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WIEN / Kammeroper: DER PROZESS

Verwirrspiel total

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Fotos: © Herwig Prammer

WIEN / Kammeroper des MusikTheaters an der Wien:: 
DER PROZESS von Gottfried von Einem
Bearbeitung für kleines Orchester von Tobias Leppert
Österreichische Erstaufführung der bearbeiteten, reduzierten Fassung
Koproduktion des MusikTheaters an der Wien in der Kammeroper mit der Neuen Oper Wien
Premiere: 5. Dezember 2024 

Verwirrspiel total

Die jüngste Premiere an der Kammeroper war sicher auch als Beitrag zum Kafka-Jahr gedacht, dessen Werke zwar vielfach verfilmt, aber selten „veropert“ wurden. Gottfried von Einem (1918-1996) war, bevor er seiner späteren Gattin Lotte Ingrisch begegnete, die ihn auf neue Wege (oder Abwege) führte, ein strikter Verfechter der Literatur-Oper und schuf „Der Prozess“ als sein zweites Opernwerk (nach „Dantons Tod“). Wobei die Schwierigkeiten des gewissermaßen zwischen Traum und Realität, Ängsten und echten Schrecken changierenden Werks auf der Hand liegen. Wirklich oft wurde die Oper nach ihrer Uraufführung bei den Salzburger Festspielen 1953 hierzulande nicht gespielt, an der Staatsoper zuletzt 1970.

Was man in der Kammeroper des MusikTheaters an der Wien sieht, ist an sich eine Produktion der Neuen Oper Wien, die – wie immer – den Dirigenten beisteuerte, während das Musiktheater an der Wien mit dem Regisseur so hoch griff wie nur möglich: Direktor Stefan Herheim selbst ging ans komplizierte Werk, und es wurde – wie er vor der Premiere vor dem Vorhang kurz darlegte – noch schwieriger durch eine Phalanx von Erkrankungen (die auch ihn mit 40 Grad Fieber aufs Krankenbett warf). Das Ergebnis ist stupend, technisch-logistisch hoch kompliziert und faszinierend, wenn auch überhaupt nicht das, was man gemeiniglich von „Kafka“ erwartet.

Denn Stefan Herheim lieferte keine düstere Kafka-Show rund um Josef K., der eines Morgens in seinem Schlafzimmer zwei Männer vorfindet, die ihm seine Verhaftung und seinen Prozess ankündigen, ohne ihm zu sagen, worum es eigentlich geht. Der Regisseur setzt nicht auf die dunkle Bedrohung durch unbekannte Mächte, sondern weit eher auf die grausige Groteske, die in dem zunehmend absurden Geschehen wohnt. Man versteht absolut nicht immer, was auf der Bühne vorgeht, aber jedenfalls fällt der Inszenierung dauernd etwas ein, um den Zuseher zu verwirren.

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Vor allem das Auflösen der Identitäten spielt eine große Rolle – man lernt Josef K. mit weißem Struppelhaar kennen, und immer wieder setzen die anderen Protagonisten die gleichen Perücken auf. Wer ist wer, ist kaum je zu erkennen – und den Höhepunkt erreicht dieses Vexierspiel im zweiten Teil, in der Szene des Onkels. Der Mann, der da quasi in Josef K.-Maske agiert, ist nämlich der Anwalt, der aufgesucht wird, und Josef K. selbst hat sich mit weißer Kurzhaarfrisur so verwandelt, dass man eine zeitlang braucht, ihn zu erkennen… Rund um ihn „tollen“ die anderen, man kann es kaum anders nennen, aber jedenfalls immer hoch musikalisch an Einems Musik angepasst (manchmal sogar mit rhythmischen Show-Effekten). Um das rationale Verstehen geht es hier nicht, man wird in einen absurden Strudel der Verwirrung hinab gezogen.

Josef K. ist bei Kafka 30 Jahre alt, man stellt ihn sich eigentlich immer so vor, wie Anthony Perkins ihn ideal 1962 in dem Film von Orson Welles verkörpert hat. Der alte, weißhaarig-weißbärtige Mann im Nachthemd wirkt auf Anhieb befremdlich (und bleibt es auch mit weniger opulenter Haarpracht gegen Ende), der damit angepeilte Gottfried-von-Einem-Look ist eher eine Pointe als sinnstiftend, aber der Brite Robert Murray ist mit kraftvollem Tenor ein äußerst starker Interpret der komischer Ratlosigkeit, die ihn hier hauptsächlich umtreibt.

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Die vielen, vielen Frauenfiguren von Kafkas Roman sind hier zu einer Dame zusammen geschmolzen, und Anne-Fleur Werner ist fast mehr für ihr Aussehen engagiert als für ihren potenten, wenn auch gelegentlich etwas scharfen Sopran. Als wahre Schönheit ist sie mit ihrem beneidenswerten Körperqualitäten für die vielen Sex- und Beischlafszenen der Inszenierung verantwortlich.

Im übrigen agieren zahlreiche junge Herren –  Alexander Grassauer, Timothy Connor, Valentino Blasina, Fabian Tobias Huster, Lukas Karzel, Philipp Schillhorn, Leo Mignonneau -, und da sind ein paar bemerkenswerte Stimmen und Talente zu entdecken.

Man spielt an diesem Abend – es ist schließlich ein kleines Haus (umso bewundernswerter die Versatilität der Inszenierung) – eine Bearbeitung für kleines Orchester von Tobias Leppert, die in der Corona-Zeit entstanden ist und eine in der Orchesterbesetzung und dem aufgebotenen Personal an sich „große“ Oper verschlankt. Das Orchester wurde auch noch in den Hintergrund der Bühne verbannt (manchmal dürfen die Musiker mitspielen, und auch der Dirigent wird belästigt), und dort kann Walter Kobéra am Pult des Klangforums Wien effektvoll realisieren, was Gottfried von Einem in den fünfziger Jahren in einem eklektizistischen Rundumschlag durch die Musikliteratur hier eingebracht hat, wobei der Abend (der nur zweieinviertel Stunden kurz ist) nach und nach an musikalischer Intensität gewinnt.

Am Ende jubelte das Publikum den trefflichen Interpreten zu, aber ebenso dem Regisseur, der hier Phantasie, handwerkliches Können und auch Schalk spielen ließ, um Kafka gar nicht wirklich wie Kafka aussehen zu lassen.

Renate Wagner

 

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