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WIEN / Kammeroper: DER GOLDENE DRACHE

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WIEN / Kammeroper des Theaters an der Wien: 
DER GOLDENE DRACHE von Peter Eötvös
Premiere:  14. Februar 2023 

Wer 2009 aus der Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs Stück „Der goldene Drache“ aus dem Akademietheater wankte, war nachdrücklich verwirrt über das Chaos der 45 Szenen, die da über die Bühne gewürfelt worden waren. Doch als Komponist Peter Eötvös das Stück in seiner Heimatstadt Budapest sah, überzeugte es ihn, ein Libretto für eine Oper gefunden zu haben (die dann 2014 in Frankfurt uraufgeführt wurde).

Glücklicherweise hat er als sein eigener Textbearbeiter dafür gesorgt, dass die ausufernden Handlungselemente schmaler und das Werk übersichtlicher wurde. Immerhin blieben noch 17 verschiedene Rollen. Wie auf dem Theater sind sie in bunter Folge auf fünf Interpreten, zwei Frauen und drei Männer, verteilt.

Mehrere Handlungsebenen laufen nebeneinander, die vom „Goldenen Drachen“, dem Inbegriff eines Asien-Restaurants in Europa, ist die wichtigste. Hier arbeiten fünf illegale Underdogs unter den schlimmsten Bedingungen – das Elend von Migranten, die als Illegale die Ausgebeuteten schlechthin sind. Von Anfang an schreit das jüngste Mitglied der Crew, der „Neue“, ein chinesischer Junge, vor Schmerzen. Zahnweh. Aber es gibt kein Geld für den Zahnarzt. In einer brutalen Szene greifen die Kollegen selbst zur Zange. Der Junge verblutet, stirbt, wird in den Fluß geworfen. In einer ergreifenden Arie an Ende singt er (vielmehr die Sängerin) von seiner langen Reise heim nach China, auch wenn er nur als mit Algen verkrustetes Skelett ankommt…

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Foto: (c)_Herwig_Prammer

Der gezogene Zahn ist das „fatale Requisit“ des Werks, Symbol des allgegenwärtigen Schmerzes, bis es am Ende von einer Stewardess auch in den Fluß geworfen wird. Zwei Stewardessen, die im chinesischen Lokal essen (und den Zahn in der Suppe finden) sind eine der Nebenhandlungen.

Die wichtigste ist die symbolisch überhöhte von „Ameise und Grille“, die uns als politisches Gleichnis vor Augen gestellt wird. Die fett gefressene Ameise ist nicht bereit, etwas von ihrem Besitz mit der verhungernden Grille zu teilen, mit der Begründung, dass diese selbst nichts zum Besitz beigetragen hat… Der Ausbeutung der Hilflosen gelten weitere Szenen der eineinhalbstündigen Oper, die im Gegensatz zum Stück, das manchmal grotesk-komisch ist, im Grunde nur die düsteren Seiten der Geschichten bedient.

Dass Eötvös es mit seiner Musik dem Hörer nicht leicht macht, weiß der Opernfreund spätestens seit den „Drei Schwestern“, die man in der Ära Meyer an der Staatsoper gesehen hat (und mehrfach hören musste, um dem Komponisten näher zu kommen). Hier macht es der Komponist dem Publikum etwas leichter, mit einer komplexen Mischung aus Geräuschen, raffinierten Exkursen einzelner Instrumente, Sprechgesang, der manchmal durchaus harmonisch klingen kann, aber auch schmerzlichen stimmlichen Exzessen der Stimmen. Das, was man klassischerweise als „Musik“ versteht, das Dahinfließen von Klängen, ist es nicht, aber als Kommentar zum tragischen Geschehen passend und doppelt unter die Haut gehend.

Regisseur Jan Eßinger hat den Raum der Kammeroper erweitert. Während auf der Bühne mit dem Rücken zum Publikum ein paar Choristen vor einem Vorhang sitzen, spielt sich die Handlung nicht nur auf der  Vorderbühne, sondern immer wieder auch im Zuschauerraum  ab, worauf sich diverse Szenenwechsel von selbst ergeben (Bühnenlösung: Sonja Füsti). Die Akteure sind nur rudimentär mit Kostümwechseln beschäftigt (Kostüme: Benita Roth), immer wieder wird auch nicht klar, was los ist und wo man gerade ist, aber im Großen und Ganzen wahrt die Regie den Überblick und lässt der Tragödie ihren Lauf, ohne sie mit dem Zeigefinger zu forcieren.

Die Protagonisten sind dies und das, aber jeder hat eine „zentrale“ Figur – Camilla Saba Davies ist der leidende Chinesenjunge, Christa Ratzenböck die gierig skrupellose Ameise,  Felix Heuser als Grille ihr bedauernswertes Opfer. Jürgen Lazar und Peter Schöne agieren u.a. als die Stewardesse, und alle finden sich auf der Höhe ihrer wahrlich nicht einfachen Aufgaben.

Walter Kobéra hat schon oft bewiesen, dass er sich vor nichts fürchtet und jede Art von „Musik“ in dem Griff bekommt, hier gelingt ihm mit dem Klangforum Wien die Umsetzung dieser schmerzlich-absurden Tragödie, die nicht jedermanns Sache sein wird.

Am Ende kam auch Peter Eötvös auf die Bühne und bedankte sich bei jedem einzelnen Beteiligten, bevor er selbst den Beifall entgegen nahm. Immerhin überzeugt seine Oper mehr als die Theatervorlage.

Renate Wagner

 

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