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WIEN/ Kammeroper des MusikTheaters an der Wien: Gisle Kverndokk (3. Februar 1967*) BRIEFE VON RUTH Premiere:

Kammeroper des MusikTheaters an der Wien: Gisle Kverndokk (3. Februar 1967*) BRIEFE VON RUTH Premiere: 24. Februar 2025 

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Fotocredits: Herwig Prammer

Den meisten Besuchern ist diese Ruth Maier, die am 10. November 1920 in Wien geboren wurde, wohl kein Begriff. Dennoch kann sie als ältere Schwester von Anne Frank (1929-45) angesehen werden. Ihr gelang die Flucht vor dem Naziregime Ende 1938 nach Norwegen, wo sie Tagebücher und Briefe verfasste, um Zeugnis dafür zu geben, dass sie gelebt hatte.  Ihren literarischen Nachlass übergab sie ihrer Freundin, der norwegischen Dichterin Gunvor Hofmo (1921-95) Von Nazi Schergen verhaftet, wird sie 1942 nach Auschwitz deportiert, wo sie kurz nach ihrem 22. Geburtstag stirbt… In Wien, so erfahren wir, hatte sie noch für Theater und da vor allem für den damaligen Burgtheaterstar Hermann Thimig geschwärmt und Literatur. Später in Norwegen, entdeckte sie ihre Liebe zur Malerei und porträtierte Gunvor. Und sie durfte auch dem berühmten Bildhauer Gustav Vigeland (1869 -1943) für seine Statue „Überrascht“ Modell stehen. Da Ruth schon immer homoerotische Gefühle hegte, die sie ihrer jüngeren Schwester Judith offenbarte, findet sie in der Norwegerin Gunvor Hofmo eine liebende Gefährtin, die ihr psychischen Halt gibt. Der ernste Stoff wird   in der Inszenierung von Philipp Moschitz durch Pointen aufgelockert, etwa wenn das von Ruth gemalte Bild von Gunvor am Ende als Edvard Munchs „Madonna“ gezeigt wird. Die Unterbringung Ruths in einer psychiatrischen Anstalt mit Zwangsjacke wegen ihrer Zwangsvorstellungen kommt als Topos bereits bei Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenuntergang“ und bei Strawinskys „The Rake’s Progress“ vor. Und die poetische Klammer schließt sich bei ihrer Abführung damit, dass sie doch am nächsten Tag noch ins Theater gehen wolle, um Ibsens „Wildente“ zu sehen…

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Fotocredits: Herwig Prammer

Aus den Tagebüchern und Briefen, die sich im Nachlass von Gunvor Hofmo fanden, hat der norwegische Theaterregisseur Aksel-Otto Bull (22.2.1963*) das Libretto dieses Musicals zusammengestellt. Die Handlung besteht aus vielen kleinen Szenen, die sich kaleidoskopartig entfalten, wobei das düstere Szenarium nur einmal durch einen fröhlichen Landausflug unterbrochen wird, der sich choreografisch (Choreografie: Sven Niemeyer) über den gesamten Zuschauerraum verteilt. Die Musik von Gisle Kverndokk bedient das Genre Musical mit niveauvoller als leichter Sinfonik, gekennzeichneten Stil. Das Bühnenbild von Matthias Engelmann wird von einem auf den Kopf gestellten, zum Zuschauerraum hin seitlich und vorne geöffneten, schrägen Viehwagon, wie er für den Abtransport von Gefangenen in die Konzentrationslager der Nazitötungsmaschinerie verwendet wurde, beherrscht. Claudio Pohle kleidete die Protagonistinnen in historisierende, schlichte Kostüme, wohingegen der Chor überwiegend abstrakt gekleidet war. Sven Niemeyer konnte mit seiner Choreografie alle menschlichen Emotionen, Ängste und Leidenschaften ausdrucksstark vorführen, die durch die raffinierte Beleuchtung von Franz Tscheck noch verstärkt wurde. Herbert Pichler leitete das (Kammer-)Orchester der Vereinigten Bühnen Wien, bestehend aus 3 Violinen, Viola, Violoncello, Kontrabass, Flöte, Klarinette, Trompete, Klavier, Percussion und Drums mit Verve vom linken Bühnengraben aus. Ruth und Gunvor sind von Anfang an auf der Bühne präsent. Während Dorothea Maria Müller als Gunvor im ersten Teil als Erzählerin auftritt, wandelt sie sich im zweiten, norwegischen Teil zur Geliebten von Ruth. Emily Mrosek als Ruth ist eine überzeugende intensive Partnerin für Gunvor. Beide sind seelenverwandte Künstlerinnen, lechzend nach dem, was sie für das „Leben“ halten. Beide Damen sind darüber hinaus renommierte Musical-Stars. Julia Bergen als Ruths jüngere Schwester Judith, neben weiteren Rollen, kommt aus der Theaterakademie August Everding München. Als Mutter von Ruth und in weiteren Rollen wirkte noch die Holländerin Maaike Schuurmans bühnenbeherrschend mit. Der Rest des Ensembles wirbelte in derart vielen Rollen in rasantem Tempo über die Bühne, dass eine Unterscheidung schwerfällt. In positiver Erinnerung blieben allerdings Alen Hodzovic als Hermann Thimig, Herr Strøm und Gustav Vigeland, und Reinwald Kranner als aufdringlicher Prof. Williger, Ruths Lateinnachhilfelehrer, der ihr vergeblich Avancen machte. Besonders ergreifend ist das Schlusstableau, wenn alle Beteiligten das jüdische Friedensgebet in hebräischer Sprache anstimmen. Am Ende gab es starken Applaus für alle Beteiligten mit Standing Ovation.

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  Fotocredits: Herwig Prammer

Harald Lacina  

 

 

 

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