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WIEN / Kammeroper: BRIEFE VON RUTH

Ein gestohlenes Leben

25.02.2025 | KRITIKEN, Operette/Musical

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Fotos: Copyright © Herwig Prammer

WIEN / Kammeroper des MusikTheaters an der Wien:: 
BRIEFE VON RUTH von Gisle Kverndokk
Premiere: 24. Februar 2025 

Ein gestohlenes Leben

Es gab sie wirklich, diese Ruth Maier, geboren 1920 in Wien, gestorben kurz nach ihrem 22. Geburtstag 1942 in Auschwitz. Sie hat gelebt, und sie wollte, wie sie in ihrem Tagebuch festhielt,  ein Werk hinterlassen, als Beweis dafür, dass sie da war. Das Leben hat ihr nicht viel Zeit gegeben, aber mit ihren Tagebüchern und Briefen, die posthum veröffentlicht wurden, hat sie Zeugnis gegeben. Eine von sechs Millionen Jüdinnen und Juden, die im Zuge des Holocaust von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Man hat sie als Schwester im Geist von Anne Frank (1929-1945) bezeichnet. Mir dass dieser ein noch kürzeres Leben vergönnt war. In beiden Fällen entfaltet sich für die Nachwelt ein junges Geschöpf, das voll Hoffnung und Ambition in die Zukunft blickte und um diese  bestohlen wurde.

Das Musical „Briefe von Ruth“, das 2023 in Gmunden uraufgeführt worden ist und nun an der Kammeroper des MusikTheaters an der Wien gezeigt wird, stammt nicht von ungefähr von einem norwegischen Komponisten. Denn Ruth, die in Wien so unbeschwert aufwuchs, bis 1938 die Nationalsozialisten kamen, den Kopf voll Theater (für Hermann Thimig, damals Burgtheaterstar, schwärmte sie besonders) und Literatur, später mit der Ambition, Malerin zu werden, konnte nach dem Anschluß nach Norwegen fliehen.

Es war für sie keine leichte Zeit, gequält auch von psychischen Zwangsvorstellungen, aber sie fand ihre (lesbische) Gefährtin in Gestalt der Norwegerin Gunvor Hofmo, sie durfte sogar dem berühmten Bildhauer Gustav Vigeland Modell stehen (und, als Pointe, als sie ihre Freundin malt, kommt Munchs „Madonna“ dabei heraus…)

Wie man weiß, sind die Nazis bis Norwegen gekommen, haben dort ihren Vernichtungsfeldzug gegen Juden fortgesetzt und auch Ruth Maier nach Auschwitz geschickt. Bevor sie am Ende abgeführt wird, meint sie noch, sie wolle doch morgen ins Theater gehen und Ibsens „Wildente“ sehen. Und ja – sie habe doch ein Werk hinterlassen wollen, ist das Resümee..

Das Werk sind die Tagebücher und Briefe, die sich im Nachlass von Gunvor Hofmo fanden und auf denen das Musical des norwegischen Komponisten Gisle Kverndokk beruht, der schon viele Werke nach anspruchsvollen literarischen Vorlagen geschrieben hat.

Es ist von Melodik und Struktur her ein „echtes“ Musical, wenn auch gewissermaßen „Unterhaltungswert“ nur aus einer temperamentvollen Szene zu beziehen ist, wo ein fröhlicher norwegischer Ausflug geschildert wird, den der Regisseur des Kammeropern-Abend mit Hilfe der Choreographen über den ganzen Zuschauerraum verteilt und eine echte Show daraus macht.

Der Rest des Werks ist auch dort, wo Ruth versucht, etwas wie Lebensfreude zu versprühen, eher düster. Die Handlung besteht aus vielen kurzen Szenen, viele Personen huschen vorüber (und verwandeln sich gleich wieder in eine Art „Gespensterchor“, der an dem Abend höchst präsent ist). Dazu gibt es Musik, die dem Zuschauer den Abend leichter macht, als wenn der Komponist (was dem Thema eher entsprechen würde) eine Oper in heutiger Musiksprache daraus gemacht hätte. Dennoch – allzu populär gibt es Gisle Kverndokk auch nicht, und so läuft der musikalische Teil des Abends sicher niveauvoll, aber nicht allzu einprägsam ab.

Glücklich ausgefallen ist die Inszenierung des Regiedebutanten für Wien, Philipp Moschitz, in einer gefängnisartigen, aber gut verwendbaren „schrägen“ Raumlösung von Matthias Engelmann (passende Kostüme anno dazumal oder abstrakt: Claudio Pohle), dazu eine Choreographie (Sven Niemeyer), die oft beklemmende Effekte erzielt. Dass die Geschichte in jeder Hinsicht düster bleibt, ist gewissermaßen werk-immanent. Herbert Pichler hat für dieses „Kammermusical“ das Orchester der Vereinigten Bühnen Wien durchaus nuancenreich geleitet.

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Es gibt nur zwei durchgehende Rollen, Ruth und Gunvor, die von Beginn an seitlich auf der Bühne präsent ist und in Kleidung, Frisur und Habitus anfangs wie ein Alter Ego von Ruth wirkt, bis sie im zweiten, norwegischen Teil dann ihre Rolle als Geliebte einnimmt. Dorothea Maria Müller ist in Erscheinung und Intensität die perfekte Partnerin für  Emily Mrosek, die geradezu ideal als die junge Frau auf der Bühne steht, die sich so sehr nach dem Leben sehnt und es nicht bekommt. Dabei hat man sorglich darauf geachtet, dass beide Damen (sie sind übrigens versierte Musical-Stars) hier weder in Klischees noch dick aufgetragene Sentimentalitäten abgleichen. Der Rest des Ensembles rauscht in jeweils so vielen Rollen so schnell über die Bühne, dass man nur zum Pauschallob greifen kann.

Am Ende gab es starke Ergriffenheit und starken Applaus.

Renate Wagner

 

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