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WIEN / Josefstadt: SONNY BOYS

Die gloriosen Old Boys

19.12.2024 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Theater in der Josefstadt

WIEN / Theater in der Josefstadt: 
SONNY BOYS von Neil Simon
Premiere: 19. Dezember 2024 
Besucht wurde die Generalprobe

Die gloriosen Old Boys

In der Josefstadt ist das große Theaterglück ausgebrochen. Ein wunderbares Stück, wunderbare Schauspieler, eine intelligente Inszenierung. Die Rede ist von „Sonny Boys“ von Neil Simon, der nie genügend geschätzt wurde (denn er war wirklich viel mehr als nur ein „Lustspielautor“). Das Stück gilt als das hohe Lied auf Schauspieler, im speziellen Fall auf alte Schauspieler, die ja, wie es heißt, nie genügend Rollen von Kaliber  bekommen. Nun, hier sind sie – und erzählen sowohl von der Psychologie dieses seltsamen Völkchens wie auch davon, was die Theaterwelt bedeuten kann…

„Sonny Boys“: Walter Matthau und George Burns im Kino (1975). Ernst Waldbrunn und Leopold Rudolf (Josefstadt, 1974). Erik Frey und Siegfried Lowitz (Kammerspiele, 1988). Otto Schenk und Helmuth Lohner (Kammerspiele 1999). Gert Voss und Ignaz Kirchner (Akademietheater, 2003). Peter Weck und Harald Serafin (Volkstheater, 2006). Nicht alles gleich gut, aber von der Besetzung her immer eine Ruhmesliste, nur für die Besten der Besten geeignet. Nun fügen sich Robert Meyer und Herbert Föttinger nahtlos in den Glanz der Rollen, und sie sind beide tatsächlich etwas ganz Besonderes.

Retrospektiv muss man geradezu froh sein, dass eine Kulturpolitikerin, die ihr Amt nicht verdiente (und die auch niemandem abgeht, seitdem sie nicht mehr da ist) Robert Meyer aus der Volksoper entfernt hat (aber musste es auf so ungeheuerlich rüde Art und Weise geschehen?). Jedenfalls hat sie ihn davon befreit, im eigenen Haus immer wieder in Nebenrollen Operetten und Musicals aufzuputzen. Nun ist er dort, wo er hin gehört, auf dem Theater. Dort, wo er vor seiner Zweitkarriere als Opernhaus-Direktor einst im Burgtheater und in Reichenau über die Maßen erfolgreich war. Nun ist er der große Gewinn für die Josefstadt. Ein Schauspieler, der bis in die letzte Nuance ausreizen darf, was er kann.

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Und dazu bietet Simons Willie Clark alle Möglichkeiten. Seit einem Dutzend Jahren aus dem Beruf geworfen, weil sein Partner Al Lewis, mit dem er Jahrzehnte lang untrennbar als Comedy-Paar verbunden war (kein Ehepaar konnte enger zusammen gewachsen sein), von einem Tag zum anderen nicht mehr wollte. Womit er neben seiner eigenen Karriere auch die von Willie beendete, der dazu noch gar nicht bereit war und um Jahre des Erfolgs betrogen wurde. Denn er musste merken, dass er allein fast gar nichts wert war, dem sein bemühter Neffe und Agent zugleich kaum noch einen Werbeauftritt im Fernsehen verschaffen kann. Nun ist Willie ein alter Mann, der sich aus seiner Ein-Zimmer-Klause in einem Hotel nicht mehr heraus bewegt und nur darauf wartet, dass ihm der Neffe die neueste „Variety“ bringt, die Fachblatt-Theater- und Filmzeitschrift, in der er vor allem nach den Todesnachrichten von Bekannten sucht. Grantig, verbittert und unglücklich. Ein Verletzter, ein Verlassener, ein Seelenschmerzgebeugter, der dies natürlich nie zugeben würde. Und das muss komisch von der Bühne kommen – und Meyer kann das wie kaum ein Zweiter. Spielt den Charakter, die Tragödie, die Komödie, die darin steckt.

Aber so wie einst auf der Bühne braucht Willie auch hier auf der Bühne einen Partner – das Beziehungsstück der gekränkten Liebe findet statt, wenn Neffe Ben Silverman ihn und seinen alten Partner  noch einmal zusammen bringen will, für eine Nostalgie-Sendung über Stars von gestern. Da sollen Lewis & Clark noch einmal ihren berühmten „Doktor-Sketch“ spielen. Aber dazu müsste der nach wie vor innerlich verletzte, verlassene, gekränkte Willie diesen Al – seinen Lebensmenschen – wieder sehen.

Wie das geschieht, wie Abneigung ausbricht und ganz spät alte Vertrautheit Platz findet, das ist Neil Simons Meisterstück. Die Josefstadt tat gut daran, einen Regisseur wie Stephan Müller zu wählen, der gar kein Interesse daran hatte, irgendetwas über das Stück hinaus zu interpretieren – es reicht, zwei Komödianten zu führen, die den Instinkt haben, nie zu schmieren und (was eine Todsünde wäre) ihre Figuren nie zu verraten (mit dem gewissen verschwörerischen Lächeln ins Publikum – schaut, wie dumm der Kerl ist, den ich da spiele).

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Und die beiden sind auf Augenhöhe – Herbert Föttinger ist das elegante beherrschte Gegenteil des verwahrlosten und immer wieder die Nerven verlierenden Willie. Er weiß genau, was er diesem angetan hat, und nimmt darum manches auf sich. Nicht alles, aber vieles… bis der Autor dann mit seinen beiden Oldies, die hier so glorios funkeln, wie man es sich nur wünschen kann, Mitleid hat. Bis zum  Geniestreich, den man sich hier für das Ende einfallen ließ. Wenn Neil Simon seine Sonny Boys (durch gemeinsame Zukunft im Schauspieler-Altersheim) für alle Zeiten zusammen geschmiedet hat und sie sich an ihre Vergangenheit erinnern, an „Frankies Party in Las Vegas“, singen sie das „My Way“ von Frank Sinatra… Der Glanz der Poesie legt sich über den Abend. ein Glanz, der immer da war, selbst wenn Lärm, Galle, Boshaftigkeit herrschten.

Dankend erwähnen muss man noch, dass Meyer und Föttinger wunderbare Sprecher sind, man versteht jedes Wort, jede Pointe sitzt punktgenau. (Wie viele Probleme hat man vergleichsweise, sich im Burgtheater durch das Nuscheln der Darsteller „hindurch“ zu hören!)

Noch nie ist die Rolle des Ben Silverman so präsent gewesen. Dominic Oley gelingt hier etwas Besonderes. Die meisten Neffen von Willie haben die Mühe gespielt, die sie mit dem unleidlichen, sturen Onkel hatten. Oley spielt nur Liebe und Bewunderung für diesen Mann. Das ist nicht nur darstellerisch wunderbar, sondern auch menschlich einfach schön.

Der Regisseur hat Kleinigkeiten verändert, um das Stück ein wenig in die Gegenwart zu rücken – aber nicht wirklich. In der Rumpelkammer-Bude, in der Willie haust (Bühnenbild: Sarah Smets-Bouloc / teils drollige Kostüme: Birgit Hutter), steht noch ein Fernsehgerät aus den Fünfzigern, und Als Tochter fährt noch einen Chrysler… Aber bei der Fernsehaufzeichnung braucht man für den Doktor-Sketch kein Skelett mehr, das wird später digital eingespielt… Aus neuerer Zeit (das Stück stammt aus dem Jahr 1972, ist also mehr als ein halbes Jahrhundert alt, kann aber in seiner Wahrhaftigkeit nicht alt werden) ist die Figur der Krankenschwester. Larissa Fuchs macht sich einen Spaß daraus, als selbstbewusste Pflegerin mit Ostblock-Zungenschlag ihre eigenen Pointen zu gewinnen.

Die Josefstadt beschenkt mit diesem Abend doppelt: zuerst Wiens Theaterfreunde, die endlich wieder einen Abend vor sich haben, den sie sich nicht entgehen lassen dürfen. Und dann sich selbst mit zu erwartenden vielen, vielen ausverkauften Vorstellungen…

Renate Wagner

 

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