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WIEN / Josefstadt: SOMMERGÄSTE

30.03.2023 | KRITIKEN, Theater

sommergaeste stranparty c~1
Fotos_ Theater in der Josefstadt

WIEN / Theater in der Josefstadt:
SOMMERGÄSTE von Maxim Gorki
Fassung von Elmar Goerden
Premiere: 29. März 2023,
besucht wurde die Generalprobe 

Maxim Gorkis „Sommergäste“ sind in ihrer jüngsten Aufführung im Theater in der Josefstadt im doppelten Sinn „gewandert“ – von einem russischen Landhaus zu einem undefinierten Privatstrand, von der vorigen Jahrhundertwende im Zarenreich in – nun, nicht ganz in die Gegenwart, es gibt weder Smartphones noch Computer, dafür eine alte Reiseschreibmaschine. Dennoch hat Regisseur und Bearbeiter Elmar Goerden das Hier und Heute im Blick, nicht nur in der sprachlichen Vergröberung in gegenwärtigen Jargon, sondern auch in der Umdichtung vieler Elemente.

Figuren von gestern unsere Kleider anzuziehen, ist die üblichste (und abgegriffenste) Methode des Regietheaters. Ehrlicherweise müsste man den Abend, an dem nichts mehr an Gorki, seine Zeit und seine Menschen erinnert, umbenennen: „Elmar Goerdens Ideen zu einigen Figuren von Gorki.“

Die Frage kann nur lauten: Sind die Geschöpfe der Zarenzeit, satte Wohlstandsbürger mit der enervierenden Gewohnheit, sich ununterbrochen zu analysieren und sezieren, für uns relevant, so dass wir sie als Zeitgenossen erkennen könnten und akzeptieren? Und das gelingt absolut nicht. Ist die Geschichte schon bei Gorki äußerst zerfasert und in den „politischen“ Stellungnahmen der einzelnen Figuren (mit Ausnahme der überzeichneten Ärztin Lwowna) diffus, liefert Goerdens Version, die auf eine Strandparty mit Gesang und Tanz hinaus läuft, das reinste Chaos.

Viele Figuren werden überhaupt nicht definiert und schwanken einfach herum, andere werden verzeichnet oder in heutige Zeitgeist-Geschöpfe umgeschrieben wie die Tochter der Lwowna, die darauf besteht, ein Mann zu sein. Die Figur des Wlas muss sich als Pausenclown gebärden und bei jedem Auftritt in einem anderen Gewand, mal Mann, mal Frau auftreten. Und ohne zumindest die starke Andeutung einer lesbischen Liebe geht es auch nicht…

Wenn es zu Beginn regnet und die Darsteller in Reih und Glied vor Kanubooten sitzen, weiß man, dass man im falschen Stück bzw. der falschen Inszenierung gelandet ist. Diese entwickelt dann ihr Eigenleben, wobei die Statements bei Gorki (der die Ziellosigkeit ihrer  Anschauungen zum Thema macht) hier in hoffnungsloses Geschwurbel übergehen. Wissen die Figuren  schon im Original nicht genau, was sie wollen, so hat man im Chaos dieser Inszenierung gar keine Möglichkeit, ihnen wirklich zuzuhören. Aber wenn sie nicht predigen, vor allem den Feminismus, haben sie ohnedies nichts zu sagen.

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Viel wichtiger sind eingestreute Popsongs, das Wechseln der Kleidung (Bikini und Badehose nicht vergessen), Streitereien, schließlich das Zerlegen eines Esstisches. Gelegentlich setzt sich jemand an ein seitliches Klavier und spielt etwas. Manchmal bewegt sich die  Gruppe, indem sie einander die Köpfe auf die Schultern legen (nicht fragen, warum!), am Ende wird die zentrale Heldin auf einem Surfbrett hochgehoben und schwankend davon getragen. Wieder nicht nach dem Warum fragen.

Weder an ihren Berufen und Funktionen noch an ihren verwandtschaftlichen und sonstigen Beziehungen sind sie wirklich zu erkennen – drei Stunden lang wird einfach „Theater“ als Selbstzweck gemacht, das seinen eigenen Stil entwickelt, aber nichts aussagt.

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Die Damen kommen dabei besser zur Geltung als die Männer. Als unglückliche Ehefrau Warwara ist Alexandra Krismer denkbar glaubhaft, in der Paraderolle der Ärztin predigt Martina Stilp, was es das Zeug hält, als ihre Trans-Tochter ist Katharina Klar so aggressiv wie überzeugend. Silvia Meisterle darf eine untreue Ehefrau nach allen Regeln der Kunst überzeichnen, so wie sich Michaela Klamminger als „Dichterin“ gnadenlos lächerlich macht. Und auch Susa Meyer als überforderte, lamentierende Frau und Mutter gibt sich ebendieser Lächerlichkeit preis. Aber sie alle bleiben zumindest unterscheidbar.

Die Männer hingegen sind mit Ausnahme von Claudius von Stolzmann, der den erwähnten Pausenclown mit allen denkbaren künstlichen Albernheiten ausstattet, total farblos – Joseph Lorenz (in der Rolle des „Doppelpunkt“ genannten Onkels, was man nie erfährt) ausgenommen, der wie ein schweigender Geist herumirren und sich in wilder Gestik ergehen muss. Sicher nicht die beste Art, um aufzufallen. Keinerlei Profil erhalten Michael Dangl (der eigentlich ein zynischer Anwalt sein muss, hier aber nur als eine Art Bademeister fungiert), Günter Franzmeier als lächerlicher Betrogener, Roman Schmelzer als Arut ohne Eigenschaften, Oliver Rosskopf und Jakob Elsenwenger, von denen man sich fragt, was sie da suchen, Julian Valerio Rehrl, dessen Rolle völlig in der Luft hängt. Und auch Ulrich Reinthaller kann, obwohl in dämonisches Schwarz gekleidet, aus dem Dichter wenig herausholen.

Das Profil, das sie alle bei Gorki – obwohl auch dort alle Schwätzer – haben, wurde ihnen gnadenlos abgeschminkt. Dafür gibt es Jubel, Trubel, Kreischerei. Sommergäste am Strand. Das ist verdammt wenig.

Renate Wagner

 

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