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WIEN / Kabinett-Theater: GRIMASSEN

19.09.2020 | KRITIKEN, Theater

WIEN / Kabinett-Theater:
GRIMASSEN – der satiriker karl kraus
ein spiel mit texten von karl kraus (1874-1936)
und klängen von j.offenbach, j.m.hauer, h.eisler
Gastspiel 
19.
September 2020  

Peter Schweiger, gebürtiger Wiener, der hier in der Freien Theaterszene als Regisseur begonnen hat, ist früh in die Schweiz abgewandert, wo er noch heute lebt. Er hat von 1983 bis 1989 das Theater am Neumarkt in Zürich geleitet und war von 1993 bis 2004 Schauspieldirektor am Theater St. Gallen. Als Regisseur hat er sich vordringlich der Moderne und hier dem Musiktheater verschrieben. Mit seiner Ehefrau, der Pianistin Petra Ronner, gibt er Abende, in denen die Musik sich quasi kommentierend in den Text webt.

Peter Schweiger, berühmt für seine exquisite Sprechkultur, ist natürlich bei einem Sprachkünstler wie Karl Kraus am besten aufgehoben. Kein Wunder, dass die beiden Gastspielabende im Kabinett-Theater ausverkauft waren, so weit das eben bei Corona erlaubt und möglich ist. Eineinhalb Stunden lang paradierte der Journalist und Dichter, der über seine Mitwelt die Peitsche schwang, in erstaunlicher Bandbreite seiner Themen vor dem Publikum, immer wieder das Gewitter von Sprache und Gedanken entfesselnd, mit denen Kraus seine Mitwelt überfiel.

Dennoch: Schweiger begann seine Auswahl mit dem „privaten“ Karl Kraus und seiner großen Liebe, Sidonie Naderny, der er unglaubliche Liebesbriefe schrieb (wie er auch ein durchaus gefühlvoller Lyriker sein konnte). Kraus, der Unmenschlichkeit geißelte, zeigte sich von seiner menschlichsten Seite angesichts eines Briefes, den Rosa Luxemburg im Gefängnis geschrieben hat, voll Mitleid mit der Kreatur (in diesem Fall die Büffel, die von den Soldaten als Lasttiere gnadenlos geschunden wurden). Ein zynischer Leserbrief angesichts von so viel „Sentimentalität“ provozierte ihn zu einem Wutausbruch ohnegleichen.

Wie zynisch und ätzend Kraus sein konnte, zeigte Schweiger in einer Passage, wo er den Dichter selbst zu Wort kommen ließ (es gibt Aufzeichnungen seiner berühmten Lesungen, zu denen sich ganz Wien drängte): Hier schildert er eine Touristenfahrt zu den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs, Kaffee und Kuchen stets inbegriffen…

Im übrigen durchschreitet Peter Schweiger in dem Programm das, was man im allgemeinen die „Aphorismen“ und „Betrachtungen“ von Kraus nennt, treffende Mini-Formulierungen, die pointiert und böse ins Schwarze treffen und ebenso entlarven wie ausführlichere Analysen der dunklen Seiten der menschlichen Natur…

Am Ende landet Schweiger bei dem Thema, das Kraus-Biographen und Interpreten bis heute schwer beschäftigt, nämlich sein Verstummen angesichts der Erscheinung von Adolf Hitler. Sein „Zu Hitler fällt mir nichts ein“ wurde einer der berühmtesten Kraus-Sätze – Schweiger versucht rundum zu erklären, warum der schärfste Kritiker von allen seine Waffen niederlegte, statt hier den Kampf aufzunehmen…

Immer wieder greift Petra Ronner am Klavier in den Text ein, mit scharfer Musik von Josef Matthias Hauer oder Hanns Eisler, vor allem aber mit Klängen von Offenbach, der neben Nestroy zu den Lieblingen von Karl Kraus zählte: Er hat zu zahlreichen Offenbach-Operetten neue scharfe Couplet-Texte gedichtet, und einige davon – vom Sprecher Peter Schweiger dann gesungen – sorgen dafür, dass der Abend nicht zu dicht und düster wird. Denn, das macht der Künstler klar: Mit Karl Kraus war nicht zu spaßen.

Renate Wagner

 

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