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WIEN / Kammeroper: ARIADNE AUF NAXOS / ARIANNA IN NASSO

29.09.2017 | KRITIKEN, Oper

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Foto: Herwig Prammer

WIEN / Kammeroper:
ARIADNE AUF NAXOS / ARIANNA IN NASSO
29.
September 2017
Premiere: 27. September 2917, besucht wurde die zweite Vorstellung

Wenn man liest, dass die Kammeroper „Ariadne auf Naxos“ spielt, könnten Missverständnisse aufkommen. Denn diese uns bekannte Ariadne wäre die von Hofmannsthal und Strauss, kurz gesagt, die Dame, die erst um Theseus trauert und sich dann mit Bacchus tröstet, und dazwischen wirbelt Zerbinetta herum.

Nichts davon bei der „Arianna in Nasso“, die man zu sehen bekommt und die eine besondere Begegnung ist. Denn – Verzeihung, wenn das brutal klingt – man hört Händel und Händel und Händel, und wann hört man schon Nicola Antonio Porpora, den großen neapolitanischen Meister des Gesangs, Händels Londoner Konkurrenten und – Verzeihung, wenn das brutal klingt – als Komponist genau so großartig wie er. Zumindest in der „Arianna“ von 1733.

Es ist die Vorgeschichte zu „unserer“ Hofmannsthal/Strauss-Ariadne: Hier hat sie Theseus geholfen, den Minotaurus zu besiegen, die beiden haben sich verliebt und sind in Naxos gelandet – aber es kann der Beste nicht in Frieden leben… wenn eine Ehefrau auftaucht: Die Amazonenkönigin Antiope ist nun einmal mit Teseo verheiratet, und um die Dreiecksgeschichte aufzuputzen, spielen noch Onaro, ein Hohepriester, und Piritoo, ein schwer definierbarer Rivale / Bewunderer von Teseo, mit (man braucht schließlich eine tiefe Stimme!).

Nichts an der Musik (es ist ein Dramma per musica) verrät, dass es sich um eine Komödie handeln könnte – auf der Bühne der Kammeroper findet in der Inszenierung von Sergej Morozov jedoch genau das statt. Man könnte es „Der ungetreuer Teseo“ oder sogar „Teseo, der Spitzbub“ nennen, so sehr belügt und betrügt er jede dieser Damen in Lustspielmanier, legt sich sogar auf den Hohepriester, und nicht einmal ein Ficus-Bäumchen kann sich vor sexueller Belästigung sicher fühlen.

Kurz gesagt, die Inszenierung von Morozov ist „oversexed“, jede Gelegenheit für Beischlaf und Fummelei wird wahrgenommen, und das geht zwischen den Geschlechtern wild und wahllos her – wenn sich Teseo am Ende mit High Heels und langen Haaren weiblich gibt und Piritoo in einen hoppelnden Hasen verwandelt, wird es schon ziemlich sehr dumm, aber es ist die Art von Inszenierung, bei der es nicht darauf ankommt, da sie von Anfang an keine Regeln setzt.

Die jungen Leute, die in Turnschuhen und Jeans-Fetzenlook (Kostüme Lyosha Lobanov) auf die Bühne stürmen, sind so heutig, dass man sich regelrecht wundert, dass sie überhaupt singen (und gar so etwas! Barock!)… Was sie so aufführen, wenn sie nicht kopulieren (im Hintergrund des sonst eher leeren Bühnenbilds, ja, natürlich die Ficus-Bäumchen, ist eine Küche – Bühne: Ksenia Peretruhina) wird nicht recht klar, ist aber in Richtung Jokus gezielt. Der logische Zusammenhang, mit dem, was sie singen (und das ist diesmal prächtig mitzulesen, einmal Übertitel, die wirklich funktionieren), ergibt sich selten.

Warum ist man diesem Abend doch nicht böse? Weil die Musik so herrlich ist. Kurz gesagt: prächtigster Barock. Es ist doch ein Unterschied im Klang, ob ein Komponist ein Deutscher ist wie Händel oder ein Neapolitaner wie Porpora. Und das Bach Consort Wien bekommt von Markellos Chryssicos fabelhaften Schwung.

Man muss alle Sänger loben, den angenehmen Countertenor Ray Chenez (der nicht scharf klingt, sondern wie ein edler weiblicher Mezzo), den etwas rauen Baß Matteo Loi und alle drei Damen, wobei sich die Arianna von Anna Gillingham und die Antiope von Carolina Lippo nicht nur szenisch, sondern auch stimmlich ein Duell liefern und Anna Marshania als Onaro ihren Mezzo mit Ironie einsetzt. Aber sie sind eben das „junge Ensemble“, und wahrscheinlich müsste jeder von ihnen zehn Jahre älter sein und auf zehn Jahre intensiver Barockmusik-Erfahrung zurückblicken, um Porpora so atemberaubend virtuos zu singen, wie er es verdiente.

(Übrigens, laut Programm gibt es noch eine „digitale“ Ebene des Ganzen, man erfährt von Grenzen zwischen physischer und digitaler Identität, die sich auflösen, und von einem neuen Gender-Verständnis – und das alles kann man beruhigt vergessen. Es spielt wirklich keine Rolle. Solche intellektuelle Kopfgeburten lassen sich auf der Bühne nie umsetzen.)

Auch nach der zweiten Aufführung gab es heftigen Applaus. Als hätte das Publikum gedacht: Pfeif auf die Inszenierung, die Musik ist einfach zu herrlich.

Renate Wagner

 

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