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WIEN / Jüdisches Museum: FOTOGRAFIEN 80 JAHRE NACH DEM KRIEG

Die Problematik des Erinnerns

09.05.2025 | Ausstellungen, KRITIKEN

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WIEN / Jüdisches Museum / Museum Judenplatz
SAG MIR, WO DIE BLUMEN SIND…
80 JAHRE NACH DEM KRIEG –
FOTOGRAFIEN VON ROGER CREMERS  
Vom 7.Mai .2025 bis zum 18. Jänner 2026

 Die Problematik des Erinnerns

80 Jahre danach – vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, das ist ein Zeitraum von fast drei Generationen. Menschen, die den damaligen Krieg noch erlebt haben, sterben aus. Erinnerungen wurden überliefert, niedergeschrieben und dokumentiert, aber Menschen leben im allgemeinen mit dem Blick auf die Zukunft. Angesichts der damaligen Verbrechen untersagt sich die gegenwärtige Gesellschaft, zumal in den „schuldigen“ Ländern Deutschland und Österreich, das Vergessen. Aber wie geht man mit der Erinnerung um? Das fragt sich der Fotograf Roger Cremers mit seinen Bildern…

Von Renate Wagner

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Roger Cremers      Der Niederländer (*1972) begann seine Karriere als Fotograf für Zeitungen in seiner Heimat, spezialisierte sich auch auf Porträts, fand aber schließlich frei schaffend seine Berufung in der Dokumentation. 2009 erhielt er den „World Press Photo Award“ für Fotos, die das teilweise erschütternde Verhalten von Besuchern der Gedenkstätte von Auschwitz-Birkenau zeigten. Ab 2008 verfolgt er ohne Unterlass bis heute das Projekt „World War Two Today“, das ihn durch zahlreiche Länder Europas führte – auf den unterschiedlichsten Spuren des Gedenkens. Das Jüdische Museum Wien hat  ihn in Hinblick auf die Ausstellung zum Ende des Zweiten Weltkriegs zusätzlich mit österreichischen Fotos beauftragt,

Sag mir, wo die Blumen sind     Dieses berühmte, einst von Marlene Dietrich und Hildegard Knef gesungene Antikriegs-Lied haben die Kuratorinnen Adina Seeger und Andrea Winklbauer als Titel der Schau gewählt, die in drei Räumen ungefähr 60 großformatige Fotos zeigt, die das Thema von allen Seiten her beleuchten.

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Der Hitler-Tourismus    Ob es immer um ehrliches Gedenken geht, wenn Menschen in Konzentrationslager kommen? Ein erschütterndes Foto zeigt einen jungen Mann, der sich in lockerer Pose vor dem „Arbeit macht frei“-Spruch des ehemaligen KZ Sachsenhausen fotografieren ließ, und auch Hitlers Bergfestung Kehlsteinhaus in Berchtesgaden wird wohl nur von wenigen wegen echter Erinnerungskultur besucht, sondern um – wie einst der „Führer“ – die prachtvolle Aussicht zu genießen, im Restaurant zu essen und vielleicht einen Blick in ein Zimmer zu werfen, wo sich einst die Nazigrößen trafen. Der Tourismus hat (wie ja auch in der polnischen Wolfsschanze) die Vergangenheit diesbezüglich fest im Griff.

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Wie gehe ich mit der Erinnerung um?    Die Nachwelt hat es nicht ganz leicht mit ihren Entscheidungen. Was soll man bewahren und warum? Ist die Kommandantenvilla des niederländischen Durchgangslagers Westerbork, wo die Nazis die Juden zwecks Weitertransportes sammelten, eine historische Gedenkstätte? Dennoch hat man sie zur schützenden Erhaltung innerhalb einer Glaskonstruktion gestellt – wie viele reflektieren angesichts des durchaus eleganten Gebäudes über die Menschen, die hier auf das Elend blickten? (Was übrigens an den Film „Zone of Interest“ erinnert, die „Idylle“ der Nazi-Gattin von Rudolf Hess  hinter der Mauer von Auschwitz).

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Die Helden von einst     Natürlich gibt es auch Stätten, die gewissermaßen „positiven“ Erinnerungswert besitzen.  Vom einstigen „Atlantik-Wall“ ragen noch riesige Betonquader aus dem Boden, die ebenso „unzerstörbar“ wirken wie jener Flakturm, den Cremers in Wien fotografierte. Aber dort haben Menschen tatsächlich heldenhaft gegen den Nationalsozialismus gekämpft und gesiegt, und ein Bild von drei Veteranen, alte Herren auf Gehstöcken, aber mit ihren Orden und einstigen Mützen, die immer wieder zur Feier des D-Day an der französischen Küste erschienen, ist berührend…

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Vergessen, verdrängen oder die Fragwürdigkeit des Erinnerns… Roger Cremers hat auch immer wieder Soldatenfriedhöfe besucht. Jener von Vaselsteyn in den Niederlanden werden immer wieder von jungen Deutschen gesäubert – an sich ehrenvoll. Und doch konnte Cremers einen jungen Mann fotografieren, der dabei ein T-Shirt mit einem Totenkopf trug. Natürlich gibt es die Welt der Neonazis noch – als Cremers scheinbar „in aller Unschuld“ 2012 ein Ulrichsberg-Treffen in Kärnten fotografierte, merkten die Beteiligten schnell, dass sie es nicht mit einem Sympathisanten zu tun hatten, und expedierten ihn. Dennoch gibt es Fotos davon in einer Slide-Show.

Bilder erzählen Geschichten    Jedes der ausgestellten Fotos erzählt eine Geschichte. Nicht alle sind auf Anhieb zu erkennen, man muss genau auf die Details schauen. Jedenfalls fächern sie das Thema in überwältigender Fülle auf. Und das Projekt ist noch lange nicht zu Ende – demnächst wird sich Cremers nach Ungarn aufmachen und auch dort fündig werden, was Erinnerung oder Verdrängung bezüglich des Zweiten Weltkriegs betrifft.

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WIEN / Jüdisches Museum /
Museum Judenplatz 8, 1010 Wien:
SAG MIR, WO DIE BLUMEN SIND…
80 JAHRE NACH DEM KRIEG –
FOTOGRAFIEN VON ROGER CREMERS  
Vom 7.Mai .2025 bis zum 18. Jänner 1.2026
Täglich außer Samstag 10 bis 18 Uhr,
Freitag bis 17 Uhr (Sommerzeit) bzw, bis 14 Uhr (Winterzeit)

 

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