsky (mit dem vorzüglichen, prominent links von der Bühne positionierten Gianni Fabbrini am Hammerklavier) – die Musik anfangs geradezu entzückt. Sie ist so leicht, so locker, so beschwingt, sie atmet Fröhlichkeit, und wenn sie in „dramatische“ Gefühle ausbricht, zeigt sie Ironie. Das hört sich wunderbar an, wenn auch nicht wirklich auf die Dauer. Mit knapp drei Stunden  ist der Abend viel zu lang, er hätte auch nicht genug Substanz, wenn auf der Bühne etwas Sinnvolles zum Geschehen passierte.

Da Ponte hat hier einen Antiken-Scherz um die Erotik gebastelt, Göttin Diana nimmt die Liebe so furchtbar ernst, dass sie sie am liebsten abschaffen würde, aber sie ist die einzige, die so denkt. Ihre drei Nymphen und drei Schäfer leisten flotten Widerstand und wollen nichts als – das. Was ja schön und gut und erlaubt ist, aber heitere Antike, das geht natürlich gar nicht auf einer heutigen Bühne, die auf sich hält.

Was geht? Eine Schule. Das Klassenzimmer (mit der Bemerkung „Cosi fan tutte“ auf der Tafel) sieht man selten im Hintergrund, den Waschraum (Bühne: Emanuele Sinisi) so gut wie immer. Offenbar ist der spanische Regisseur Rafael R. Villalobos (der auch die Kostüme schuf) der Ansicht, dass sich dort ohnedies alles Sexuelle abspielt. In ein sehr reizloses Heute versetzt, wo natürlich alles, was sie singen, blanker Unsinn wird, ist also Diana die strenge Schulmeisterin (die einem Schüler auch mal den Hintern verklopft, wozu dieser das Lachen kaum verbeißen kann), die Schäfer sind die Schüler in Uniform, und die Nymphen treffen es ganz schlecht: Sie sind zu Putzfrauen degradiert und kommen in dem Spiel der Lüste nur wenig zur Geltung.

Wie so viele Erfindungen, auf die sich Regisseure so viel einbilden, nützt sich diese Waschraum / Klo-Situation sehr schnell ab, sie gibt auch keine wirklichen Spielmöglichkeiten, Oft hat man keine Ahnung, was warum geschieht, und wenn am Ende plötzlich mit Silberlametta und Luftballonen (apropos: der Baum der Diana besteht auch aus solchen und hängt rechts über dem Bühnenrahmen) ausbricht und Diana statt des für sie vorgesehenen Happyends plötzlich eine Doppelgängerin herzaubert, versteht man nur Bahnhof, aber es ist eigentlich egal – man hat es mit einer Inszenierung zu tun, die nur behauptet, das Werk zu präsentieren, Musik und Szene laufen ohne Bezug nebeneinander her. Diese Schüler sollten in ein Rock-Musical ausbrechen, das würde zu ihnen und ihrer Toiletten-Fixiertheit passen…

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Eingeräumt muss gerne werden, dass großteils ausgezeichnet gesungen wird  Als Diana  muss die Argentinierin Verónica Cangemi, eine Spezialistin für „alte Musik“, allerdings die virtuosesten Kehlkopfkunststücke des Abends vollbringen, so dass es kein Wunder ist, dass die Stimme immer wieder „aus den Fugen“ gerät. Die Ironie, mit der sie das Liebesleiden der „strengen Herrin“ spielt, ist allerdings bezaubernd.

Exzellent die drei Männer, der Tenor Jan Petryka, der Diana schließlich (zumindest im Original) lieben darf, nicht weniger eindrucksvoll der zweite Tenor Gyula Rab, prächtig der Baß von Christoph Filler. Weniger zur Geltung kommen die beiseite geschobenen Nymphen, Jerilyn Chou, Arielle Jeon und Bernarda Klinar.

Star des Abends war jedoch der israelische Countertenor Maayan Licht in der Rolle des Amor. Ein androgynes Früchtchen im Conchita-Stil (nur mit Schmolle), frech wie Dreck, zu jeder Schweinerei aufgelegt. amüsierte er jede Sekunde lang und forderte für seine außergewöhnliche Stimme höchste Bewunderung ein – ein Counter, der nicht in den Ohren schmerzt, wie eine schöne Frauenstimme klingen kann und dann wieder die unterschiedlichsten Farbtöne produziert und unglaubliche Koloraturen mit stupender Leichtigkeit hinperlt. Ein solcher Amor kann nur siegen – selbst wenn er am Ende im albernen rosa Häschenkostüm auftreten muss…

Das Premierenpublikum schien von dem Soft-Porno mit Toiletten-Hautgout schlechtweg begeistert. Allerdings gab es auch ein paar entschieden heftige Buh-Rufe für (bzw. gegen) den Regisseur. Wie beruhigend, dass doch nicht jeder alles unwidersprochen hinnimmt, was auf unseren Bühnen leider die unappetitliche Regel geworden ist…  und bejubelt statt hinterfragt wird.

Renate Wagner

 

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