WIEN / Kammeroper des MusikTheaters an der Wien:
LA LIBERAZIONE von Francesca Caccini
Wiener Erstaufführung
Premiere: 6. Oktober 2022
Musikfreunden war eigentlich der Papa ein Begriff, wenn auch Giulio Caccini noch nicht in dem Maße wieder entdeckt wurde wie mancher seiner Zeitgenossen. Aber bei den Anfängen der Oper war er dabei, ein geschätzter Künstler am Hof der Medici (die damals oft mit Habsburgerinnen verheiratet waren). Künstlerfamilien waren nicht selten, alle Kinder Caccinis waren begabt, aber seine Tochter Francesca (1587 – 1640) überragte alle Geschwister. Als berühmte Sängerin und hervorragende Instrumentalistin, die schließlich eine besondere Rolle in der Operngeschichte einnahm:
Francesca bewies, dass mit hervorragender Ausbildung und ebensolchem Talent auch Frauen komponieren konnten. Von ihren Werken ist die Oper „La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina“ erhalten. 1625 uraufgeführt, gilt es als erstes bekannt gebliebenes Opernwerk aus weiblicher Feder.
Ihr Thema war die auf ihrer Insel hausende Zauberin Alcina, die vor allem durch Händels Oper bekannt wurde – nur war er hundertzehn Jahre später (1735) an der Reihe. Und wenn er mit der Form von Rezitativ und Arie, Rezitativ und Arie dem barocken Schema folgte, so wirkt das Werk von Francesca Caccini beinahe „moderner“ – bei der Wiener Erstaufführung in der Kammeroper, womit die Ära von Intendant Stefan Herheim im Theater an der Wien (von ihm als MusikTheater an der Wien umbenannt) eröffnet wurde, präsentierte sich eine durchkomponierte Partitur von hohem melodischen Reiz und starker Stimmungsmalerei in jeder Hinsicht. Wobei der temperamentvoll-festliche Charakter (es war ein Auftragswerk der österreich-gebürtigen Fürstin zum Besuch eines polnischen Prinzen) überwiegt und nicht nur in den prächtigen Ballettszenen überzeugt, sondern auch mit martialischer „Kriegs“-Musik. Etwas weniger stark gelingt das tragisch-wehmütige Ende, das allerdings von der Regie ganz wunderbar „umgedeutet“ wird. Der deutsche Dirigent Clemens Flick entfaltet am Pult des La Folia Barockorchesters den eigentümlichen Zauber und die Vielfalt dieser Musik.
Was die Geschichte der Oper betrifft, so wurde Alcina, die bekannte Zauberin, Ariosts „Orlando furioso“ entnommen. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal gibt sich der Ritter Ruggiero in den Armen der Zauberin Alcina dem schönen Leben, der Liebe und der Natur hin und vergisst auf seine Aufgabe als Ritter und Kämpfer. Die Fee Melissa ist ausgeschickt, ihn zu seiner blutigen Aufgabe zurückzuholen. In der Besetzung viel schmaler, aber auch konzentrierter als bei Händel, geht es um die Spannung zwischen diesen drei Figuren, wobei Alcina drei Begleiterinnen hat (Damigielle genannt), und ein paar männliche Nebenrollen (darunter ein Countertenor) den weiteren „Hintergrund“ der Geschichte füllen.
Fotos: Herwig Prammer
Liebe und Leidenschaft, Pflicht und Krieg, aber auch viel Naturlyrik hier, beschworene Monster dort – da könnte man schon eine hübsche Barock-Show daraus machen. Die italienische Regisseurin Ilaria Lanzino stellt das Werk mit Hilfe des Bühnenbildes (Martin Hickmann) und der Kostüme (Vanessa Rust) in eine abstrakte Welt, die auf den ersten Blick einfach wie Gestänge wirkt, bei näherer Betrachtung aber doch genügend Kriegsmaterial im Hintergrund und auf den Seiten offenbart. In Alcinas Welt gibt es ein paar bunte Kostüme, aber die meiste Zeit herrschen – statt Uniformen – Hosen und weiße Leibchen vor, das reicht für den Kontrast, der beschworen werden soll. Viel im Original Vorgegebenes kann so selbstverständlich nicht realisiert werden, aber die Darsteller machen in stilisierter Bewegungsregie immer das Wesentliche der Handlung klar. Nur das Ende ist nicht tragisch, wie vorgesehen, sondern hebt sich zu einer „Lamento“-Musik zu einem friedlichen Händereichen der Protagonisten und solcherart zu einem Happyend.
Die Französin Sara Gouzy ist als Alcina reizvoll und geheimnisvoll, die Stimme klingt nicht ganz so verführerisch. Luciana Mancini gebürtige Schwedin mit chilenischen Wurzeln, hat einen eindrucksvollen, sofort charakterisierenden ersten Auftritt mit Goldhelm und blutigen Händen – der Goldhelm kommt weg, die blutigen Hände der Kriegstreiberin bleiben, und ihr starker Mezzo wird so aggressiv eingesetzt, wie es die Rolle verlangt.
Der Held ist ausnahmsweise kein Tenor, der kroatische Bassbariton Krešimir Stražanac steht ein wenig steif auf der Bühne, versöhnt aber mit schön strömenden Klängen.
Die drei Damigielle und wahlweise Sirenen (Jerilyn Chou, Milana Prodanovic, Bernarda Klinar) schrillen bisweilen ins Ohr, sind aber lebhaft unterwegs, desgleichen eine disziplinierte Herrenriege. Dazu kommen Studierende aus Graz und Wien. Sie alle fügen sich zu einem überzeugenden Ganzen.
Es war ein schöner, geglückter Auftakt der Ära Herheim für das MusikTheater an der Wien und die angeschlossene Kammeroper. Das Publikum klatschte heftig.
Renate Wagner
P,S. In dem an sich vorzüglichen Programmheft vermißt man die Kurzinfos über die beteiligten Künstler, wie es in der Ära Geyer üblich war. Schließlich handelt es sich bei vielen von ihnen um Interpreten, die man noch nicht kennt und von denen man gerne etwas wüsste, ohne in die Website des Hauses gehen zu müssen.