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WIEN / Josefstadt: RITTER, DENE, VOSS

18.11.2022 | KRITIKEN, Theater

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WIEN / Theater in der Josefstadt: 
RITTER, DENE, VOSS von Thomas Bernhard
Premiere: 17. November 2022,
besucht wurde die Generalprobe

Die Erinnerung ist verklärt. Thomas Bernhard und Claus Peymann, Gert Voss und Kirsten Dene, das waren Leitsterne des Burgtheaters in den späten achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Im August 1986 kam bei den Salzburger Festspielen das Stück „Ritter, Dene, Voss“ zur Uraufführung, das Bernhard – ohne die Darsteller zu fragen – nach drei Schauspielern benannt hatte, die dann natürlich auch bereit waren, diese Rollen zu spielen.

Die Produktion wurde im Herbst 86 an das Burgtheater übernommen und 2004 wieder aufgenommen. Ilse Ritter hat in Wien nicht Fuß gefasst, Voss-Dene hingegen waren seit der „Hermannsschlacht“ (Hermann und „Thuschen“) das Traumpaar, für das die Wiener Peymann so manches verziehen. Und Bernhard hatte ihnen hier Rollen geschrieben, in denen sie wahrlich brillieren konnten.

Damals war man so fasziniert von der scheinbaren Deckungsgleichheit der Rollen und Darsteller, dass man weit weniger als heute bei der Aufführung im Theater in der Josefstadt wahrgenommen hat, dass Bernhard in der Figur des „Ludwig“ viele Elemente aus dem Leben von Ludwig Wittgenstein paraphrasiert hat. Der Philosoph aus superreichem Haus, der sich aus Geld nichts machte und es locker verteilte, der in Cambridge nicht Fuß fassen konnte und in Wien immer wieder in Steinhof behandelt wurde. Der Denker als Mann und unausstehlicher Zeitgenosse, als Qual seiner Umwelt, als Schicksal seiner beiden Schwestern.

Natürlich hat Bernhard mit dichterischer Freiheit hinzuerfunden – etwa, dass der überreiche Papa (hier heißt die Familie Worringer) die Mehrheit der Josefstadt gekauft hätte, damit seine Töchter dort theaterspielen können… das ist eine Pointe (zumal in der Josefstadt). Dass Ludwig von der älteren Schwester (die gab es in Gestalt der unverheirateten Hermine wirklich) aus Steinhof wider Willen in die Döblinger Villa der (verstorbenen) Eltern heimgeholt wird – das ist die Ausgangssituation von Bernhards Dreiakter für drei Personen. Jeweils 50 Minuten, in denen im Kreis geredet wird.

Akt eins lässt auf Ludwig warten, während die ältere Schwester Vorbereitungen für das gemeinsame Abendessen trifft, die jüngere Schwester sie zynisch beobachtet und kommentiert und beide ihre Machtpositionen abtasten und aus der gegenseitigen Animosität keinen Hehl machen.

Im zweiten Akt ist Ludwig dann da, das Abendessen verläuft extrem ungemütlich, er verbirgt weder schlechte Laune, mangelnde Manieren noch Aggressivität, die devote ältere Schwester will beschwichtigen, die andere will sich mit Ludwig verbünden und intrigiert gegen die ältere.

Akt drei beginnt dann das Zerstörungswerk, das sozusagen „haptisch“ real erfolgt, umgehängte Bilder, die verschobene Kommode und eine Unmenge zerschlagenes Geschirr. Doch am Ende trinken die drei Kaffee, und man kann sicher sein, dass es in allen folgenden Akten ähnlich weitergehen würde… falls man es wissen wollte. Denn tatsächlich erweist sich „Ritter, Dene. Voss“ in der Josefstadt von heute als minder interessant.

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Regisseur Peter Wittenberg lässt die Geschichte im Museum spielen: Zu Beginn sitzt ein Wachmann im Hintergrund, kündigt die Öffnung mit dem Entfernen einer Kordel in den Wittgenstein / Worringer-Raum an, am Ende darf er melden, dass bald geschlossen würde. Das runde rote Zimmer (Bühnenbild; Florian Parbs) ist im äußeren Kreisrund mit zerschlagenem Geschirr dekoriert, was ein wenig an Ai Weiwei erinnert und zweifellos symbolische Aussagekraft haben soll. An den Wänden, links und rechts, hängen Gemälde von unverkennbar Kirsten Dene und Gert Voss, die hier als Mama und Papa Wittgenstein vielmehr Worringer identifiziert werden (das Bild von Ilse Ritter hängt im Hintergrund, hat aber keine Funktion). Der Rahmen der Verfremdung ist gegeben, das Zitat der Vergangenheit wird museal verbrämt. Sicherlich a priori  kein schlechter Zugang. Schade darum, denn herausgekommen ist müdes psychologisches Theater, und das ist, wie die Wiener sagen (vielleicht sogar in Döbling) lahmlackert… Kaninchenstall statt Schlangengrube.

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Der erste Akt gehört Sandra Cervik als der älteren und Maria Köstlinger als der jüngeren Schwester. Zwei glänzende Schauspielerinnen und  hervorragende Sprecherin, die nach dem Willen des Regisseurs Text und Figuren in psychologischer Kleinarbeit zerbröseln müssen. Cervik gibt der absoluten, in scheinbare Milde getauchten Devotion der Älteren, die den Bruder zum Lebensinhalt erkoren hat, keine Stärke, sondern nur den Willen zum Dienen. Maria Köstlinger genießt es, die jüngere Schwester zwischen Bosheit und Bösartigkeit changieren zu lassen, bis sie dann im dritten Akt auch noch sadistische Züge auffährt. So gut die beiden in dem ersten Akt sind – dadurch dass sie nicht den wahren Nachdruck einbringen dürfen, ist nicht alles, was sich da an Gefühlshaushalt herausziseliert, auf die Dauer interessant.

Der Abend wird schwächer, wenn „Ludwig“ auftaucht, denn Johannes Krisch enttäuscht zuerst einmal als Sprecher. Bei Bernhard gerne zu murmeln, das geht gar nicht. Schärfe und gnadenlose, treibende Präzision ist seine Sache nicht, man glaubt Krisch den ganzen Abend auch nicht die destruktive Kraft, die er verströmen müsste. Die Regie erlaubt ihm klugerweise nicht, das Voss’sche Virtuosenspiel der „Brrrrrrandteigkrrrrapfen“ zu wiederholen, aber damit wird auch diese Szene verschenkt, in der Bernhard zeigt, wie diesem Ludwig mit Süßígkeiten nicht nur der Mund gestopft, sondern auch der Widerstand ausgetrieben werden soll. Mit Krisch in der Rolle des Ludwig wird das Dreieck des Abends nie wirklich stark.

Der dritte Akt ist der stärkste, aber mit seinem Demolieren von allem, was Ludwig unterkommt, hier auch wieder nicht stark genug, selbst dann nicht, wenn das Inzestuöse zwischen Ludwig und beiden Schwestern mit Hilfe von Unterhosen lasziv angespielt wird. Es fällt auf, dass dieses Stück, das voll der typischen Bernhard-Gemeinheiten ist, das Publikum auch kaum adäquat zum Lachen brachte (wie es vorgesehen gewesen wäre). Die hohe Kunst der elastischen, peitschenden, frontal verletzenden Konversation stieß bei dem Regisseur auf kein Verständnis. Mit dem Ergebnis, dass es immer wieder Passagen quälender Langeweile gibt und das Interesse, wie sich die Charaktere verquicken, verbünden, vernichten, eigentlich gering bleibt.

Möglicherweise hätte die Josefstadt Claus Peymann fragen sollen, ob er „Ritter, Dene, Voss“ nicht noch einmal versuchen möchte. Wahrscheinlich hätte er (wie Eliza Doolittle in Ascot den Rennpferden) dem Text Pfeffer in den A— gesteckt und damit das alte Stück möglicherweise noch einmal interessant gemacht. So, wie man es nun in der Josefstadt sieht, ist es das nicht.

Renate Wagner –

 

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