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WIEN / Kammeroper: FAUST

02.10.2019 | KRITIKEN, Oper


Alle Fotos: Theater an der Wien / Herwig Prammer

WIEN / Kammeroper des Theaters an der Wien:
FAUST von Charles Gounod
Orchesterfassung von Leonard Eröd
Premiere: 1. Oktober 2019

Erster Einwand, der einem – bei aller Berechtigung – selbst schon langweilig wird. Warum verkennt die Kammeroper als „kleines Haus“ des Theaters an der Wien, wo man jungen Sängern die Möglichkeit gibt, sich zu erproben, so permanent seine Aufgabe? Warum holt man sich nicht aus dem unendlichen Reservoire dieser Kunstform die Raritäten, die Besonderheiten, die Moderne? Nein, man spielt „Grand Opéra“, zuletzt Verdis „Don Carlos“ (da musste man logischerweise auf das Autodafé verzichten, worauf die ganze Sache ohnedies dramaturgisch zusammenkrachte), jetzt Gounods „Faust“? In einer Orchesterfassung von Leonard Eröd zwar, die sich nicht so unterschiedlich vom Original anhört. Und die ganze Oper, samt Walpurgisnacht (die auch große Häuser manchmal weglassen), über dreieinviertel Stunden lang und sehr, sehr mühsam? Warum? Die Frage hat uns noch keiner beantwortet.

Zweiter Einwand: Schon wieder Nikolaus Habjan und seine so abstoßend hässlichen Klappmaulpuppen, die er so manchem Werk des Theaters und der Oper gewaltsam aufoktroyiert, ohne dass es noch jemals einen erkennbaren Sinn gemacht hätte? Dennoch begegnet man ihm immer wieder – da hat er zwischen Badora und Kusej, Bachler und Geyer offenbar starke Netzwerke gesponnen, die dafür sorgen, dass man sich periodisch mit dieser Habjan’schen Welt konfrontiert sieht, ob man will oder nicht.

„Faust“ von Gounod nach Goethe. Das „Puppenspiel vom Doctor Faust“ war zu seiner Zeit berühmt und Anregung für Goethe, aber dieses Spezialwissen, das meist nur Theaterwissenschaftler und Germanisten mit sich tragen, rechtfertig in keinem Fall, dass man die Oper nun mit Habjans Puppen auf die Bühne bringt – ganz abgesehen davon, dass es eine Zumutung für die Sänger ist, sich neben ihrer normalen Gesangsarbeit noch damit abzuplagen, dass die hässlichen Dinger ihr Maul auf- und zuklappen…

Die Puppen sind übrigens unterschiedlich: Mephisto ist lebensgroß (der Sänger braucht stets einen Helfer bei sich, die anderen haben ihn gelegentlich), Faust, Marguerite, Valentin, Siebel und Wagner sind halbgroß, nur Marthe hat – weiß der Himmel oder Habjan, warum – bloß einen Kopf, mit dem sie vor sich herwackelt: Das sieht so scheußlich aus, als wäre er gerade von der Guillotine gefallen…

Was geschieht nun damit? Auf einer Bühne von Jakob Brossmann und Denise Heschl (die auch die Kostüme besorgte) sieht man eine Art mittelalterlichen Rahmens mit Rundbogen, darin ließe sich ein „normaler“, anspruchsloser „Faust“ spielten, wenn man denn Platz dafür hätte. Aber die Sänger und Choristen (reduziert auf acht Herrschaften, aber doch eine Schar) müssen ohnedies immer aus dem Bühnenbild, teils in den Zuschauerraum, es gibt allerlei Gewimmel in der Kammeroper.

Gibt es auch eine Inszenierung, wenn die Sänger ihre Puppen herumschieben, – tragen, -werfen, -schlendern? Nikolaus Habjan spricht im Programmheft vom „inhaltlichen Mehrwert“ der Puppen, aber der stellt sich ganz selten ein. Wenn sie sich manchmal von ihren Protagonisten trennen – wenn die Gretchen-Puppe im Dom von den Menschen fast zerrissen wird; oder wenn Mephisto seine zynische Arie dem klappenden Maul von Faust in den Mund legt… das sind immerhin Ideen. In ganz wenigen Szenen dürfen sich die Menschen als solche bewegen, Marguerite bei ihrer Arie oder im Liebesduett mit Faust oder wenn der sterbende Valentin die Schwester würgt… und auf einmal ahnt man, wie die Geschichte, schlicht menschlich, aussehen würde. Besser jedenfalls als so.

Immerhin, geben wir zu, dass Habjan ein schöner Schluß gelungen ist: Wenn Marguerite ihren Tod quasi verkündet, indem sie die Puppe wegwirft, dreht sie sich um und steht vor ihrem toten Bruder Valentin (in Menschengestalt). Und wenn sie sich dann zum Publikum wendet und sich hinter ihr der goldene Eiserne Vorhang senkt – ja, schöner kann man Erlösung nicht andeuten. Und es ist, amen, ein Mensch, der da steht.

Sonst sind da die Puppen, und angesichts ihrer Einförmigkeit und der Langeweile, die sie verbreiten, überkommt einen immer wieder das Bedürfnis, die Augen zu schließen (ich habe einige Herren in meiner Umgebung schlafen gesehen), aber wenn man sich nur auf die Musik konzentrieren wollte, dann täten daheim ein paar hochwertig besetzte CD-Aufnahmen einen weit besseren Dienst…

Hier ist der musikalische Teil gewissermaßen mit der allergröbsten Masche gestrickt, nicht nur, dass Dirigent Giancarlo Rizzi das Wiener KammerOrchester zu höchster und meist undifferenzierter Lautstärke anfeuert, die Sänger brüllen auch, was das Zeug hält, als wären sie mindesten im echten Theater an der Wien und nicht in diesem intimen Raum. Dass Quentin Desgeorges eine gewaltige Tenorstimme hat (auch wenn sie manchmal ausbleibt), ist schon im Vorjahr bei seinem (partiellen) Hoffmann (im „Olympia“-Akt an diesem Haus) aufgefallen. Dass der Baß von Dumitru Mădăraşăn beeindruckend dröhnt, weil er die gewisse „Schwärze“ hat, die eher selten ist, weiß man auch. Die Amerikanerin Jenna Siladie ist die Marguerite – drei große Stimmen, technisch noch ausbaufähig, hier zu ziemlich einheitlichem Forte angehalten. Das akustische Vergnügen hält sich solcherart in Grenzen. Kristján Jóhannesson (Valentin) schließt sich dem vokalen Donnergewitter an, Ghazal Kazemi (Siebel), Juliette Mars (Marthe Schwertlein), Benjamin Chamandy (Wagner) versuchen es gleichfalls.

Dass „laut“ immer wirkt, stellt sich allerdings heraus. Der Beifallssturm am Ende war so jubelnd, dass man sich als Kritiker mit seinen Einwänden und seiner schlechten Laune angesichts des Gebotenen nur davonschleichen konnte.

Renate Wagner

 

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