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WIEN / Kammeroper: DON CARLOS

29.11.2018 | KRITIKEN, Oper


Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Kammeroper des Theaters an der Wien:
DON CARLOS von Giuseppe Verdi
Französische Fassung /
In einer neuen Orchesterbearbeitung
Premiere: 28. November 2018

Wann werden Regisseure endlich begreifen, dass sie nicht große Werke eindampfen, in ein Zimmer stellen können – und das zu einer gültigen Interpretation erklären? Leider zählt die „Verkleinerung“ von Klassikern der Opernliteratur zum festen Bestandteil der Kammeroper des Theaters an der Wien, ungeachtet der Tatsache, dass solche Unternehmungen noch nie gut ausgegangen sind – auch diesmal nicht. Schon gar nicht mit Verdis „Don Carlos“.

Sébastien Dutrieux zeichnet für das Meiste verantwortlich – als Regisseur für das Konzept, als Bühnenbildner für die unsägliche Zimmerdekoration und noch als sein eigener Lichtdesigner für das fast permanente Halbdunkel, das den immer noch fast dreieinviertel Stunden langen Abend noch ermüdender macht. Chor hat er keinen, muss also viel von den werkimmanenten „großen“ Szenen streichen. Er kann die Gräfin von Aremberg nicht nach Frankreich zurück schicken, weil sie nie auf der Bühne war, das Autodafé findet nicht statt, also auch nicht Carlos’ Herausforderung seines Vaters – dafür taucht er dann unvorhergesehen in Philipps Zimmer auf, offenbar mit einem Dolch, verschwindet wieder, Posa kann dem König den Dolch präsentieren, dann ist halbwegs „logisch“ (was ist an dieser Inszenierung logisch?), dass Carlos dann im Gefängnis ist.

Von wegen Gefängnis – das eine Zimmer mit den paar mit rotem Samt bezogenen Möbeln ist alles, ist Fontainebleau und Madrid und Yuste, ist königlicher Garten, Philipps Zimmer, Gefängnis. Nach dem Motto, dass man es nicht so genau nehmen muss, eine Familie – und die „Familiengeschichte“ postuliert der Regisseur – trifft sich offenbar in immer demselben Zimmer. Dass von Verdis „Don Carlos“, der Grand Opéra mit den politischen Implikationen, nichts übrig bleibt – geschenkt. Wer verlangt heutzutage schon noch das Werk? Hier bekommt man es jedenfalls nicht.

Gespielt wird die französische Fassung, die zwar die ursprüngliche war, aber so evident die schwächere ist, auch weil sich das Französische (das man an diesem Abend überhaupt nicht versteht) so viel schlechter singen lässt als das Italienische – und weil jede Änderung, die Verdi für seine italienische Neufassung vornahm, das Original weit übertrifft. Neben den Strichen entdeckt man als „neu“ nur ein Duett zwischen Carlos und Philipp an Posas Leiche (denn der Volksaufstand im Gefängnis kann natürlich auch nicht stattfinden). Die musikalische Einrichtung für Kammerorchester ist für die Kammeroper immer noch üppig genug, zumal Verdi ja ohnedies kaum zur Diskussion steht.

Von einer Inszenierung kann nicht die Rede sein, die Darsteller stehen in dem meist düsteren Raum herum und singen – so gut wie alle viel zu laut und ohne ihre Stimmen auf die Linie zu bändigen, die auch die französische Fassung fordert.


Dumitru Madarašan / Jenna Siladie

Zwei Ausnahmen: Dumitru Madarašan verfügt für den Philipp über einen wirklich schönen, schwarzen, diszipliniert geführten Baß. Die Stimme von Ivan Zinoviev, dem Großinquisitor, ist rauer – aber wenn sich zwei mächtige Bässe gekonnt anbrüllen, entsteht wenigstens einmal etwas von der Dramatik, der den „Don Carlo“ von Anfang bis zum Ende durchglühen müsste. (Da man, was nicht sein müsste, den Großinquisitor – er ist auch früher ins Gefängnis geschlichen und hat Posa persönlich erschossen – mit Philipp am Ende nach Yuste schickt, muss der Sänger des Inquisitors den „Carlo Quinto“, pardon Charles V., vom Band orgeln…)


Kristján Jóhannesson, Andrew Owens

Andrew Owens, nicht mehr Mitglied des Jungen Ensembles des Theaters an der Wien, aber für diese Rolle zurückgekehrt, legte gewaltig los, worauf ihm die Stimme im ersten Teil brach, er sich in der Pause entschuldigen ließ und dann mit etwas weniger Druck weiter sang, was der Rolle bekam. Die anderen legten mit voller Gewalt los, schnitten in die Ohren und bekamen ihre Partien technisch nicht wirklich in den Griff – die elegant-elegische Elisabeth der Jenna Siladie, die übertremolierende Tatiana Kuryatnikova als Eboli, der kraftvolle Kristján Jóhannesson als Marquis Posa. Der Page Thibault (Ilona Revolskaya anfangs mit gelber Strickmütze, weil wir ja kostümlich so alltäglich sind – Constanza Meza-Lopehandia) muss von Zeit zu Zeit (etwa für das Schleierlied der Eboli) den ganzen Chor singen… und helfen, Posas Leiche wegzuräumen: Wenn jemand statt im Gefängnis im Wohnzimmer stirbt, dann kann er schließlich nicht aufstehen und gehen. Und wenn er so groß und mächtig ist wie der junge isländische Sänger, klappt es mit dem Hinausschleppen auch nicht, da kann man ihn bestenfalls an den Rand schieben…

Weil an dem Abend nichts stimmt, klingt auch das Wiener KammerOrchester unter Matteo Pais alles andere als Verdi-gerecht. Aber, wie schon festgestellt, Verdi suchte man vergebens. Und, wie ebenfalls immer schon festgestellt, der Schlußapplaus war stark. Lässt sich das Publikum alles gefallen – oder kapiert es gar nicht, was da auf der Bühne vorgeht?

Renate Wagner

 

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